Im Gespräch mit Andreas Dresen

Die Lust am Scheitern oder warum man immer ein weißes Taschentuch dabei haben sollte
Im April folgte Filmemacher Andreas Dresen einer Einladung zu einem Gespräch mit mir in die Mark-Twain-Bibliothek in Berlin-Marzahn. Die Puppenspielerszene im Film „Gundermann“ wurde in eben jenem Saal des Freizeitforums gedreht. Ein passender Ort also für unser Gespräch vor über 200 neugierigen Zuhörern. Hier nun Auszüge aus dem Gespräch über „Gundermann“,  die Notwendigkeit des Scheiterns, Opernstars und weiße Taschentücher ... 
Der Regisseur Andreas Dresen im Publikumsgespräch in der Mark-Twain-Bibliothek in Berlin Marzahn
Foto: Danuta Schmidt

Für den Film über den ostdeutschen Musiker und Baggerfahrer gab es am 3. Mai die Goldene Lola. Herzlichen Glückwunsch. Worüber haben Sie sich am meisten gefreut und warum?
Am meisten habe ich mich darüber gefreut, dass diese Preise ja von den eigenen Kollegen verliehen werden, die darüber abstimmen. 2000 Filmleute, die ja überwiegend aus dem Westen kommen – da scheint etwas in Bewegung zu sein, das mich unheimlich glücklich macht.

Im August 2018 hatte „Gundermann“ Premiere. Gibt es zehn Monate danach noch Reaktionen?
Das nimmt natürlich ab. Es ist ja nicht mehr die Starteuphorie. Aber es gibt aber immer noch Kinos, die den Film spielen. In Köln zeigt ihn ein Kino seit August und er ist immer noch voll. Es ist schön, wenn der Film die „Grenzen“ überspringt, wenn Menschen 30 Jahre nach der Wende „Gundermann“ und ein Stückchen DDR-Geschichte für sich entdecken.

„Bei Rio Reiser hätte uns niemand diese Fragen gestellt.“

Eine Frau aus Nürnberg schrieb mir, dass sie nach Ende des Abspanns eine Frau aus dem Osten kennengelernt habe. Beide gingen danach ein Bier trinken und haben sich gegenseitig ihre Geschichte erzählt. Es war ein Tag nach dem 3. Oktober... Der Film gibt möglicherweise die Chance, sich füreinander zu öffnen. Vielleicht haben wir viele Jahre versäumt, auf eine genaue Art neugierig zu sein auf den anderen und uns unsere Geschichten zu erzählen.

Sie haben auch mit Schulklassen gesprochen. Was haben Sie dort als Regisseur und Mensch erfahren?
Ich hab mich immer ein bisschen geärgert, dass der Film „Das Leben der anderen“ nun zum Schulstoff gehört und die, die ihn sehen, ein völlig falsches Bild davon bekommen, wie es in der DDR gewesen ist. In den Gesprächen zu „Gundermann“ wird natürlich nach der Stasi gefragt und wie man sich auf diese Art verstricken konnte. Und man merkt dann sehr schnell miteinander, dass es keine einfachen Antworten gibt.

350.00 Menschen haben den Film „Gundermann“ deutschlandweit gesehen. Warum haben Sie 12 Jahre am Film gearbeitet?
Am meisten hat die Drehbuchautorin Laila Stieler daran gearbeitet. Sie hat eine Fassung nach der anderen geschrieben. Laila hat viele Gespräche geführt, natürlich in erster Linie mit Conny, der Frau Gundermanns. Sie hat mit der Band gesprochen, mit vielen Leuten, zu denen Gundermann eine Beziehung hatte. Wir haben die dicke Stasi-Akte gelesen – unerfreulicherweise.

Es schlug uns über die Jahre auch ein gewisses Misstrauen entgegen, das hat ein bisschen genervt und war auch bei der Finanzierung nicht ganz einfach. Immer wieder hieß es: Ein Baggerfahrer, der auch Musiker ist? Den kennt doch keiner!

„In einer Welt der Schönen, Reichen und Erfolgreichen schielt man, besonders in der Kunst, natürlich nach Erfolg.“

Irgendwann hab ich dann gesagt: Wer kannte denn Toni Erdmann? Bei Rio Reiser hätte uns niemand diese Fragen gestellt. Man muss sich da immer noch rechtfertigen. Nach diesem langen Weg waren wir uns selbst irgendwann gar nicht mehr so sicher. Wenn immer alle sagen, das will doch keiner wissen: irgendwann glaubt man das dann auch. Und das hat sowohl Laila als auch mich verunsichert, zum Glück nicht beide gleichzeitig. Sonst hätten wir wahrscheinlich aufgehört.

