Erstmals tauchte die Idee einer übergeordneten Straße zur Entlastung der Verkehrssituation rund um die Köpenicker Altstadt im ersten gemeinsamen Flächennutzungsplan nach der Wende auf, das war 1994. Ein dicker zackiger Strich auf Seite 31 der Übersichtskarte „Stufen der Inanspruchnahme“, rechtwinklig davon Richtung Norden eine andere langgezogene gerade Linie: die Tangentiale Verbindung Ost.
Die ewig verstopften Straßen sind auch 30 Jahre danach noch immer DAS Thema, wenn man an Köpenick denkt. (Und das nicht nur, wenn Union ein Heimspiel hat.) In den vergangenen Jahren ist in Köpenick viel gebaut worden. Die schöne Lage im Grünen, an Spree und Dahme hat so manchen Investor angelockt, viele Familien fühlen sich zurecht sehr wohl in diesem Stück Randberlin.
Bedingungen ohne Bürgerbeteiligung
In Sicht gerät der behäbige Riese aktuell durch das laufende, im Juli 2022 ausgelobte städtebaulich-freiräumliche Werkstattverfahren „Ehemaliger Güterbahnhof Köpenick“. Dessen zwingend vorgegebener Bestandteil ist die Integration der „Ostumfahrung Bahnhofstraße“. In die Aufgabenstellung hineingekommen ist diese übergeordnete Hauptverkehrsstraße bereits zu einem Zeitpunkt, als die Bedingungen für den EU-weiten Teilnahmewettbewerb erstellt wurden und Bürgerbeteiligung noch nicht stattgefunden hat.
Wurde bereits zu diesem Zeitpunkt versäumt, mutiger zu sein und zu erkennen, dass hier ein Verkehrs-Dinosaurier reanimiert werden soll, dessen einstige Aufgabe längst von anderen Straßenbauvorhaben erfüllt wird?
Zum Beispiel die „Westumfahrung Bahnhofstraße“, zu der am 29.Juni 2022 eine öffentliche Informationsveranstaltung stattgefunden hat. Dort wurde dargestellt, wie die im Umfeld verkehrlich stark belasteten Gebiete, allen voran die Bahnhofstraße, durch den Straßenneubau entlastet werden können. Im Protokoll zu der Veranstaltung heißt es:
„Die alten Planungen wurden den aktuellen Gegebenheiten angepasst und durch aktuelle Verkehrsprognosen, komplett erneuerte Umweltgutachten und unter Beachtung aktueller Gesetze und Richtlinien überarbeitet. Dabei wurden auch benachbarte Planungen und Projekte wie die TVO, die Ostumfahrung Bahnhofstraße, die städtebauliche Entwicklungsmaßnahme ehemaliger Güterbahnhof Köpenick sowie die Maßnahmen der Deutschen Bahn AG/DB wie der geplante Regionalbahnhof Köpenick oder auch der in unmittelbarer Nähe geplante Stadionausbau An der Alten Försterei durch Union Berlin berücksichtigt.“
Jetzt kommt der Bahnhof – wirklich
Wir haben also den für Sommer 2027 avisierten Regionalbahnhof zu erwarten und für 2028 die Fertigstellung der Westumfahrung mit einer entsprechenden Entlastungswirkung für die Bahnhofstraße. Die Tangentiale Verbindung Ost ist nach 30 Jahren ebenso Gegenstand ernsthafter städtebaulicher Planungen. Ist, um das Bild wieder aufzunehmen, der Tanker „Ostumfahrung“ nach 30 Jahren endlich im sicheren Hafen angekommen und Köpenick sein Verkehrsproblem los oder ergibt es Sinn, den Tanker doch noch bei voller Fahrt zu stoppen?
Zunächst acht, nunmehr noch vier nationale wie internationale Architektenteams (Cityförster, CKSA, ADEPT und KCAP) sind mit viel Leidenschaft dabei, mit zukunftsweisenden Ideen die brache Fläche rund um den ehemaligen Güterbahnhof zu entwickeln. 1.800 dringend benötigte Wohnungen sollen in der 2020 vom Berliner Senat beschlossenen städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme entstehen.
Autoarmes Quartier zwischen Lärm und Abgasen
Pikant daran ist, dass die städtebauliche Aufgabenstellung ausdrücklich eine „Minimierung des motorisierten quartiersinternen Verkehrs“ und die „Etablierung eines autoarmen Quartiers“ fordert. Darf ein solches Quartier, in dem Menschen leben werden, die bewusst auf ihr eigenes Auto verzichten, durch Verkehrslärm und Abgase einer alten Verkehrsabwicklung beeinträchtigt werden? Stellt es nicht einen eklatanten Nutzungskonflikt dar, wenn ein Wohngebiet von einer übergeordneten Hauptverkehrsstraße zerschnitten wird, die die Verkehre der Bahnhofstraße aufnehmen soll, um diese zu entlasten?
Verkehrsentlastung auf Kosten eines Denkmalensembles
Einmünden soll diese Hauptverkehrsstraße, vom Brandenburgplatz durch das neue Quartier kommend, in den Stellingdamm. Nach der Unterquerung der sechsgleisigen Bahntrasse soll die Ostumfahrung in einer Schleppkurve direkt in das denkmalgeschützte Gebiet der Siedlung Elsengrund einmünden. Entspricht das noch der Zeit, einem autoarmen Wohngebiet und einem über 100jährigen verkehrsberuhigten Denkmalsbereich die Verkehrsentlastung der Bahnhofstraße aufzubürden?
Eine Aufforderung an die Planungsteams, die ausdrücklich Verkehrsexperten mit im Boot haben müssen, alternative Möglichkeiten für den Verkehr in diesem Gebiet zu finden, wurde versäumt und damit die Chance vertan, Lösungsvorschläge angeboten zu bekommen, die über den Köpenicker Tellerrand hinausgehen.
Kann die Politik den Planungsteams noch helfen?
Aber es ist noch nicht zu spät, den Tanker zu stoppen! Hierzu ist nun die Politik direkt gefordert, denn den Städteplaner-Teams sind die Hände gebunden. Sie müssen sich an die Vorgaben des Wettbewerbs halten. Man kann jedoch davon ausgehen, dass es ihnen ein Vergnügen wäre, das zukunftsweisende Wohnquartier ohne Dinosaurier zu realisieren und damit konsequent die Herausforderung des Städtebaus der nächsten Jahrzehnte ideenreich zu gestalten.
Die Öffentlichkeit ist seit Ende 2021 durch erste Infoveranstaltungen und mit dem 2022 gegründeten Gebietsbeirat dabei und kann demnächst in einer Ausstellung im Forum Köpenick den aktuellen Stand der überarbeiteten Planungen der verbliebenen vier Teams kennenlernen.
Sehen wir uns als Anwälte all derer, die zukünftig in diesem durch den öffentlichen Nahverkehr sehr gut erschlossenen, autoarmen Wohngebiet leben wollen, machen wir es möglich, den folgenreichen Fehler der Ostumfahrung zu verhindern und nutzen wir das Geld lieber im Sinne des aktuellen Mobilitätsgesetzes, von dem dann auch die Anwohnenden der Bahnhofstraße etwas haben. Volle Fahrt zurück, solange es noch geht!