Es kommt nicht so oft vor, dass haupt- oder ehrenamtliche Kommunalpolitiker*innen aus Treptow-Köpenick in eine (Landes-)Regierung wechseln. Nun wird sie mit „Frau Staatssekretärin“ angesprochen – daran muss sie sich noch gewöhnen.
Wir treffen uns in einem Café im Zentrum Berlins. Nach wie vor hat Ines Feierabend auch ein Leben hier. Auf die Frage, ob sich ihre Zeit in Berlin maßgeblich auf die Wochenenden beschränkt, erzählt sie, dass sie nach nunmehr 1 1/4 Jahr den Rhythmus etwas regelmäßiger gestalten kann. Einmal in der Woche kann sie zusätzlich nach Berlin kommen:
„Ich kann im Zug hervorragend arbeiten. Dann bin ich um dreiviertel Acht zu Hause. So früh war ich als Bezirksstadträtin nie zu Hause.“
Sie hat nicht mehr jeden Abend Termine und ist abends mehr damit beschäftigt, Unterlagen zu lesen. Dennoch sind sie, die Ministerin und Ines Feierabend, oft die letzten im Ministerium.
Die Frage, ob sie glücklich mit der Entscheidung ist, beruflich nach Thüringen gegangen zu sein, erübrigt sich fast, auch wenn Ines Feierabend offen zugibt, dass sie diesen Schritt zunächst für ihr Privatleben in Berlin unterschätzt habe.
Obwohl sie die einzige in Thüringen Geborene der linken Vertreter in der Regierung ist, wird sie als „Berlinerin“ bezeichnet. Dabei hat sie darüber hinaus eine emotionale Bindung: Ihre Mutter lebt bis heute dort, sie ist dort zur Schule gegangen und hat dort studiert.
Und nicht zuletzt die Politik: „Das ist ein ganz spannender Job. Mich hat ja gereizt, dass
Bodo der erste linke Ministerpräsident ist – diese Chance - da muss man dabei sein.“ Engagiert, leidenschaftlich und detailliert spricht sie über ihre neuen Aktivitäten: 2015 gab es viel zu tun.
Neben der inhaltlichen Planung von Projekten, neben Veränderungen von Kommunikation innerhalb des Ministeriums und der Verwaltung mussten der Haushalt für 2015 und ein Doppelhaushalt 2016/17 aufgestellt werden. Es wurde mit einem Teil des großen Projekts „Öffentliche gemeinwohlorientierte Beschäftigung“ begonnen.
Dieser Teil betrifft langzeitarbeitslose Menschen, bei denen die klassischen „Instrumente“ der Jobcenter nicht mehr greifen, die dann in sog. gemeinwohlorientierte Arbeit integriert werden können. In einem anderen Teil gibt es die Möglichkeit für kleine, innovative Modellprojekte, auch in Zusammenarbeit mit der Bundesagentur für Arbeit: solche, die auf der bundespolitischen Ebene vielleicht noch keine Mehrheiten finden.
Gleichzeitig mussten im Haushalt Themen mitgedacht werden, für die bis dahin kein Geld vorhanden war, z.B. die vom Land geförderte psycho-soziale Versorgung von traumatisierten geflüchteten Menschen, die es vorher in Thüringen nicht gab.
Eigentlich sei ihr Ministerium gar nicht zuständig, aber man habe sich das auf die Agenda gesetzt und mit dem für Migration zuständigen Ministerium abgesprochen. Berlin sei da schon gut aufgestellt gewesen.
„Das mag auch wieder für Berliner Dimensionen niedlich klingen. Fast 1 Millionen €. Im Vergleich zu vorher gar nichts, ist das viel für Thüringen.“
Damit waren wir beim Stichwort jeder politischen Debatte derzeit.
Ines Feierabend hat bis Ende des Jahres 2014 die ersten neuen Unterbringungen in Treptow-Köpenick mit begleitet. Angesprochen darauf, ob sie aktuelle Entwicklungen und Probleme in Berlin beobachte, beschreibt sie den damaligen Prozess zwischen Senatsverwaltung und Bezirken als „nicht unbedingt harmonisch und abgestimmt“. Sie kramt in ihrer Tasche und holt eine Präsentation hervor, „um nicht die falschen Zahlen zu nennen“:
„Als ich dann nach Thüringen ging, gab es dahingehend gar kein Problem.“
Im Januar 2015 wurden in Thüringen 450 geflüchtete Menschen aufgenommen, im Januar 2016 waren es 2358. Auch wenn Thüringen als einwohnermäßig kleines Bundesland nach dem Königsteiner Schlüssel vergleichsweise wenig geflüchtete Menschen aufnehmen muss, haben die Erstaufnahmeeinrichtungen nicht mehr ausgereicht.
Zugleich wurden die Verfahren geändert, auch hinsichtlich der Kosten und der Verteilung auf die Kommunen. Das Verfahren sei anders als in Berlin, so beschreibt es Ines Feierabend, auch wenn es natürlich ebenso nicht immer einfach sei. Das beträfe aber vor allem ein Verfahren der Kommunikation und des Austauschs mit den Kommunen, das koordinierter und abgestimmter sei – nicht zuletzt weil es von der Spitze, also vom Ministerpräsidenten, bis hin in die Ministerien als Aufgabe gesehen wurde, die alle gemeinsam bewältigen müssen.
Mittlerweile warten die Kommunen sogar darauf, dass geflüchtete Menschen ankommen. Nicht zuletzt: Man hat in Thüringen ein Interesse daran, dass viele Menschen in dem Bundesland bleiben, auch vor dem Hintergrund, dass bis 2025 ein Bedarf von 281.000 Fachkräften besteht. So sei es bei dem Landesarbeitsmarktprogramm „Arbeit für Thüringen“ wichtig, dass die verschiedensten Zielgruppen nicht gegeneinander ausgespielt werden.
So beinhaltet das Programm eben Säulen für Menschen mit Behinderungen, alleinerziehende Frauen, langzeitarbeitslose Menschen oder eben auch geflüchtete Menschen. Hinsichtlich der politischen Gestaltungsmöglichkeiten sei dies alles grundsätzlich etwas anderes, als was man im Bezirk kann oder nicht kann – oder wie sie sagt:
„Man kann eine ganze Landschaft anders gestalten.“
Im Bezirk gab es finanzielle Zuweisungen des Senats an die Bezirke mit einer gewissen Vorgabe, wofür das Geld ausgegeben werden soll. Dann wurde das Geld innerhalb des Bezirksamts verteilt und hier gab es auch den einen oder anderen Verteilungskampf. Dies war der politische Gestaltungsrahmen, den sie dennoch nicht geringschätzen möchte: „Ich blicke auch mit einer inneren Freude auf gute acht Jahre zurück.“ Spannend ist, dass sie immer die positiven wie auch schwierigen Aspekte von Themen und Fragen benennt. Daran hat sich auch zu früher nichts verändert.
Auf die Frage, was sie in Berlin außer ihrer Familie noch vermisse, antwortet sie, dass es kein Geheimnis sei, dass sie immer nach Berlin wollte, dass sie ein Großstadtmensch sei. Gleichzeitig hat sie Erfurt wieder lieben gelernt, insbesondere im Frühling, wenn das Leben auf den Straßen fast ein mediterranes Flair versprühe. In Bezug auf ihr Leben meint sie: „Das ist ja ein ganz schöner Spagat jetzt“ – ohne es eine Sekunde zynisch und sarkastisch zu meinen.