Herr Müller muss weg

Wo drückt der Schuh in der wachsenden Metropole Berlin?
Bürgerinnen und Bürger fragen. Der Regierende Bürgermeister antwortet. Michael Müller wollte mit Blick auf die wachsende Hauptstadt wissen, „wo die Berlinerinnen und Berliner der Schuh drückt“. Wer mit welchen Fragen und Sorgen zum Bürgerdialog kam – und wer nicht.

Herr Müller muss weg
Foto: Anke Assig

Kaum hatte Bezirksbürgermeister Oliver Igel die Veranstaltung eröffnet („Wir hatten überlegt, einen anderen Michael Müller zu besorgen, das wäre nicht schwer gewesen…“), bildete sich eine lange Schlange vor dem Saalmikrofon. Offenbar befanden sich gute Bekannte des Bezirksamtes darunter, denn der Bürgermeister kündete die eine oder den anderen der Anstehenden mit Namen an. Die Bürgerinitiativen gegen den BER waren gleich mit mehreren ihrer Vertreter zur Versammlung erschienen. Sie hatten sich vorbereitet, präsentierten Zahlen, Fakten und E-Mailausdrucke aus ihrer Kommunikation mit dem Senat und der Flughafengesellschaft.

Um es vorweg zu nehmen: Die Veranstaltung lief gesittet und weitestgehend sachlich ab. Angesichts der Brisanz, die die Debatte um die Unterbringung und Integration von Flüchtlingen in Berlin und auch in Köpenick stellenweise bekommen hat, war das nicht unbedingt zu erwarten gewesen. Neben dem BER mit Fragen zum Schallschutz und Umweltschutz stellten die Bürger eine ganze Palette von Fragen, darunter solche zur Flüchtlingspolitik, zur Klimapolitik, zum Wohnungsbau und Mietsteigerungen. Über die Zukunft des Spreepark Plänterwald und die des Stadttheaters Cöpenick wurde ebenso gesprochen wie über die zu DDR-Zeiten illegal errichteten Steganlagen im Bezirk. Vierzehn Männer und Frauen stellten ihre Fragen, manche machten ihrem Unmut Luft. Senator Geisel und Staatssekretär Lücke Daldrup ließen keine der Fragen unbeantwortet, wenn auch nicht unbedingt zur Zufriedenheit der Fragesteller. Aus den für den Bürgerdialog vorgesehenen 90 Minuten wurden glatte 100 Minuten. Sieben Minuten Dialogzeit pro Bürger. Angesichts der komplexen Themen, um die es ging, ist das wenig Zeit. Oder aber sehr viel, wenn man sich die Probleme der Hauptstadt vergegenwärtigt, von denen die Bürger erwarten, dass Politiker sie lösen sollen, anstatt lange Reden zu halten. Im Folgenden eine Zusammenfassung der interessantesten Fragen und Antworten:

Bürgerin: Berlin sollte Vorbild in Sachen Klimaschutz sein, setzt aber weiter auf fossile Brennstoffe bei der Energieversorgung und investiert in Branchen, deren Aktivitäten den Klimaschutzzielen widersprechen. Warum?
Geisel: Berlin soll bis 2015 klimaneutral sein. Das ist ein unheimlich dickes Brett, das wir da bohren. Wir haben jetzt schon Vorsprung bei regenerativen Energien gegenüber anderen Bundesländern. Aber Deutschland ist ein Industrieland. Viele Arbeitsplätze, auch in Berlin, hängen davon ab, ob Energie bezahlbar bleibt. Vollständig auf z.B. Windkraft umzustellen, ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht bezahlbar. Das ist ein Zielkonflikt. Wir wollen beides erreichen: das Klima schützen und Energie und Mieten bezahlbar lassen. Das Kraftwerk Klingenberg in Rummelsburg soll z. B. bis 2020 nach und nach auf Gas umgestellt werden. Wer mitdiskutieren will, wie das erreicht werden kann: Am 5. November um 18 Uhr findet im Tempodrum das „Stadtforum Klima und Energie“ statt.

