Nun gut, Aids und Ebola hat das Kondom nicht verhindert. Aber immerhin vielleicht geholfen, die Geburtenraten zu regulieren hierzulande. Lag der Anteil der Mütter unter den Frauen, die zwischen 1933 und 1946 geboren wurden, noch bei rund 90%, so sind es heute nur noch gut zwei Drittel der Frauen, die Mütter werden. Es gibt andere Prioritäten. - - Neulich an der Autobahnraststätte ging ich auf die Toilette. Verrichteter Dinge wollte ich das Pissoire verlassen, als mein Blick auf einen Automaten fiel.
Kondome, dachte ich, eingedenk der Tatsache, in Bälde einen Termin mit dem Herausgeber dieses Blattes zu haben. (Textabgabetermin, wohlbemerkt.) Bei genauerer Betrachtung der Bildchen wurde ich stutzig. Nix Kondome – oder nicht nur. Auch eine "Travel-Pussy" bot man mir an, die aufblasbare Vagina für den allein reisenden Herren. Oha, dachte ich. Und war beim Thema. Und in Gedanken sah ich jene Straßenbahnhaltestelle wieder vor mir, mich, zwei meiner Kinder an der Hand, vor einem großen Plakat stehend, dieses eine Gurke zeigend, die mit einem Kondom überzogen war. "Passt auf jede Gurke", stand dort. Das Kondom war größer als meine beiden Söhne übereinandergestellt. Heute, wenige Jahre später, habe ich an gleicher Stelle gelesen, dass "vorzeitiger Samenerguss" behandelbar sei. Die Zeit bleibt nicht stehen. Herzlich Willkommen bei www.spaeterkommen.de. An mir scheint dabei aber einiges vorbeigerauscht zu sein. In „aller Öffentlichkeit mit sexuellen Details beschossen werden, die der zivilisierte Mensch eigentlich diskret behandelt“.
Nun gut. Ich vertrage es. Was Sitte, Intimität, Scham? Viel wichtiger zu wissen, dass „Unwissenheit auf einem so wichtigen Gebiet wie der Sexualität eine ernste Gefahr“ ist. In der Drogerie hängen am Kondom-Regal, wo ich einst Kondome pflückte, auch ein "Penisring" und ein "Minivibrator für unterwegs". Und "Analen Genuss hoch 3" bekomme ich versprochen; dazu: "Beginnen Sie mit dem Mini-Plug, der ganz sanft ins Hintertürchen penetriert." Die Spielzeugecke für junggebliebene Drogeriebesucher? Und was liegt bei Ihnen unterm Gabentisch? Welche Freude dieser Götterfunke. Mehr Porno war noch nie, mag meine Oma denken. Und dass sich die Darstellung von entblößten Körpern und Genitalien eben längst nicht mehr nur auf die Werbung oder die Titelbilder der einschlägigen Gazetten beschränkt. Von der Wiege bis zur Bahre. Die "Zeit" verrät im deutschen Gazettenwald, dass Herr Cohn kein Opfer des Zeitgeists war, als er bereits vor mehr als 30 Jahren forderte, Sex zwischen Kindern und Erwachsenen zu legalisieren.
Recht statt Reue, pflichtet Herr Sebastian Edathy bei. Und die Süddeutsche verspricht meiner Oma: "Wer nicht mehr so schnell vögeln kann, spürt mehr." Jawohl. - - Viele Arten von Kunst verzichten auf überflüssige Worte. Sex in Chatrooms und in Foren und als Filmchen in allen erdenklichen Formen – bequem und anonym, Gang-Bang mit Bushido, Sido & Co auf die Ohren. „Die Datenautobahn wird zum digitalen Straßenstrich!“ und „Net-Sex degeneriert uns zu einer reinen Masturbationsgesellschaft!“ Es verhallt der Ruf der Prüderie. Hinter solchen Behauptungen verbirgt sich allein ein überspitzter Kulturpessimismus, möchte man meinen. Kein Charisma, keine Schönheit – Sexappeal ist das Maß und die Eintrittskarte in unsere Gesellschaft geworden. „Je kontrollierter die Gesellschaft wird, umso toleranter wird sie gegenüber unseren Trieben“, lese ich. Und „unsere animalische Seite ist gesellschaftsfähig … zu einem modischen Freizeitspaß geworden – Sex ist überall.“ Sollte mir das zu denken geben – und ist dem so? Schmuddelblättchen lesen? Wofür? Lesen Sie die "Bild der Wissenschaft"!
Dort erfahren Sie: „Die Schlafposition beeinflusst den Inhalt der Träume … Danach träumen Menschen, die vorwiegend in Bauchlage schlafen, überdurchschnittlich häufig von Sex, verglichen mit Seiten- oder Rückenschläfern.“ Faszinierend. Und: Kuriose Tierwelt: „Sex kann tödlich sein“. Allerding beschränkt man sich hier auf die Betrachtung des Würgegriffs von Tintenfischmännchen, das Tintenfischweibchen bei der Paarung traktierend. Soll auch anderswo vorkommen, wie man hört. Etwas gefahrloser experimentiert es sich im Vollkörperkondom, wenn die Sexpartner Datenanzüge tragen beim Cybersex. Gefahrlos experimentieren in verschiedenen Identitäten. Und was ist es günstig, nicht an einer einzig drögen Identität zu klammern, mit neuen sozialen Rollen fantasievoll zu experimentieren. Sexualitäten sind austauschbar – Entschuldigung: wählbar. Heute trans- oder homo-, morgen bi- vielleicht auch intersexuell. Ein drittes Geschlecht versucht, politisch mehrheitsfähig zu werden, und Genderstudies sind ein gefragtes Fach an deutschen Universitäten.
