Kommissar Grosser vermochte jedoch noch nicht das Grundmuster hinter diesen Vorkommnissen zu erkennen. So ermittelte er vorerst in alle Richtungen. Chantalle G. war wie jeden Dienstag mit ihren Nordic- Walking-Stöcken am Müggelsee unterwegs. Bei „Schrörs hatte sie sich im Vorübergehen eine Currywurst genehmigt. Jenseits des Spreetunnels verlor sich ihre Spur. Kommissar Grosser war unzufrieden. Der Fall steckte in einer Sackgasse.
Nachdenklich betrachtete er die weite Wasserfläche. Segelboote kreuzten in der Sonne, doch der Instinkt des erfahrenen Spürhundes mahnte ihn, dieser Idylle nicht zu trauen. Hatte es nicht vor mehr als dreißig Jahren einen ähnlich mysteriösen Fall gegeben? Die Akteure von damals waren längst im Ruhestand und hatten seither eine Mauer des Schweigens um sich errichtet.
Nach dem dritten Klingeln öffnete Wolfgang Waldmeister in einem vielfarbigen Jogginganzug die Tür. Die Zeit hatte auch vor ihm nicht halt gemacht. Seit Sven mit einem solventen Gastronomen liiert war, lebte er wieder allein. Grosser hatte ihn am Telefon nachdrücklich um ein Gespräch gebeten und der Pensionär hatte keine Kraft mehr, noch länger vor der Vergangenheit davon zu laufen. Auf dem Couchtisch lag eine dünne Mappe mit Zeitungsausschnitten und handschriftlichen Notizen. Nachdem die Presse* im vergangenen Jahr über das Monster aus dem Müggelsee berichtete, waren seine Erinnerungen wieder sehr lebendig. Grosser schilderte alle wesentlichen Fakten zum Fall Chantalle.
Waldmeister hörte aufmerksam zu, ohne ihn zu unterbrechen. „1977 war ich in ihrem Alter, ein junger Kommissar mit großen Ambitionen. Ich habe nicht jedes Detail zu Protokoll gegeben. Manches schien mir unwichtig. Außerdem behielt ich gern einen Trumpf in der Hinterhand. Für das Verschwinden einer Nordic- Walkerin kann es viele gute Gründe geben. Um ihren konkreten Verdacht zu erhärten, sollten sie vor allem zwei Fragen stellen: Erstens, ist Zucker verschwunden? Und zweitens, wird irgendwo Bier vermisst?“
Zehn Minuten später startete Wolfgang Waldmeister seinen Außenborder. Offensichtlich hatte er diesen Tag seit langem herbeigesehnt. Mit Hilfe scharfkantiger Gartengeräte hatte er seinen alten Angelkahn zu einer tödlichen Waffe umgerüstet. Grosser war beeindruckt.
Im Kielwasser eines ausgebuchten Ausflugsdampfers erreichten sie am Nachmittag den Müggelsee. Vom Oberdeck winkten gut gelaunte Touristen zu ihnen hinab. Unvermittelt senkte sich die Wasseroberfläche, um sich im nächsten Augenblick zu einem schäumenden Wellenberg vor ihnen aufzutürmen. Mit ohrenbetäubenden Brüllen meldete sich Müggula in der Gegenwart zurück und ließ das Fahrgastschiff mit Mann und Maus mühelos in seinem geräumigen Verdauungstrakt verschwinden.
Grosser war starr vor Entsetzen. Ein harter Faustschlag warf ihn über Bord. „Versuchen sie das Ufer zu erreichen!“, brüllte ihm Waldmeister hinterher. Er wischte sich mit dem Ärmel über das nasse Gesicht und blieb unbeirrt auf Kurs. Womöglich hatte sich Müggula mit seiner reichhaltigen Malzeit ein wenig übernommen. Verwundert schaute das gefräßige Ungetüm auf den kleinen alten Mann, der in diesem sonderbaren Angelkahn endlich seinen Frieden finden wollte…
Sebastian Köpckes „Müggula!“
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