Umso verwunderlicher erscheint jetzt, warum Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) sich in den vergangenen Tagen so offen gegen ein BGE aussprach und stattdessen mit dem Vorschlag eines „solidarischen Grundeinkommens“ aufkam. Letzteres sieht vor, Arbeitssuchenden eine gemeinnützige Anstellung auf Mindestlohnniveau zu verschaffen. Angesetzt werden dafür rund 1200 Euro.
Im Zuge dessen hatten unter anderem Detlef Scheele, Vorstandschef der Bundesagentur für Arbeit (BA), und Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), harsche Kritik an der Idee eines solidarischen Grundeinkommens geäußert. Für Scheele sei dies ein „Begriff, der in die Irre führt“.
Treptow-Köpenick hat mit die geringsten Transferleistungen
In den Expertisen heißt es, der Bezirk Treptow-Köpenick erfülle die Kriterien für ein räumlich begrenztes Pilotprojekt unter anderem mit der „niedrigsten bezirklichen Armutsrisikoquote, der niedrigsten Quote an Personen mit einem Einkommen unter 700 Euro an der Bevölkerung, den (mit) geringsten Transferleistungsquoten (SGB II, SGB XII), aber auch einer der niedrigsten Reichtumsquoten in Berlin“ (siehe auch Sozialstrukturatlas 2013). Mit durchschnittlich 73 Quadratmetern Wohnfläche je Einwohner bei einer Durchschnittskaltmiete von 6,60 Euro pro Quadratmeter ist Treptow-Köpenick am dichtesten am Vergleichswert zu Gesamtberlin dran (73,1 Quadratmeter bei 6,70 Euro).
900 Euro monatlich – aber vielleicht nicht für jeden?
In einem ersten Entwurf ist eine Zuwendung in Höhe von monatlich 900 Euro in einem Zeitraum von zwei Jahren angedacht. Aus den Dokumenten nicht genau ersichtlich ist, an wen sich das Pilotprojekt konkret richten soll. Ursprünglich vorgesehen waren dem Anschein nach nur Teilnehmer, die zum Zeitpunkt der Projekteinführung Leistungen nach dem SGB II (Hartz IV) beziehen und zum Stichtag 01. Januar 2018 mit dem Hauptwohnsitz in Treptow-Köpenick gemeldet sind – für die übrigen Leistungsempfänger bliebe der Status quo erhalten.
Der Fachbereich „Arbeit und Soziales“ der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages (WD) bemerkte in einer Ausarbeitung vom Oktober 2016, dass dies zu einer „Ungleichbehandlung zwischen den Bedürftigen“ führen würde, was das sogenannte Willkürverbot verletzt. Allerdings stellt er ebenso fest:„Der sachliche Grund für die Ungleichbehandlung ist in der Erwägung zu sehen, dass der Gesetzgeber ein schutzwürdiges Interesse daran hat, die mit der Erprobung naturgemäß verbundenen Unwägbarkeiten einzugrenzen und das Vorhaben praktikabel zu gestalten.“
Berlin als möglicher Impuls für Schleswig-Holstein
Sollte das Vorhaben in Berlin tatsächlich umgesetzt werden, würde das eventuell Impulse für ein anderes Bundesland geben: In Schleswig-Holstein hat die Jamaika-Koalition aus CDU, FDP und Grünen bereits im vergangen Jahr im Koalitionsvertrag festgehalten, die „Umsetzbarkeit neuer Absicherungsmodelle“ zu prüfen. Allerdings ist bislang offen, wie das genau aussehen soll. Im Gespräch ist neben dem bedingungslosen Grundeinkommen auch ein liberales Bürgergeld, bei dem niedrige Einkommen staatlich bezuschusst werden.
Eine Stellungnahme des Senats und des Regierenden Bürgermeisters Michael Müller zu den jetzt bekannt gewordenen Plänen wird für kommenden Dienstag erwartet. Die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Treptow-Köpenick war für „Anliegen in dieser Frage“ bislang nicht zu sprechen.