Morbider Charme, maroder Beton

Das Strandbad Müggelsee in Rahnsdorf
Wenn BVG-Busse im schmelzenden Asphalt steckenbleiben und es in S-Bahn und Tram kaum noch auszuhalten ist vor Schwüle und wilden Gerüchen, dann hat der Berliner vielen anderen Großstädtern immerhin eines voraus: Dank der letzten Eiszeit gibt es im einstigen Urstromtal genügend Wasserlöcher, in die der Metropolist sich flüchten und darin abkühlen kann.
Foto: Dietrich von Schell
Die größte dieser „Volksbadewannen“ ist der Müggelsee, und das größte Freibad an dessen Ufern ist das in Rahnsdorf. Bereits zu Beginn des vorigen Jahrhunderts tauchten am Rahnsdorfer Strand vermehrt „wilde“ Badefreunde auf. Auf dass die Damen und Herren mangels Kabinen sich nicht mehr unsittlich entblößen mussten, um hernach in ihre schicken Badekostüme schlüpfen zu können, wurden ab 1910 Zelte aufgestellt. 1912/13 entstand dann eine feste Anlage mit hölzernen Umkleidepavillons und anderen Einrichtungen für die Freizeitbeschäftigung im Freien. Nachdem diese 1928 abgebrannt war, wurde in den folgenden Jahren nach Plänen des Architekten Martin Wagner – der auch an der berühmten Britzer Hufeisensiedlung beteiligt war und auf den die Konzeption des Strandbades Wannsee zurückgeht – im Stil der „neuen Sachlichkeit“ ein kurvenförmiger, zweistöckiger Steinbau angelegt, der alles beherbergte, was eine solche Anlage zu dieser Zeit benötigte: von Sanitäranlagen über Gastronomie bis hin zur Rettungsstelle. In den 50er Jahren wurde das Bad anlässlich der Weltjugendspiele vergrößert. Die zwischenzeitlich entstandene Laubenkolonie musste weichen. Dafür gab es hier nun eine Freilichtbühne und ein neues Bungalowdorf. Auch in den 70ern erweiterte man mit sozialistischem Fleiß: Gaststätte und Diskothek, Sauna, Kegelbahn und Bootsverleih komplettierten nun das Bad. Mit einer tief im Boden verankerten Betonkante befestigte man das Ufer, sei es, um den Strand besser maschinell von angeschwemmtem Unrat reinigen zu können oder um zu verhindern, dass der Sand fortgeschwemmt wird. Nach 1989 ging es mit dem Strandbad bergab… Nach und nach blieben die Besucher aus – auch wegen der hohen Eintrittspreise und der arg eingeschränkten Öffnungszeiten. 1996 drohte die Schließung, weil die Berliner Bäderbetriebe die Kosten nicht mehr tragen konnten. Dass es nicht so kam, ist wohl vor allem der Initiative der Rahnsdorfer Bürger zu verdanken. Nicht zuletzt durch ihr Engagement wurde erreicht, dass das Bad in die Verantwortung des Bezirksamtes Treptow-Köpenick überging. Seitdem ist der Strand ganzjährig von 9 Uhr bis Sonnenuntergang kostenfrei zugänglich, und Ein-Euro-Jobber sorgen für die nötige Sauberkeit. Über 100.000 Gäste kommen nun wieder pro Jahr, Tendenz steigend. Alles in Butter also? Mitnichten! Von den denkmalgeschützten Fassaden bröckelt der Putz, Metallteile rosten vor sich hin, Wasser dringt in die leerstehenden Räume. In der Betonkante am Ufer klaffen tiefe Risse, ganze Teile sind abgebrochen. Unter der Wasseroberfläche lauert scharfkantiger Armierungsstahl auf den Beginn der Badesaison und die ersten leichtsinnigen Planschgäste. Und er wartet sicher nicht umsonst: In den letzten Jahren gab es hier immer wieder Unfälle, sogar der Rettungshubschrauber musste landen. Mittlerweile seit 2006 kämpft der Rahnsdorfer Bürgerverein darum, dass wenigstens die gefährliche Uferzone gesichert wird. Aber außer dem Schild „Baden auf eigene Gefahr“ und dem Spannen von mehreren Dutzend Metern einer rot-weißen Absperrkette ist bisher nichts passiert. Bei jeder Anfrage, wie es nun weitergeht, gab es in den letzten Monaten vom Amt eine andere Auskunft – nachzulesen in der Berliner Tagespresse. Der Stand im April: Die Behörden lehnen den sofortigen ersatzlosen Abriss der Befestigung ab, weil befürchtet wird, dass sich