Deutsche Leidkultur
Köpenick ist der mit Abstand grünste Bezirk Berlins. Am Rande unserer schönen Hauptstadt, in der fast kein freies Fleckchen Erde mehr zum Entspannen und gemütlichen Beisammensein einlädt, findet man hier bei genauerer Betrachtung jedoch weit mehr, als ländliche Idylle, verträumte Vorstädter und eine einzigartige Naturlandschaft.
Köpenick war schon immer ein Mikrokosmos – ein Soziotop zwischen Widerstand und Selbstverwirklichung – kulturell und politisch. Bis ins frühe 11. Jahrhundert lief die damalige Burgsiedlung der Sprewanen ohne Frage dem Vorgänger unseres duften Spreeathen den Rang ab. In gewisser Hinsicht hat sich daran auch nie etwas geändert. Die Geschichte und die Menschen hier sprechen für sich: Gerhart Hauptmann und den systemkritischen, meist ungemütlichen Mannen des Dichterkreises folgte der gewitzte Schuster Voigt (der andere Hauptmann); den antifaschistischen Widerstandskämpfern der NS-Zeit, die nach Ruhe suchenden Altrocker der DDR. Allesamt formten sie den Bezirk und seinen Ruf in der Welt, getreu der Definition eines „die Gemeinschaft betreffenden Ortes“ (lat. Sozio, griech. topos). Woran es in der wachsenden Metropole Berlin mangelte, hatte hier Raum sich zu entfalten. Oder erkämpfte ihn sich gegen politische Willkür und Idiotie.
Ein Vorzeigeprojekt interdisziplinärer Jugend- und Kulturarbeit und gleichwohl ein Symbol für die Vielseitigkeit und das Engagement der jungen Köpenicker ist der „Mellowpark“ an der Friedrichshagener Straße. Ein Projekt des im Jahre 1994 gegründeten all eins e.V., das nur durch die Wankelmütigkeit der Politik und Stadtplaner zu dem wurde, was es heute ist. Auf Umwegen und nicht ohne langwieriges Verhandeln gelang es dem Verein im Jahr 1997, einen Teil des brachliegenden Industrieareals der ehemaligen Köpenicker Kabelwerke als Ausweichrefugium für den zuvor ersatzlos abgerissenen Jugendklub im Allende-Viertel zu erhalten. Für die Einen der Anfang vom Ende, für Andere das Ende vom Anfang. Schon damals wurde vielen bewusst, dass von nun an nichts mehr umsonst sein würde: erst recht nicht ihr Einsatz.
So schufen zwei Hände voll Köpenicker Jugendlicher durch vielseitiges Fachwissen, ungebremste Kreativität und grenzenlose Fantasie das Konzept einer Mehrzweck-Trendsport- und Festivalanlage der Superlative. Gestützt von einer zweifachen Prämierung durch den Senatswettbewerb „Jugend entwickelt das Neue Berlin“ in den Jahren 1999 und 2000, starteten die Verhandlungen mit der Stadtverwaltung und dem Bezirksamt. Innerhalb eines Jahres entstand auf der dem Jugendklub anliegenden rund 10.000 m_ großen Industriebrache ein vielseitig nutzbares Areal für Trendsportarten wie BMX, Skateboard, Beachvolleyball, eine Festivalwiese sowie zahlreiche Erholungs- und Freizeitmöglichkeiten, wie z. B. Graffitiwände. Die erste Mellowpark-Jam 2001 lockte über 4500 Gäste aus ganz Deutschland mit Bands, Sport und Entspannung – ein Erfolg auf der ganzen Linie. Der folgende Nutzungsvertrag für das Gelände und die Anmietung für einen symbolischen Betrag von der Treuhand Liegenschaftsgemeinschaft (TLG) ermöglichten vorübergehende Planungssicherheit und bildeten die Grundlage für die Eröffnung des Parks im Frühjahr 2002.
