Kollateralschaden

Die Leberschadencrew vereinen die Liebe zum flüssigem Genuss, tief verwurzelter Heimatverbundenheit sowie uneingeschränkte Treue zu Stammtisch und Lieblingskellner
p1000898 Es gibt kaum eine Band, bei der Programm und Name mehr zueinander passen, als bei diesen Jungs: Carlos, Paul, Oli, Max und Björn, a.k.a. die Leberschadencrew vereinen die Liebe zum flüssigem Genuss, tief verwurzelter Heimatverbundenheit sowie uneingeschränkte Treue zu Stammtisch und Lieblingskellner tagein tagaus. Wie sollte es auch anders sein, ich treffe vier der fünf Bandmitglieder im RABU zu einem Interviewtermin mit Heimvorteil. Natürlich sorgt Slavko, das gastronomische Idol der Band, für das leibliche Wohl an diesem Abend: Kümmelschnaps und Pilsner Urquell. Angefangen hat alles, so erfahre ich, nach einiger Überlegungszeit (schließlich sind die Hirne nach all den Jahren exzessiven Konsums etwas angegriffen), im Jahr 2003. Nach dem ersten musikalischen Kontakt auf der Freestylebühne im All folgten zahlreiche handfeste Trinkgelage. Ob diese von Beginn als Rekrutierungsmaßnahme dienen sollten, wissen die Jungs auch nicht mehr. Fakt ist: Das Partyleben trug nicht nur zum Zuwachs der Band bei, sondern führte auch zu einer schier unendlichen Fülle an Texten und Inspirationen
„Schließlich kann man aus Allem was machen“,
so Paul (Text, Gesang), „sei es die verführerische Schönheit bei Getränke Hoffmann, die Kerzen am Weihnachtsbaum oder eben der ultimative Garçon und Lebensretter Slavko.“ Der ist für die Jungs der Inbegriff eines Kellners schlechthin, der Feuchtigkeitsspender, der Lichtblick im Gastro-Dschungel, der menschliche Kummerkasten. Sorgen und Leid findet man in der Tat vergebens in den Texten der Crew, Slavko scheint also nicht nur ein Meister des Frischgezapften. Schließlich geht es vor allem um eins, da sind sie sich alle einig: „Wir machen Party und so!“. Der Brückenschlag zwischen Aerosmith, Alphaville und Falco gelingt mit Hilfe des flüssigen Bindeglieds problemlos und geht in den Gehörgang. Das merkt man nicht zuletzt live. Gelegenheiten gibt es unzählige, denn nur zu gern tauschen die Fünf den Barhocker gegen die Bretter, die die Welt bedeuten. Grenzen gibt es keine, sowohl geografisch als auch was die Besucherzahlen angeht. Gerockt wird was das Zeug hält, ob vor drei besoffenen Go-Go-Punks im Fred Feuersteinkostüm, 250 sturzbesoffenen Teens im stickigen Kino Union oder bei einem spontan organisierten Überraschungskonzert im All. Selbst im allseits geliebten Forum Köpenick könnten sie sich mal einen Gig vorstellen. Vielleicht zusammen mit Kai Lypse beim Bimmel-Bingo, auf der schönen Bühne am Springbrunnen. Als eine junge Mutter sich bei einem Konzert an der Ostsee zeitweilig selbst vergaß und Oli, mitsamt ihrem Spross auf dem Arm, für einen Tonträger bekniete, stand der Entschluss fest, eine Platte zu machen. Heute steht
„Der Balkon ist keine Kneipe“
noch vor Tokio Hotel in den Plattenregalen der Köpenicker Teens. Ihrer Vorbildrolle sind sich die rappenden Sex Pistols aus Köpenick durchaus bewusst. Trinken und Rauchen für Minderjährige? Für Max ist klar: Der Alkohol ist die mit Abstand gefährlichere Droge. Wichtig ist der bewusste Konsum, nicht das maßlose übertreiben. Schließlich sind lange Abende sehr viel wertvoller, als das kurzlebige Abschießen. So lieferte die Beschwerde von Nachbarn nach einer dieser legendären durchzechten Nächte im Köpenicker Plattenbau ohne Umschweife den Titel für das Album. „Der Balkon ist keine Kneipe“ (Vertrieb über Alpha Centaurus) strotzt nur so von krachenden Beats, frischen Anekdoten und wahnwitzigen Einspielungen. Soziale und selbst politische Themen finden sich hier und dort zwischen den Zeilen. Da braucht es schon etwas mehr Verstand, als zum Bestellen von 50 Tequila, um da mithalten zu können. Grund genug, einmal nach der Einstellung zu den Charts und dem ganzen Wirrwarr um gewaltfördernde Lyrics, Ganggehabe und Dieter Bohlen zu fragen. Für Paul sind Fler, Sido & Co. trotz anderer Zielgruppe und Machart durchaus respektable Musiker. Sie alle singen halt über ihr Leben. Wenn ihn jemand fragen würde, ob es nicht an der Zeit wäre, mal wieder den Grand Prix d’Eurovision mit Köpenicker Luft durcheinanderzuwirbeln, erhält er ohne langes Zögern ein einstimmiges
„Na logisch“
als Antwort. Retortenformate wie DSDS oder Popstars sollten hingegen verboten werden, einen Kellner wie Slavko kann man ja auch nicht einfach so casten. Außerdem könnte Oli, der workaholic, es zwischen Gourmetküche, Schreibtisch und Barhocker nicht auch noch einrichten, zu den ständigen Re-Re- und Re-Recalls zu jetten. Den Urlaub in der Karibik gönnen ihm seine Bandkollegen von tiefstem Herzen. Anfang Februar geht es ja dann schon wieder „on stage“, diesmal im YAAM – ein Termin, den Du, lieber Leser, hoffentlich nicht verpasst hast. Falls doch, dann schau doch mal im Netz vorbei. Dort hat die „Bandmutti für alles“, Zwulk, wahrscheinlich schon neue Fotos vom Gig veröffentlicht. Und wenn nicht: Geht ins RABU und fragt Slavko. Der weiß, wo die Jungs stecken, wann sie wieder mal kommen – und wenn alle Stricke reißen, holt er Euch raus aus Eurer trüben Alltagswelt. In diesem Sinne: PROST!  

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