Klar ist: Wer sich als Mann denkt, gehört zu jenen weißen, heterosexuellen Männern aus der Mittelschicht, die über Jahrhunderte eine Welt geschaffen, in der sie alles unterdrückten, was nicht weiß, männlich und heterosexuell war. „Und mit dieser unterdrückerischen Ideologie beherrschen sie noch immer im Großen und Ganzen die Welt.“ Und weil dem so ist, möchten (ich traue mir das mal zu sagen) Studenten die Berliner alma mata (darf man das sagen?) ihrer Wahl von dem so fürchterlich mit Diskriminierung, Rassismus, Sexismus und Homophobie verseuchten Namen derer von Humboldts befreien. Ich schweife ab. Darum möchte ich Carl Djerassi, Entwickler der Antibabypille, das Wort geben: Herr Djerassi: "Wenn ich eine junge Frau wäre, 24 Jahre alt, und jetzt meine Eier einfrieren würde, würde ich mich am nächsten Tag sterilisieren lassen. Weil dann brauchen wir überhaupt keine Verhütung mehr. Das Endresultat Zukunft wird sein: Junge Eier einfrieren, junge Spermien einfrieren, sich sterilisieren lassen, und dann ist Sex und Reproduktion total separiert."
Da ist doch der Gedanke an die alten Frömmse beinahe out. Und wie ist es praktisch, bei so viel Vergnügen diese lästige biologische Uhr endlich abzustellen. Von wegen Männer können bis ins Alter zeugen, Frauen nur begrenzt gebären. Den „Kinderwunsch auf Eis“ bieten die Unternehmen Facebook und Apple ihren jugendlichen Mitarbeiterinnen bereits heute. Erst Karriere, dann Kinder – lassen sich den Spaß bis zu 20 000 Dollar für das Einfrieren der Mitarbeiterinnenzellen kosten. Familienplanung endlich nicht mehr privat. Babys ohne Sex. Und Sex ohne das Risiko: Baby – Facebookarbeitsplatz als Mutterkreuz in spe. Die Uterus – sie ist wieder mal ein ökonomische Faktor geworden. Planvoll wollen – oder sollen? – „Frauen in besten Jahren“ zünden, womit auch immer sie der Volkswirtschaft gerade dienen. Was ein Quatsch, dass es allein doof sein könnte, als 60-jährige Mutter im Kindergarten um die Ecke gefegt zu kommen, um Levin und Chantalle zu holen.
Was ein Ärger, macht hinter vorgehaltener Hand die These die Rund’ von "Oversexed and underfucked", was meint, dass mancher bei all dem Angebot die Faxen dicke haben könnte oder einfach die Lust an der Lust verliert bei dem omipräsenten Getümmel flacher Bäuche und straffer Popos. Wo die Öffentlichkeit immer enthemmter wird, kehrt dort privat die Prüderie zurück? Will man sich nicht messen müssen und wird verklemmt? Und was bedeuten diese seltsamen jungen Leute, die Sprüche von „kein Sex vor der Ehe“, Weißes Kreuz und solch Zeug dreunen? Um dieses Gefühl gar nicht erst aufkommen zu lassen, ist Druckabbau von Nöten, an allen Ecken und Enden. Es trafen sich ganze Frauencliquen zum gemeinsamen Zelebrieren von „Sex & The City“. Und in Berlin wildert heute die „Real Social Dynamics“ Clique. Schüchternen Männern bringen die „Pick up Artists“ in Seminaren und Vorträgen bei, wie man Frauen für sich gewinnt. Ein Guru berichtet: „Dort kannst du als Mann machen, was du willst. Pack sie einfach, zieh sie zu dir, sie wird einfach nur kichern.
Ich lief durch die Straßen und zog ihre Köpfe zu meinem Schwanz, Kopf zum Schwanz, Kopf zum Schwanz. It's awesome.“ Und weil Zeitgeist hin und wieder gesellschaftliche Grundlagen benötigt, empfiehlt der Deutsche Ethikrat, „einvernehmlichen Geschlechtsverkehr unter erwachsenen Geschwistern künftig nicht mehr unter Strafe zu stellen“. Und überhaupt sei es nicht die Sache des Strafrechts, „für den Geschlechtsverkehr mündiger Bürger moralische Standards oder Grenzen durchzusetzen“. Punkt. Aber ich merke, ich schweife schon wieder von Thema ab, verliere mich bei all diesen Möglichkeiten in krude Gedanken. Darum also: Julius Fromm. Zurück zu ihm. Und der empfahl angesichts solcher Misere, ganz schlicht: „Schreiben Sie: Die Konkurrenz platzt.“ Und wir denken, dem Mann ist Genüge getan – und freuen uns, dass Sie mit so viel Interesse und sicherlich manch ausschweifendem Gedanken bis hierher bei uns geblieben sind. Frohe Weihnacht.
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