„Wir müssen viel improvisieren!“

nuk Die Turnhalle ist hoch und dadurch entsteht diese Illusion von Größe und Weite. Blickt man von der Eingangstür nach links empfindet man jedoch spontan ein bedrückendes Gefühl. Fast ein Drittel der Fläche ist vollgestellt mit Doppelstockbetten, dicht an dicht. So sah es in der Turnhalle der Ahorn-Schule in der Peter-Hille-Straße aus, ein Wochenende nach dem sie in eine Notunterkunft umfunktioniert wurde. Von den Flüchtlingen selbst ist an diesem Sonnabend, 21. November, nur wenig zu sehen. In der großen Halle verläuft sich das. Auf der rechten Seite stehen Männer beieinander, vier Jugendliche sitzen auf dem Boden und spielen Karten. Manche sind draußen unterwegs, andere liegen in ihren Doppelstockbetten, der einzige Ort für Intim- und Privatsphäre, große grüne Tücher dienen als Sichtschutz. Seit dem Vormittag gibt es eine kleine Spielecke für Kinder, Bänke dienen als Barrieren, damit sie nicht so einfach wegrennen können. Kathrein, eine freiwillige Helferin, sortiert das Spielzeug und kümmert sich nebenbei um zehn kleine Mädchen und Jungen, alle kaum älter als sechs Jahre. Sie ist mit ihrer Familie da, ihre Tochter malt mit einem kleinen Jungen. „Das sind jetzt unsere Nachbarn, wir wohnen gegenüber“, sagt Kathrein. „Da muss man doch helfen. Wenn ich in Not wäre, würde ich doch auch Hilfe von meinen Mitmenschen erwarten.“ Mehr Worte hat sie nicht. „Keine Zeit, entschuldigen Sie bitte, Sie sehen ja, was hier los ist.“ Ihr Mann ergänzt, mit einer gewissen Verächtlichkeit gegenüber Menschen, die anders denken: „Sollen wir die Flüchtlinge sich selbst überlassen?“ Die Welle der Hilfsbereitschaft ist enorm. Dabei beinhaltet die Vorgeschichte alle Gründe, um nach hinten loszugehen. Seit Montag, 16. November, leben 175 Flüchtlinge aus Syrien, Irak und Afghanistan in der Notunterkunft. Selbst im Bezirksamt war man von dieser Entscheidung überrascht. Am Freitag zuvor erreichte die Nachricht den Schulleiter. Als einen Tag später Bezirksbürgermeister Oliver Igel erfuhr, was los ist, richteten Helfer des THW, der Feuerwehr und freiwillige Helfer die Halle bereits her und stellten Betten auf. Am Sonntag kamen die ersten 35 Bewohner an, am Montag war die Notunterkunft bis auf den letzten Platz belegt. Damit nicht genug: Am selben Wochenende wurde ebenso überraschend die Notunterkunft in Altglienicke in der Rudower Straße erweitert. Schon länger geplant war das neue Fan-Haus des FC Union umzufunktionieren. In der Lindenstraße fanden ebenfalls 112 Flüchtlinge ein vorübergehendes Domizil. Auf die Notunterkunft in Friedrichshagen war man im Bezirk am wenigsten vorbereitet. „Das geht Schlag auf Schlag, und ist vor allem der Lage geschuldet“, sagt Gregor Postler, der Integrationsbeauftragte von Treptow-Köpenick. „Wir kommen kaum noch hinterher, Informationen an die Öffentlichkeit zu geben.“ Aber der Hilfewelle tut das keinen Abbruch. Als Pfarrer Alexander Höner am Mittwoch, 18. November, in die Christophorus- Kirche zu einem Info-Abend eingeladen hatte, war er selbst überrascht. Nicht nur dass die Kirche voll war mit 350 Menschen. Sie saßen auf den Bänken, oben auf der Galerie, standen im Vorraum. Mehr noch: Alle wollten helfen. „Das ist einfach überwältigend“, sagte Höner. Jens Quade, Präsident des DRK Müggelspree, war ebenfalls beeindruckt. Er hat in schon vielen Berliner Heimen in den letzten Monaten bei der Erstversorgung der Flüchtlinge mitgewirkt. „So eine Welle von Hilfsbereitschaft erleben wir selten, dennoch bitte ich Sie alle“, wandte er sich an die Besucher, „den neuen Träger der Einrichtung in gleicher Weise zu unterstützen.