Ein Heilsversprechen

„ … mit glühenden Zangen von den Knochen abgerissen..“
Erstveröffentlichung am 16.12.2016
Bis zu jenem Tag, als Franz-Peter Tebartz van Elst den grandiosen Gedanken entwickelte, sich einen nicht ganz preiswerten Diözesanepalast errichten zu lassen, hatte im Münsterland auch die katholische Kirche noch festen Boden unter den Füßen. Die Gotteshäuser waren – vergleichsweise und nicht nur an Weihnachten – gut gefüllt, es wurde unter den Menschen im Westfälischen mehrheitlich katholisch getauft, getraut und gestorben.
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Der „König von Münster“, Johan Bockelson in einer zeitgenössischen Darstellung von Heinrich Aldegrever (1502–1561) [Public domain], via Wikimedia Commons

Und nicht zuletzt damit dem auch für alle Zeiten so bliebe, baumeln für jedermann gut sichtbar bis an den heutigen Tag am hohen Turme zu St. Lamberti, was die alte Markt- und Bürgerkirche der Stadt Münster ist, drei Eisenkörbe im Wind. Darin zum Schauder und zum Schrecken für Generation aufgebahrt haben sie sich befunden, die gemarterten Leiber der Frevler, die mit Feuer und Schwert zu Tode gebrachten Jan van Leiden, Bernhard Knipperdolling und Bernhard Krechting, denen „alles Fleisch mit glühenden Zangen von den Knochen abgerissen und dann Gurgel und Herz mit glühenden Eisen durchstoßen“ worden war bei der öffentlichen Vollstreckung des Urteils der Inquisition am jenem 22. Januar 1536, am Münsteraner Prinzipalmarkt, oben auf dem Schaugerüst. Und wie kam es dazu?


Die Welt in Aufruhr

Das kam so: Die Welt war in Aufruhr – und das wie selten in ihrer doch auch bis dahin bereits sehr bewegten Geschichte. Damals machten die einen sich auf den Weg und meinten hinter Ozeanen ganz neue Welten zu entdecken, andere wollten die Erde aus dem Mittelpunkt des Universums rücken und ein entlaufener Mönch im sächsischen Wittenberg reklamierte gar den Restaurationsbedarf am Heiligen Stuhl zu Rom.

Andere waren darob und über dergleichen mehr derart bestürzt, dass ihnen das Ende der Zeit zu nahen schien. Und wer denkt, das sogenannte Problem der Parallelgesellschaften in Deutschland, das Umgehen mordwerkzeugbeschmückter Zeloten oder postfaktisch die Welt erklärender Heilsbringer sei allein ein Gegenstand unserer Tage, wer das meint, der schaue mal im Geschichtenbuch Google nach und google dort nach: Täufer Münster. Er wird fündig werden. Und was er da unter Vielem zu lesen bekommt, handelt vielleicht auch von einer kleinen Schar gänzlich Besessener, denen es mit der Verbesserung der Welt zu wenig schnell und nicht weit genug ging, wenn es galt, dem wahren Gott Ehre zu tun.


Verkleidete Teufel

Um 1520 war es, in der Schweizer Bergwelt, wo einige selbsternannte Auserwählte „im Wort Gottes“ arbeiteten. Sie verweigerten sich dem offiziellen Gottesdienst, auch Eide schworen sie nicht und begannen, sich untereinander zu taufen – Taufen einer Bruderschaft. Ihnen war, was der Reformator Zwingli bei ihnen um die Eck und der Herr Luther im fernen Sachsenlande taten, nicht gut genug. Und so zogen die Schweizer Brüder in die Welt und Zwingli rieft ihnen noch nach, sie seien „in Engel des Lichts verkleidete Teufel“.

Wie ein Lauffeuer breiteten sie sich aus über die deutschsprachigen Länder bis in die Niederlande. Um 1530 gab es bereits in mehr als 500 Städten die Täufergemeinden. Und ein Zeitgenosse beklagte:

„Die Leute rennen den Täufern nach, als ob sie lebendige Heilige wären.“

Die Wiedertäufer verneinten die Autorität des Papstes und glaubten weniger an den Text der Heiligen Schrift als vielmehr an das Innere Licht: Zu ihnen spricht Gott direkt! Und daher hielten sie sich selbst für unfehlbar auch.


Schwärmerische Endzeitpropheten

Die Anhängerschaft der schwärmerischer Endzeitpropheten, die die Wiederkunft Jesu und das Ende der Zeit verkündeten, ging bald in die Hunderttausende. Mit einem Kreuz auf der Stirn kennzeichneten sie sich. Die Obrigkeit tat, was ihr geraten und probat: In katholischen Gebieten begannen die Scheiterhaufen zu lodern, in evangelischen Landstrichen wurden die Täufer ertränkt oder geköpft. Doch offensichtlich half das nicht viel. Die Bewegung verbreitete sich weiter, und aus jedem Märtyrer erwuchs gleichsam ein neuer Hauf todesmutiger Eleven.

