Gerd war eine etwas schwärmerische Natur. Sein seelenvolles Mopsgesicht strahlte milde Güte aus. Am liebsten las er alte Ritter- und Heldensagen, bei denen man sich wohlgemut mit großen Schwertern die kleinen Kohlrüben einschlug.
Gerds letzter Verstand floss aus seinen Nasenlöchern, als er die 15 jährige Angelika P. kennenlernte, die bereits zweimal sitzengeblieben war und noch immer verdrossen die Schulbank drückte.
Am ersten Pfingstfeiertag erschien bei ihren Eltern zum allgemeinen Entsetzen ein junger Mann namens Gerd, schwang einen riesigen Feldblumenstrauß und hielt artig um die Hand des Mädchen Angelika an. Vater Ludwig hätte beinahe sein Gebiss und die Nudelsuppe fallen lassen, so erschrocken war er.
Mit überzeugenden Worten versuchte der dem Freier klarzumachen, dass Angelika noch mit Puppen spielte und ansonsten sowieso nicht alle Tassen im Schrank habe. Das wäre Nebensache, er wollte sowieso die Frau heiraten und nicht ihren Verstand, meinte Gerd überlegen. Nach endlosen Diskussionen schlug er schließlich erbost mit der Hand auf den Tisch:
„Und seid ihr nicht willig, so brauch ich Gewalt!“
Wonach er sich unter drohenden Reden entfernte. „Der hat uns gerade noch gefehlt! Wir haben schon genug Idioten in der Familie!“ atmete Vater Ludwig erleichtert auf und wandte sich wieder seiner inzwischen erkalteten Nudelsuppe zu.
Angelikas Eltern wohnten in einer Wohnlaube in Uhlenhorst. Als es Mitternacht geworden war, quälte sich eine eierköpfige Gestalt mühselig über den Gartenzaun, drohte vorsichtig mit dem Knüppel nach allen Seiten und schlich sich zu dem Fenster, hinter dem die Jungfrau Angelika zitternd ihres Ritters und Entführers Gerd harrte. „So entreiße ich dich der Hand des Tyrannen!“ stotterte er pathetisch.
„Jehn wa lieber hinten raus durch'n Stall, ehe Vater uffwacht und SÜLZE aus dir macht!“
rief Angelika viel prosaischer und führte ihren Entführer über den Korridor in den Stall, der einen zweiten Ausgang zur Straße hatte.
Ob Angelika hier nun den armen Gerd gleich verführen oder nur ihren Dank abstatten wollte, weiß man leider nicht mehr so genau. Jedenfalls begann man sich sehr aufgeregt zu küssen. Dabei trat Gerd versehentlich dem mächtigen Gänserich Jonatan auf die linke Pfote.
Jonatan schrie auf und hackte dem Attentäter seinen Schnabel in die dürre Wade. Die restlichen 27 Gänse schlugen wild mit den Flügeln und spektakelten mit. Jonatan aber jagte den heulenden Gerd kreuz und quer durch den Gänsestall und brachte ihm noch so manchen Hieb bei, ehe Vater Ludwig mit Nachthemd und Mistgabel antanzte.
Am meisten freute sich Ritter Gerd darüber. Gern ließ er sich schmählich mit dem Forkenstiel durchprügeln und war glücklich, dem rasenden Gänserich LEBEND entronnen zu sein.
Vater Ludwigs Anzeige brachte Gerd 8 Monate Gefängnis wegen versuchter Entführung einer Minderjährigen ein. Der Staatsanwalt lächelte freundlich: „Das kommt davon, wenn man sich mit Gänsen einlässt!!“, was sehr zweideutig war.