Gentrifizierung in Treptow-Köpenick? Kann sein, dass das in wenigen Jahren Thema sein wird, dass also die alteingesessene Bevölkerung zahlungskräftigen Neuankömmlingen weichen muss. Ob der vorliegende Fall in diese Kategorie gehört, lässt sich nicht eindeutig sagen. Er hat etwas damit zu tun, es geht um Nachbarschaft, es besteht aber das alt bekannte Problem mit dem Lärmschutz: Eine – zugegeben bisweilen recht laute – Jugendeinrichtung fällt neu zugezogenen Wohnungseigentümern auf den Wecker. Die einen wollen ihre lieb gewordenen Gewohnheiten nicht aufgeben, die anderen wollen sich in ihren vier Wänden rundum wohlfühlen. Öffentliche Interessen stehen gegen private Interessen. Aber eines unterscheidet diesen Fall von allen anderen: Beide Parteien haben den Vorsatz, sich in Güte zu einigen.
Stein des Anstoßes ist das Haus der Jugend Köpenick (HdJK) in der Seelenbinderstraße 54, besser bekannt unter dem Namen CAFÉ. Es hat schon zu DDR-Zeiten existiert, seit 1993 leitet Jan Bloch die Einrichtung und macht szeneorientierte Jugendarbeit. Das meiste im CAFÉ dreht sich um Musik. Es gibt Konzerte, nicht nur am Wochenende, sondern auch an Werktagen, fünf Open-Air-Festivals zwischen April und Oktober, dazu Proberäume, Gitarren- und Trommelkurse. Und neben zahllosen weiteren Aktivitäten, die das Haus anbietet, ist es natürlich ein beliebter Treffpunkt für Köpenicker Jugendliche. Sie kommen, reden, spielen Musik und sitzen nachts am Lagerfeuer. So ging das rund 20 Jahre lang und niemanden hat’s gestört. Bevor es im Text weitergeht, sei angemerkt, dass alle, die im Folgenden zu Wort kommen, als erstes auf die gütliche Einigung verwiesen haben, die gerade vor Gericht läuft. Zwischen den Parteien wurden Stillschweigen und Vertraulichkeit vereinbart.
Jetzt möchte keiner Streit verursachen, keiner etwas Unbedachtes sagen – und das ist schon viel wert. Gleichzeitig zeigt diese Vorsicht, dass das Güteverfahren eine wacklige Angelegenheit ist. Mehr noch: Ein Happy End sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Fall auch ganz anders hätte ausgehen können. Aber zurück zur Sache: 2010 begann auf dem Nachbargrundstück in der Seelenbinderstraße 52 – davor war es eine Hundeschule – der Bau einer Wohnanlage: drei Mehrfamilienhäuser mit jeweils sieben Wohnungen. Geleitet hat das Ganze der Architekt Markus Bruns, der als Bauherrn-Betreuer die Verantwortung trug. „Zum Architekten hatte ich immer ein gutes Verhältnis“, erzählt Jan Bloch. Aus dem CAFÉ erhielten die Bauarbeiter Baustrom und Bauwasser. Der Architekt Bruns wiederum hat Sympathie für die Jugendfreizeiteinrichtung gehabt. Er hat umstandslos eine vom Stadtplanungsamt geforderte „Erklärung zu stadtplanerischen Belangen“ akzeptiert, in der der Bestand des langjährigen Jugendprojektes anerkannt wird.
Ebenso erkannte er auch an, dass das Café als Mischgebiet ausgewiesen ist, der Geräuschpegel also auch mal etwas stärker ausschlagen darf. Zugleich reagierte er auf die „zeitweiligen Beeinträchtigungen der Wohnnutzung durch Lärmemissionen“. Das Ergebnis: Der Architekt ließ 2012 eine Schallschutzwand errichten. Er übernahm sämtliche Kosten für Genehmigung, Baulasteintrag und den Bau der drei Meter hohen und 60 Meter langen Mauer. Das war im Sommer 2012. Damit, so dachte Jan Bloch, wäre alles geregelt. Aber es sollte anders kommen. 2013 zogen die neuen Wohnungseigentümer nach und nach ein. Sie hatten ja gewusst, was auf sie zukommen würde, könnte man meinen. Wer sein neues Heim in Augenschein genommen hatte, dem konnte die lautstarke Betriebsamkeit auf dem Nachbargrundstück nicht entgehen, glaubt der Leiter des Cafés.