Sie sind seit September 2018 Professor in Rostock an der Hochschule für Musik und Theater. Was bringen Sie den Studierenden bei?
Ich versuche, den Studierenden Sicherheit und vor allem Mut zum Risiko zu vermitteln. Denn das ist in der Arbeit, die wir machen, mit das Wichtigste. In einer Welt der Schönen, Reichen und Erfolgreichen schielt man, besonders in der Kunst, natürlich nach Erfolg. Wenn man deswegen aber zu sehr auf Sicherheit geht, hat man schon verloren.

Scheitern ist natürlich nichts Schönes, gehört aber im Leben und auch in der Kunst dazu. Man muss bereit sein, das Abenteuerland zu suchen und Neues auszuprobieren. Wenn man sich nur in gewohnten Bahnen bewegt, ist man von vornherein schon gescheitert. Man braucht also Mut, dass es auch mal daneben gehen kann. Dann muss man aufstehen, Staub abklopfen und weitergehen.

Auch Sie betreten immer wieder neue, unsichere Wege. Im März war die Aufführung einer Puccini-Oper in München, die Sie inszeniert haben. Haben Sie gut geschlafen in der Nacht vor der Premiere?
Ich hab gar nicht geschlafen.

Vom Film zur Oper: Wie kam es zu diesem Genrewechsel?
Ich komme ja aus einer Theaterfamilie. Und es ist auch nicht meine erste Oper. Mit den Sängern zu arbeiten, ist jedes Mal eine tolle Erfahrung. Das ist eine Mischung aus Spitzensportler und Künstler.

Die Bayrische Staatsoper hat 2.200 Plätze und dann singen die Sänger unverstärkt gegen ein 100-köpfiges Orchester an. Die richtig guten können das auch durchaus leise und das berührt einen sehr. Es ist einfach schön, am Ende einer Opernproduktion das Gesamtkunstwerk zu erleben. Künstlerischer geht es ja nicht, oder? Wer singt denn schon im wirklichen Leben dauernd? Das schon ist eine sehr beeindruckende Kunstform.

Sie bekamen nach der Premiere 20 Minuten Applaus. Herzlichen Glückwunsch. Das Opernregie-Fach ist ein unbeliebtes Fach...
Das Opernpublikum mag Regisseure meist nicht so, weil sie häufig eine eigenwillige Sicht auf die Geschichten entwickeln. Dann wird eben gnadenlos gebuht. Die Musiker werden meist verschont, aber die Regisseure kriegen die volle Packung. In Paris hat ein Dirigent schon mal mit einem weißen Taschentuch an seinem Taktstock gewedelt, nach zehn Minuten Buh-Rufen zwischen 2 Akten. Sie wollten ja weiter spielen....

Mit Humor lässt sich Scheitern wohl am leichtesten überwinden. Bringen Sie das neben dem „Mut haben“ auch Ihren Studenten bei? ...und ein weißes Taschentuch dabei zu haben.

„Wer kannte denn Toni Erdmann?“

Mit „Fokus Film“ haben Sie seit Januar auch ein eigenes Talk Format etabliert.
Ich habe gedacht: vielleicht ist das ja auch für die Rostocker schön, zu entdecken was, wir da an der Schule so machen.
Es ist eine öffentliche Abendveranstaltung, die ich moderiere, eigentlich ein Fachgespräch unter Kollegen. Ich zeige Filmausschnitte und rede mit dem Gast über seine künstlerische Arbeit, vor allem mit Schauspielern.

Am nächsten Tag gibt es dann die Chance nur für die Studenten, den Gast nochmal ganz für sich zu haben. Axel Prahl war mein erster Gesprächspartner und das war wunderbar, weil er toll erzählen kann. Im April ist Alexander Scheer dagewesen. Er ist für die Studenten ein Gott und er wurde natürlich ausgequetscht.


Andreas Dresen im Gespräch mit Danuta Schmidt
Freitag, den 30. August 2019 von 19:00 bis 21:00 Uhr
Theater Adlershof /// Moriz-Seeler-Straße 1 /// 12489 Berlin

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