Seither ist viel geschehen. Durch das Mitwirken der Besucher und das meist ehrenamtliche Engagement der Vereinsmitglieder, entwickelte sich der Park zu einer der vorbildlichsten Einrichtungen seiner Art und zu einem über die Landesgrenzen hinaus bekannten Zentrum deutscher Outdoor-Funsport-Aktivität – Fernziel und Messlatte für jede vergleichbare Institution (Timm Wiegmann, BMX Profi, Oldenburg). Heute versammelt das Gelände neben den gängigsten Trendsportarten nahezu alle Aspekte jugendlicher Kultur – Redaktionen von Szenemagazinen, Proberäume für Bands, Ateliers, Workshops aller Art von Siebdruck über Breakdance bis Beatbox, Freiflächen für Graffiti und Entspannung. Ein angegliedertes Hostel und das Mellowpark – Camp bieten weit gereisten Gästen kostengünstig Unterschlupf mit Communitycharakter, und die permanente Betreuung durch erfahrene Fahrer und Mitarbeiter hat hier schon so manche Schulklasse unvergessliche Projekt – und Wandertage erleben lassen. Der Mellowpark, da sind sich Besucher, Sportler und Eltern einig, ist in seiner jetzigen Form in Deutschland absolut einzigartig. Hierbei ist nicht nur die sportliche Qualität der Skateparks wichtig, sondern auch die Attraktivität der Anlage. (Kay Clauberg, Chefredakteur FREEDOM BMX, Köln)
Doch was mit Schweiß, Tränen und viel individuellem Einsatz geschaffen wurde, kann morgen schon nicht mehr sein. Auf der Basis einer angedachten Änderung des Flächennutzungsplans für das Areal wird die TLG recht bald mit Investoren bezüglich einer Bebauung mit Wohnungen und Gewerbe verhandeln. Zwar haben sowohl die Bezirksverordnetenversammlung als auch das Berliner Abgeordnetenhaus ihre Sympathie für die Initiative und ihr grundlegendes Interesse am Erhalt des Parks geäußert, eine Lösung ist jedoch nicht in Sicht. Also hangeln sich die gewählten Landesvertreter von Ausweichgrundstück zu Ausweichgrundstück, gefährden eine sichere Jahresplanung und riskieren sogar den Konflikt mit anderen kulturellen Jugendträgern. Dennoch versucht der Vorstand des Vereins weiterhin aktiv auf die Verhandlungen einzuwirken und strebt eine Dialoglösung an. Entgegen dem Willen der meisten Fahrer und Unterstützer des Parks, die auch eine offene Konfrontation nicht scheuen würden.
Doch wie so oft scheinen den Herren und Damen in den Gremien die Hände gebunden. Und das gerade jetzt, wo eine Kündigung des Mietverhältnisses näher rückt und die Investoren die Konten plündern, um auch die letzten Freiräume in Köpenick mit Eigentumswohnungen zu bepflastern. Das Damoklesschwert in Form der angekündigten Kündigung hängt über den Häuptern aller. Doch geschlagen geben will sich hier noch keiner – auch wenn bislang jede Alternative mit Abstrichen oder weiteren Existenzängsten verknüpft war. Das Interesse anderer Bezirke verhallt ungehört, denn der Mellowpark ist, was er ist: ein Stück Köpenick! Der Park steht für den bedingungslosen Zusammenhalt, den kollektiven Widerstand gegen jugendliche Verblödung und Fettleibigkeit. Er ist Sinnbild des Kampfes gegen wirtschaftliche Lobbyarbeit und politisches Kalkül. Er ist mehr noch als verkrustete Strukturen und Legenden ein lebendiges Wahrzeichen des Bezirks und muss als solches erhalten werden (Andy, Bern, CH). Das haben viele Jugendliche der Szene im In – und Ausland bereits erkannt. Wann es den gesetzten älteren Damen und Herren da oben endlich bewusst wird, steht in den Sternen. Und so machen sich die „Jungs und Mädels vom Mellow“ ungeachtet aller Gefahren an die Umsetzung der Jahresplanung. Und auf dem Plan stehen wie in jedem Jahr Events der Extraklasse: das traditionelle Highway to Hill Nr. 10, der Mellowpark Jam im Juni und nicht zuletzt die Deutsche BMX Meisterschaft 2008 im August. Der Rand rockt weiter!
In aktuellen Sitzungen beschäftigt sich nun der Jugendhilfeausschuss mit der Problematik Mellowpark und versucht eine langlebige Lösung zu erwirken. Der Vorstand des Vereins strebt zeitgleich eine Debatte mit der Stadt Berlin an. Für alle Einzelpersonen, die sich dem Projekt verbunden fühlen, gibt es Unterstützerlisten und Formulare im Netz.
www.mellowpark.de
Mellowparks End
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