Nicht nur herrscht ständiges Begängnis, das Haus der Jugend ist auffällig und kunstvoll mit Graffiti besprüht. Im Frühjahr 2015 dann hat das Stadtplanungsamt die Käufer von einer nachträglich ausgestellten Baugenehmigung in Kenntnis gesetzt. Die alten Unterlagen, die sämtliche baulichen Veränderungen seit 1995 betreffen, sind nicht mehr auffindbar. Dabei hat die Baubehörde sie selbst geplant und ausgeführt. Das sagt Jan Bloch, der Leiter des CAFÉ. In der neuen Baugenehmigung sind nun alle Schritte dokumentiert und zusammengefasst. Immerhin gibt es noch den Nutzungsvertrag für die Außenanlagen, der 2007 unterzeichnet wurde. Seither ist der Garten mit Open-Air-Bühne, Zirkuswagen und Fahrradwerkstatt Bestandteil des Gesamtkonzeptes. Allerdings hatten ihn die Betreiber des Hauses und die Jugendlichen schon vorher in Beschlag genommen. 2012 wurden parallel zu den neuen Wohnungen Lärmschutzfenster und -türen im CAFÉ eingebaut. Kurzum: Alles, was per Gesetz genehmigt und geprüft werden muss, ist nun unter Dach und Fach. Doch die Sache hat einen Haken. In der neuen Baugenehmigung steht: Das CAFÉ werde von „einer Jugendberatungsstelle zu einer Jugendfreizeiteinrichtung“ umgenutzt.
Wegen dieser Formulierung haben die Nachbarn Widerspruch eingelegt. „Wir sind davon ausgegangen, neben einem Jugendberatungszentrum zu wohnen“, sagt Günter Neumann. „Von Musik, allnächtlichem Lagerfeuer und nächtlichen Zusammenkünften war nicht die Rede.“ Günter Neumann ist einer der Nachbarn, seine Wohnung grenzt zwar nicht direkt an den Garten des CAFÉ, aber dem Lärm ist er teilweise ausgesetzt. „Als wir irgendwann tagsüber unsere künftige Wohnung in Augenschein nahmen, war von der Jugendeinrichtung nichts zu hören und zu sehen“, meint Günter Neumann. Von den Absprachen, die der Architekt getroffen habe, hätten die Käufer ebenfalls nichts gewusst, sagt er. „Und die Leute, deren Wohnung direkt an den Garten grenzt, müssen mitunter aus ihrem Schlafzimmer ins Wohnzimmer ziehen.“
So ging das 20 Jahre lang und niemanden hats gestört
Dennoch – und das ist wie gesagt das Besondere an diesen Ereignissen – haben die Eigentümer Verständnis, Verständnis dafür, dass die Jugendlichen einen Platz benötigen. „Sie sind ja auch auf uns zugekommen, haben uns eingeladen.“ Aber bei allem Verständnis müsse es Regeln geben, an die sich alle zu halten hätten. Das sehen beide Seiten so. Die Details werden gerade im Güterichterverfahren verhandelt – und darüber ist wie gesagt Stillschweigen vereinbart. Die beiden Parteien sind bei gütlichen Einigungen gehalten, selbst zu Lösungen zu kommen.
Jan Bloch hat wenigstens die Hoffnung nicht aufgegeben. „Wir gehen davon aus, dass das CAFÉ Bestandsschutz hat. Dahinter stehen ein Vierteljahrhundert Jugendkultur, Konzerte und Veranstaltungen.“ Günter Neumann ist zuversichtlich, dass es zu einer Übereinkunft kommt und die Bewohner der neuen Wohnanlage bald wieder ruhig schlafen können. Bleibt die Frage, warum die alten Unterlagen, die das CAFÉ betreffen, abhandenkommen konnten. Die Originale hätten sicherlich eine ganz andere Sprache gesprochen. Ulrike Zeidler, Leiterin des Stadtplanungsamtes von Treptow-Köpenick, wollte dazu aber keine Stellung nehmen. „Wir befinden uns in einem Güteverfahren und sollten diesen Prozess nicht gefährden.“