danach der Uferverlauf ändert und ausgebrochene Kanten (wie z. B. im nebenliegenden Waldstück) auftreten. Darum hat der Bezirk bei der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung Gelder beantragt, mit denen er ein Gutachten finanzieren will, das die Strömungsverhältnisse im Müggelsee messen und feststellen soll, wie sich Wellen und Strömung auf den Strand auswirken. Solch ein Verfahren kann dauern. Für den Laien erscheint es ohnehin seltsam, dass der Abriss der Betonkante so problematisch sein soll. Ging es doch Jahrzehnte vor ihrer Errichtung und geht es bis heute links und rechts von ihr auch sehr gut ohne sie. Um zumindest die akute Verletzungsgefahr zu bannen, sollen in den nächsten Wochen einzelne Stellen der Betonkante mit Holz beplankt werden, hieß es von Seiten des Bezirksamtes auf Anfrage des Maulbeerblattes. Schade, dass seit letztem Jahr ausgerechnet auch noch ein Strandabschnitt ohne Betonkante dem benachbarten Catamaran- und Surf-Club zur Nutzung überlassen wurde. Nun fehlen nicht nur ein paar Meter Sandstrand, sondern jetzt starten die Katamarane erstaunlicherweise innerhalb des durch Bojen gekennzeichneten Bereichs, der ja nun eben Wasserfahrzeuge daran hindern soll, den Badenden zu nahe zu kommen. Und die Gebäude? Schon 2005 erklärte sich die Stiftung Denkmalschutz Berlin bereit, die Sanierung des Strandbades zu übernehmen. Erfahrung mit solchen Anlagen besitzt die Stiftung allemal, hat sie doch erfolgreich den „großen Bruder“ des Rahnsdorfer Bades am Wannsee wieder auf Hochglanz Hochglanz gebracht. 2006 also ging dem Bezirksamt Treptow-Köpenick der Entwurf eines Konzeptes zu. „Der Bezirk hat, wenn überhaupt, sehr ausweichend und unzulänglich reagiert“, äußerte der Geschäftsführer der Stiftung im Januar gegenüber dem rbb und fügte hinzu, dass man den Eindruck habe, der Bezirk möchte mit der Stiftung nicht zusammenarbeiten. Für den denkmalgeschützten Bereich sollen nun ab Juni 2008 durch ein öffentliches Interessenbekundungsverfahren private Investoren gefunden werden. Genau dies hatten jedoch die Bäderbetriebe zuvor jahrelang versucht – ohne Erfolg. Was Wunder! Welcher private Investor übernimmt schon allein die Kosten für die millionenschwere Sanierung eines denkmalgeschützten Objektes, das weiterhin öffentlich zugänglich sein soll? Darum soll vor Beginn des Verfahrens nun doch die Stiftung Denkmalschutz ins Boot geholt werden. Dem Maulbeerblatt gegenüber hieß es vom „Servicebereich Facility Management, Fachbereich Liegenschaften“, man wolle „den verlorengegangenen Faden wieder aufnehmen und auf die Stiftung zugehen“. Auch für die übrigen, nicht denkmalgeschützten Bereiche gibt es laut Amt mittlerweile genauere Vorstellungen. Der westliche, parkähnliche Bereich des Strandbades soll weiterhin vom Bezirkssportbund bewirtschaftet werden, für den FKK-Strand ist die Zukunft noch offen. Möglich sei hier die Gründung eines FKK-Vereins. Das Sauna-Gebäude soll an den Betreiber verkauft, die Großraum-Disco abgerissen werden. Das Jugenddorf des Jugendbund DJO – Deutscher Regenbogen e. V. bleibt weiterhin bestehen. Allerdings soll der Zaun des Geländes vom Uferbereich zurückgesetzt werden, so dass dann ein durchgängiger Wanderweg von Friedrichshagen bis zum Strandbad entstehen kann. Für das an heißen Tagen akute (und für das Ordnungsamt besonders einträgliche) Parkplatzproblem gibt es keine kurzfristige Lösung. „Kein Geld!“ Natürlich. Hier wird man auf den noch zu findenden privaten Investor warten müssen. Bis dahin darf man sich notfalls wieder auf die brütende Hitze und die Düfte in S-Bahn und Tram einlassen, um zum Strandbad zu gelangen. Immerhin hat man es ja von der Haltstelle dann nicht mehr weit zu frischer Seeluft und kühlendem Nass.

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