Man könnte denken, ganz Münster habe den Verstand verloren, damals, als sie beinahe alle dem „König Johann“ alias Jan Bockelson, Schneider und Bordellwirt aus dem niederländischen Leiden, den sie auch Jan van Leiden genannt haben, nach- und ins Verderben rannten. Was sie anfangs sicher nicht gewusst haben.

Doch sie hatten gute Gründe, ihr Heil zu suchen bei einem, der ihnen was Besseres angeboten, als ihnen damals gerade zuteil geworden: nämlich der Bischof Franz von Waldeck. Der trieb es einigermaßen maßlos im Umgang mit dem Volk von Münster, wenn er Steuern bei der Stadt erhob. Und mit der den Bürgern der Stadt mittlerweile zustehenden Religionsfreiheit nahm er es auch nicht so ernst.


Jan van Leiden macht Revolution

Van Leiden kam im Januar 1534 nach Münster. Für viele war gerade er der Rechte – einer zur rechten Zeit, am rechten Ort. Van Leiden muss ein Mann mit magischem Charisma gewesen sein. Unbeirrbar hielten seine Anhänger zu ihm, obwohl seine Befehle an allem rüttelten, was den Menschen bis dahin heilig war. Und es tat dem Ansehen dieses Eiferers keinen Abbruch, dass er mit seinen Prophezeiungen oft haarscharf neben der Wirklichkeit lag.

Aber van Leiden war manches – nur kein Dummkopf. Die Herzen der armen Leute hatte er in seinen Predigten, wie man so sagt, im Sturm erobert. Es soll ihm ein Leichtes gewesen sein. Aber auch die Honoratioren der Stadt Münster hatte er bald von der Notwendigkeit seiner Forderungen und der Zweckmäßigkeit seiner Ansichten überzeugt.

Und als die Täufer am 23. Februar 1534 durch die jährliche Ratswahl die Macht im Münsteraner Rathaus übernommen hatten, ergriff van Leiden das Regiment in der Stadt. Und er kehrte nun das Unterste zuoberst.

Er machte wirklich Revolution. Er führte in Münster die Gütergemeinschaft ein. Privateigentum war von nun an verboten. Wertgegenstände mussten an den Rat der Stadt abgeliefert werden. Die Täufer stürmten die Kirchen, brachen und brannten Altäre und Heiligenbilder nieder.

Die Erwachsenentaufe wurde zur Pflicht erhoben, die Bürger auf mitten der Straßen eimerweise getauft. Und Vielweiberei war Motto. Nicht allein wem‘s gefiel, durfte – sondern jeder, der männlich und nur konnte, musste: Und zwar par ordre du mufti ehelichen mehrere Weiber, ob ihm oder denen das gefiel, ganz gleich. Gesetz.

Van Leiden und der Prediger Jan Mathijs führten das Zepter – oder nicht seltener das Schwert. Und das war nun ein wirklich grausames. Wer nicht mit ihnen ist, ist gegen sie – und so schlachteten sie Hunderte und van Leiden hieb höchst selbst so manchen Kopf vom Hals dabei.


Der König von Sion führt seine Getreuen in die Schlacht gegen die Truppen des Bischofs

Vor den Mauern der Stadt zog der Münsteraner Fürstbischof seine Truppen zusammen und schickte sich damit an, die Insassen der Stadt aushungern zu lassen. Wer jedoch, um nicht Hungers zu sterben, fliehen wollte, wurde von van Leiden und unter tosendem und beifälligem Gejaule der Masse hingerichtet. Der Versuch jedoch, in den Nachbarstädten noch Verbündete zu gewinnen, misslang. Die verschworene Gemeinschaft scharte sich enger um ihren Führer.

Van Leiden zeigte als Feldherr sein Geschickt, schlug zwei Großangriffe der bischöflichen Truppen im Mai und August 1534 blutig zurück. Dieser Erfolg stieg ihm so dermaßen zu Haupte, dass er sich zum König des tausendjährigen Reiches „Sion“ proklamieren ließ.

Erst als dem Tischlermeister Heinrich Gresbeck die Flucht aus Münster gelang und er den Belagerern verriet, wo sie die Schwachstelle in der Feste Sion fänden, zogen diese über das Kreuztor nach Münster ein. Das Ende der Geschichte ist bereits erzählt. Zuvor aber starben bei dem wütenden Gemetzel noch Hunderte unter den Schwertern und auf den Lanzen der bischöflichen Soldateska.

Wenn es dieses Jahr weihnachtet in Münster, gehen die befriedeten Münsteraner Bürger wieder beruhigt zur Heiligen Christmesse. Nur die eisernen Käfige am hohen Turme zu St. Lamberti gemahnen den einen oder anderen vielleicht daran, dass doch jedes Wort einer Beschwörung gleicht: Welcher Geist ruft – ein solcher erscheint.
Frohe Weihnacht.


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