“ Das ist nun die Stephanus-Stiftung. Die Trägerschaft ist auf Vermittlung von Alexander Höner zustande gekommen. Niemand der Verantwortlichen in der der Stiftung zögerte, nach einer Stunde war die Sache geklärt. Hanfried Zimmermann, Vize im Vorstand: „Wir haben in der Region eine christlich-diakonische Verpflichtung.“ Mit auf dem Podium saß Sebastian Grytzka, ein freiwilliger Helfer, der den Anwesenden Auskunft über die ersten Schritte gab. „Wir haben hier in Friedrichshagen vor allem Familien. Besondere Aufmerksamkeit benötigen die 50 bis 60 Kinder unter zwölf Jahren, darunter auch Babys.“ Die Kinder seien zum Teil schwer traumatisiert. Wichtig sei es nun, den Ankömmlingen einen sicheren Halt zu geben und so etwas wie Zufriedenheit herzustellen. „Wir brauchen Leute, die sich mit den Kindern beschäftigen, die Kontakt zu den Flüchtlingen suchen, die Sprachunterricht geben und sie bei Behördengängen begleiten.“ Er verweist auf die Webseite www.schnell-helfen.de, über die man unkompliziert erfährt, was benötigt wird. „Spielzeug, Kinderwagen, Buggys, Bügel: Schauen Sie nach, was fehlt.“ Ebenso nützlich ist die Doodle-Liste, auf der jeder einsehen kann, wann und wobei man vor Ort unterstützen kann. Etwa zwei Stunden bei der Essensausgabe am Abend oder am Nachmittag für eine Stunde bei der Kinderbetreuung. Höner appelliert in diesem Zusammenhang an die Friedrichshagener Sportvereine, schnelle unkomplizierte Angebote zu ermöglichen: Fußball- Turniere, Tischtennis-Nachmittage, Freizeit- und Spielangebote für die Kinder. Und die Friedrichshagener helfen, opfern ihre Freizeit. Pfarrer Frank Fechner, der sonst den Ulmenhof der Stephanus-Stiftung in Rahnsdorf leitet, steht an jenem Sonnabendnachmittag mit müden Augen am Eingang der Notunterkunft und bedauert, dass er keine Zeit für ein Gespräch hat. Nur so viel: „Es ist alles noch ziemlich chaotisch, wir müssen viel improvisieren. Wir haben nicht genug Duschen für 170 Menschen, keine Waschmaschinen.“ Eine Turnhalle ist eben kein Hotel. Dann verschwindet er nach oben, wo gerade eine Küche eingerichtet wird, um das Essen dreimal täglich frisch zuzubereiten. Bis dahin wurde es angeliefert, ein riesiger Aufwand. Ulli versucht schon seit einer Stunde einen Jungen zu beruhigen, der wahrscheinlich traumatisiert ist. Er ist eigentlich gekommen, um zwei Stunden bei der Essensausgabe zu helfen. Das war ihm wichtiger, als seinem Sohn beim Fußballspielen zusehen „Die kurze Zeit sollte man übrig haben“, sagt er. Bianca, auch sie eine Freiwillige, die gerade in der Kleiderkammer beim Einräumen mitmacht, sagt: „Trotzdem geht es voran.“ Auch mit Hilfe der Flüchtlinge selbst, die man immer wieder irgendwelche Kisten von A nach B tragen sieht. „Und wenn vier Helfer gehen, stehen kurz darauf wieder vier neue hier“, sagt Bianca. „Wenn wir etwas brauchen, stellen wir es auf unsere Webseite www.schnell-helfen.de und nach einer Stunde ist es hier.“ Dann entschuldigt sich Bianca: „Sie sehen ja, was hier los ist.“
Wann kann ich wo und wie helfen? www.schnell-helfen.de Foto: Matthias Vorbau

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