In die Schlagzeilen geriet der Hauptmann zuletzt aber aus einem anderen Grund. Er sollte auf Antrag des CDU-Bundestagskandidaten Prof. Dr. Niels Korte in die Liste des immateriellen Kulturerbes bei der Deutschen UNESCO-Kommission aufgenommen werden. Der Aufnahme in besagte Liste geht ein mehrstufiges, formelles Verfahren voraus. Der Hauptmann scheiterte bereits auf der ersten davon, die zuständige Senatsverwaltung für Kultur lehnte den Antrag ab.
In der Begründung heißt es, der Hauptmann sei „ein deutliches Sinnbild für die Mentalität einer Zeit, in der das Militaristische stark überhöht wurde und allein das Tragen einer Uniform als Legitimation ausreichend war.“ Die Köpenickiade, wie der Stadtkassenraub des Wilhelm Voigt auch genannt wird, sei
„mit dem deutschen Kaiserreich und dem preußischen Militarismus verbunden und nicht mehr zur Identifikation geeignet“.
Dementsprechend wird in Frage gestellt, „welche Bedeutung sie in unserer heutigen Gesellschaft noch hat bzw. haben könnte.“ Die Entrüstung der Köpenicker darüber war mindestens bis Spandau zu hören. Aber hat sie auch dann noch Substanz, wenn die von Wahlkampf, Parteipolitik und persönlicher Disposition bedingten Motive ausgeblendet werden?
Immaterielles Erbe ist kein Personenschutz
Was für Köpenick eine klare (und zu Unrecht nicht beschlossene) Sache scheint: Der Hauptmann ist „immaterielles Kulturerbe“. Kaum jemand macht sich die Mühe nachzulesen, was damit eigentlich gemeint ist. Erfasst sein sollen
„kulturelle Ausdrucksformen, die unmittelbar von menschlichem Wissen und Können getragen, von Generation zu Generation weitervermittelt und stetig neu geschaffen und verändert werden“.
Und eben dort beginnt auf der formalen Ebene die Schwierigkeit. Der Hauptmann ist der Hauptmann. Kulturelle Ausdrucksform? Nein. Wissen und Können? Auch nicht so richtig. Von Generation zu Generation weitervermittelt? Ganz schwieriges Thema. Das immaterielle Erbe zielt eher auf den handwerklich-künstlerischen Bereich und das damit verbundene Brauchtum ab, von Blaudruck bis Brotkultur. Entsprechend schwierig ist es, diesen Schutz auf eine Person auszuweiten. Personenschutz ist eigentlich nicht vorgesehen.
Zumeist wird an dieser Stelle der seit 2014 im Bundesland Niedersachsen anerkannten Rattenfänger von Hameln verwiesen.
Übersehen wird dabei, dass eben nicht die Person des Rattenfängers geschützt ist, sondern ausdrücklich die kritische und vielfältige Auseinandersetzung der Hamelner Bürger mit der Rattenfänger-Sage. Die kritische Auseinandersetzung mit dem Hauptmann von Köpenick müsste eine sein, die alle Aspekte der historischen Figur aufnimmt – und zwar gerade solche, die heute anders gewürdigt werden als 1906.
Denn während zu dieser Zeit die Köpenickiade zu Recht als Schelmenstück gefeiert wurde, als Geniestreich, der Obrigkeitshörigkeit und Militarismus ins Lächerliche zieht, würden wir den gleichen Sachverhalt heute anders schildern und auch bewerten.
Die Kommentarspalte bei Facebook unter der Nachricht, dass einem mehrfach vorbestraften Intensivtäter ein schwerer Raub gelungen ist, wäre womöglich von sehr viel weniger Wohlwollen und dem Wunsch nach deutlich mehr Polizei geprägt. Wer das nicht glaubt, möge die Anmerkungen zum jüngst auf dem Alexanderplatz vorgefallenen Raub lesen.
Zur Aufnahme nicht tauglich
Die bloße Wiedergabe des Köpenicker Stadtkassenraubes als Heldengeschichte ist, auch wenn historisch korrekt wiedergegeben, nicht tauglich für die Aufnahme in die Liste immateriellen Kulturerbes. Die Geschichte des Wilhelm Voigt funktioniert wohl in ihrer Zeit. Heute ist sie erklärungsbedürftig.
Wenn es gelingt, diesen Kontext mitzuliefern und die Köpenickiade ins Jetzt zu transponieren, sie „stetig neu zu schaffen“ wie es das Antragskriterium beschreibt, so dass eben nicht die Person des Hauptmannes von Köpenick im Vordergrund steht, sondern die Auseinandersetzung mit seiner Tat wie sie damals und wie sie heute betrachtet wird, stehen die Chancen für eine erfolgreiche Antragstellung deutlich besser.
Sie erhöhen sich dramatisch, wenn ein Konzept für künftige Verankerung der Hauptmann-Geschichte in Köpenick vorgelegt werden kann, denn – wir erinnern uns – die Weitergabe von Generation zu Generation ist ebenfalls ein Entscheidungskriterium.
Beides ist kein Hexenwerk und kann beim nächsten Antrag nachgebessert werden. Denn unzweifelhaft ist der Hauptmann ein Magnet für den Köpenicker Tourismus, und nicht einmal die größten Hauptmann-Kritiker können in Abrede stellen, dass er zu seiner Zeit ein Held war. Ein bißchen Reflexion jedoch hat noch keinem Helden geschadet.