Bürger: Sind Stadtteile wie Müggelheim der Verslumung anheim gegeben? Die gegenwärtigen Schallschutzmaßnahmen sind mit 55 Millionen Euro vollkommen unzureichend!
Lütke Daldrup: Es ist richtig, dass der BER eine erhebliche Belastung darstellt. Wir werden aber im Umkreis des BER einen erheblich besseren Lärmschutz haben, als wir ihn in Tegel je hatten. Beim BER sorgt ein Nachtflugverbot dafür, dass in den Kernstunden der Nacht Ruhe herrscht. Schönefeld wird 24h täglich beflogen.

Bürger aus Adlershof: Die Wohnungssituation ist jetzt schon angespannt. Dazu kommt jetzt noch die aktuelle Flüchtlingssituation. Sollen die Massenunterkünfte zu Dauereinrichtungen werden?
Geisel: Normale Wohnungssuchende dürfen nicht gegen Flüchtlinge ausgespielt werden. In den letzten drei Jahren haben wir viele Entscheidungen getroffen, um die Mietenentwicklung zu dämpfen. Unabhängig von den Flüchtlingen ziehen derzeit jährlich 40.000 Menschen neu in die Stadt. Die Folge: Wegen steigender Nachfrage, steigen die Preise. 2016 wird Berlin bis zu 15.000 neue Wohnungen fertig stellen. Das wird nicht reichen, denn wir erwarten nochmal ca. 40.000 Flüchtlinge, die auf Jahre bei uns bleiben werden. Integration wird nur gelingen, wenn wir die Menschen aus den Notunterkünften herausholen. Deshalb gibt es den Entwurf für das Wohnungsbaubeschleunigungsgesetz: 2016 sollen auf 60 Grundstücken des Landes modulare Ergänzungbauten mit einer Lebensdauer von 30–40 Jahren errichtet werden. Im Oktober 2015 könnte die Ausschreibung der Bauten beginnen. Innerhalb weniger Monate stünde so Wohnraum für bis zu 30.000 Menschen bereit. In die Wohnungen könnten nicht nur Flüchtlinge einziehen, sondern alle Wohnungssuchenden. Die Unterbringung in der Köpenicker Allee in Karlshorst ermöglicht auch eine menschenwürdige dauerhafte Unterbringung. Zelte und Turnhallen tun das nicht. Auch wenn die Flüchtlinge jetzt die Schlagzeilen bestimmen: Wir müssen nach wie vor den sozialen Ausgleich in den Quartieren gestalten.

Ein Bürger/Mitglied aus dem Tourismusverein TK: Ich mache mir Sorgen wegen der Steganlagen im Bezirk. Aus Naturschutzgründen genehmigt der Bezirk Stege nur befristet statt unbefristet, wie es im Gesetz vorgesehen ist. Wie kann man den Bezirk dazu bekommen, die Rechtsgrundlagen einzuhalten?
Geisel: Den Artenschutz zu gewährleisten, ist wichtig. Die Natur gehört eben auch zu dem, was unsere Stadt und den Bezirk hier attraktiv macht. Da sollte schon gründlich abgewogen werden. (…) Zur Wahrheit gehört aber auch, dass zu DDR-Zeiten tausende Steganlagen illegal errichtet wurden. Ich bin an der Müggelspree aufgewachsen, ich weiß, wovon ich rede. Mein Vater hat damals auch auf die Weise einen Steg errichtet. Den gibt es aber längst nicht mehr …

Igel: Dass wir am Frauentrog bisher keinen Steg haben, liegt an der Zwergdeckelschnecke. Und Lenins Kopf in der Seddiner Heide konnte viele Jahre wegen der gemeinen Zauneidechse nicht geborgen werden. Sie lachen. Aber das liegt an den klagefreudigen Naturschützern. Das Bezirksamt wird immer doof dastehen. Entweder bei den Naturschützern, die wollen, dass der Röhricht wächst oder bei denen, die einen Steg bauen möchten.

NPD-Abgeordneter aus Köpenick: Welche Konsequenzen werden aus dem steigenden Zuzug nach Berlin gezogen? Es gibt 250 Obdachlose in Köpenick, die keine Wohnung haben, und jetzt kommen noch die vielen Flüchtlinge dazu …
Geisel: Im Vorwort zum Grundgesetz steht „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ und nicht „Die Würde des deutschen Menschen ist unantastbar“! (Applaus im Saal)


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