799 Jahre Köpenick

urkundeIm Januar konnten Sie lesen, dass Köpenick eigentlich wesentlich älter als 800 Jahre ist. Lassen wir aber die archäologischen und numismatischen Belege für das höhere Alter von Burg und Stadt beiseite und halten uns nur an die schriftliche, das heißt urkundliche Ersterwähnung, so wird Köpenick im Jahre 2009 genau 799 Jahre alt. Warum, das erklärt nun jemand, der es ganz genau weiß: Dr. Michael Lindner ist Mittelalterhistoriker an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und Spezialist für die Bearbeitung und Auswertung mittelalterlicher Schriftstücke, insbesondere Urkunden.

Die Zeit um 1200 war im späteren Berliner Raum eine Umbruchzeit: Bisher unbebautes Land wurde im großen Maßstab urbar gemacht, das heißt Wälder gerodet und Sümpfe trocken gelegt, Städte entstanden, ein dichteres Verkehrsnetz entwickelte sich, das Christentum setzte sich endgültig durch, die letzten Reste der slawischen Unabhängigkeit wurden beendet und neue Siedler kamen ins Land. Der jahrhundertelangen slawischen Herrschaft in Köpenick, die ihre Krönung in Jaxas Regierung (ca. 1145–1176) fand, folgte eine etwa 50 Jahre dauernde wettinische Periode, in der die Altstadt entstand.

Die Ortsbezeichnung Köpenick taucht erstmals in einem Schriftstück auf, das Konrad von Landsberg, Markgraf der Ostmark – wie die Niederlausitz damals auch hieß – ausstellen ließ. Darin werden Dinge verhandelt, die eigentlich nichts mit Köpenick zu tun haben: Der wettinische Markgraf regelt in der Urkunde Angelegenheiten seiner sächsischen Heimat im Erzgebirgsvorland. Am Schluss der Urkunde lesen wir: Acta sunt hec in Copnic (Dies wurde in Köpenick ausgehandelt). Dieser lapidare Teilsatz enthält also die erste schriftliche Nennung Köpenicks und bietet damit die Grundlage der kommenden Feierlichkeiten.

Konrad von Landsberg, ein Hochadliger aus der fürstlichen Familie der Wettiner, war als Stellvertreter des Königs mit dem Titel Markgraf ausgestattet, herrschte über die Lausitz, die damals an der Ostgrenze des Heiligen Römischen Reiches lag und deshalb auch Ostmark (Mark=Grenzland) hieß. Mit einer anderen sächsischen Adelsfamilie, den Askaniern, wetteiferten die Wettiner um Macht und Einfluss östlich der Elbe. Um 1200 besaßen diese Askanier unter anderem Brandenburg und Spandau, die Wettiner eben Köpenick und die Lausitz.

Bis dato nahm man sowohl in der Wissenschaft wie auch im interessierten Publikum an, dass die genannte Urkunde im Jahre 1209 verfasst wurde – ein aus der falschen Berechnung des Ausstellungsdatums resultierender Irrtum, der jetzt korrigiert werden kann. Erst bei Berücksichtigung des damaligen Jahresanfangs (25. März) und aller weiteren Datierungsmerkmale des Schriftstücks (wer mehr wissen will, befrage seinen Brockhaus, Google oder Wikipedia zu den Stichworten Indiktion /Römerzinszahl und Konkurrente /Sonnenepakte) gelangt man zum korrekten Datum, dem 10. Februar 1210.

Was trieb den Markgrafen Konrad mitten im Winter an Dahme und Spree? Ein Feldzug an die Oder nach Lebus, das damals ein wichtiger polnischer Stützpunkt an der Oder nördlich von Frankfurt war, wie man bisher glaubte, war es nicht. Diese militärische Aktion hatte der Wettiner bereits im Vorjahr mit der Eroberung der Feste erfolgreich beendet. Nein, der Grund war wohl der Wettstreit zwischen den verschiedenen Hochadligen, der sich um die Beherrschung von Land und Leuten, den Ausbau des eigenen Besitzes, die Steigerung der Einkünfte und des Ansehens, kurz: um mehr Macht drehte. Konrad von Landsberg wollte offenbar durch einen herrschaftlichen Akt, wie es die Ausstellung eines offiziellen Dokuments ist, aller Welt – das heißt seinen fürstlichen Konkurrenten: den brandenburgischen Askaniern, der polnischen Herrscherfamilie der Piasten, den pommerschen Herzögen und den Magdeburger Erzbischöfen – zeigen, wer in Köpenick der Herr im Hause ist.

Bei seinem Besuch im Februar 1210 in Köpenick konnte Markgraf Konrad noch einmal die Fortschritte vor Ort beobachten, denn – wie wir aus archäologischen Funden wissen – wurde seit den 90er Jahren in der Altstadt rege und eindrucksvoll gebaut. Es war Konrads letzter großer Auftritt. Drei Monate später, am 6. Mai 1210, starb er gerade mal fünfzigjährig und wurde in Zschillen (heute Wechselburg zwischen Rochlitz und Chemnitz) in der Grablege seiner Familie an der Seite seines Vaters und seiner Brüder beerdigt.

Die Untersuchung der sterblichen Überreste des Markgrafen Konrad von Landsberg hat gezeigt, dass er bei seinem Aufenthalt in Köpenick Anfang 1210 schon vom Tode gezeichnet war. Es muss dem Markgrafen also sehr wichtig gewesen sein, in einem so schlechten körperlichen Zustand noch einmal an Dahme und Spree zu reisen, um der Nachwelt ein Zeugnis seiner Herrschaft in Köpenick zu hinterlassen.

Seine verwandten meißnischen Markgrafen, an die Köpenick mitsamt der Ostmark/Lausitz mangels überlebender Söhne Konrads nach dessen Tod fiel, zeigten an dem entlegenen Stützpunkt an der Spree jedoch weniger Interesse. Von Meißen aus gesehen, waren andere Probleme wohl wichtiger. Und so ging Köpenick Ende der 1230er Jahren an die fürstliche „Konkurrenz“ verloren: an die brandenburgischen Markgrafen, die Askanier. Diese setzten nach der Eroberung einen Vogt (Amtmann) in Köpenick ein, der 1245 erstmals in den Schriftquellen erscheint.

Nun wissen wir also: Das Jubiläum „800 Jahre Köpenick“ wird 2009 im falschen Jahr gefeiert. Aber macht nichts: Feiern wir eben nächstes Jahr noch einmal! Wenn das kein gelungener PR-Gag ist!


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