Es gibt Zeiten, da fließt auch für Taxifahrer Milch und Honig. Das heißt im Klartext: Es gibt so viel zu tun auf Berlins Straßen, dass es fast gar nicht zu schaffen ist. Traumhaft! Hauptgewinn! Jetzt noch eine Woche durchziehen und es heißt, nie mehr schuften nur noch ernten. Wer braucht noch Lotto, es gibt doch Bahnstreiks! So sehen es jedenfalls die Medien, so sieht es nun auch die Bevölkerung Deutschlands. Da sage ich mal: Wenn das man alles so einfach wär' …
Wie sieht nun so ein Tag Bahnstreik im Leben eines Nachttaxifahrers wirklich aus? Wie sonst nicht üblich beginne ich meinen Arbeitstag schon um 14 Uhr. Bis zur nächsten profitablen Taxihalte sind es 2,5 Kilometer. Für die benötige ich normalerweise drei Minuten. Heute haben auch Frau Hinz und Herr Kunz Verkehr und fahren dementsprechend im eigenen Wagen. So dauert meine erste, leer Fahrt schon mal 25 Minuten. Bei meiner Ankunft in Karlshorst warten schon zwei ungehaltene Rentner mit vollen Einkaufstaschen. Nach Friedrichsfelde geht’s in die Kurze Straße. Nach weiteren 25 Minuten kann ich 9,60 € kassieren. Das üppige Trinkgeld entschädigt. Die Alten geben gern. Schon mal eine knappe Stunde geschafft. Das PDA klingelt unaufhörlich. Viele Aufträge in der ganzen Stadt. Mit Unverbindlichkeit. Heißt: Fahr mal hin und schau nach, ob da vielleicht jemand ist, der Taxi fahren will.
Ich schalte das PDA auf Besetzt und fahre zum Bahnhof Ostkreuz. Kurzstrecke nach Stralau. Kurzstrecke sollte es im Bahnstreik nicht geben, aber Kurzstrecke ist ein Grundrecht und da gibt’s nun mal keine Ausnahmen. Wird also auch gefahren. Egal. Es ist mittlerweile 16.30 Uhr, ich habe schon 25 € auf der Uhr und erreiche die Taxihalte Alt Treptow. Da warten schon beanzugte Fahrgäste mit Rollkoffern und wollen nach Tegel. Möglichst schnell, um Fünf ist Boarding-Time. Wäre doch wohl zu schaffen. Klar, mit dem Heli auf jeden Fall, mit dem Auto – und ein Taxi ist eben auch nur ein Auto mit 'ner Scheißfarbe – könnte es eng werden. Die Herren stöhnen. Wollen nach einem Zwölf-Stunden- Arbeitstag nicht auch noch den Flieger verpassen. Frage mich, was um aller Herrgotts Namen die Herren schon um 4.30 Uhr wollten und frage die Herren, warum sie denn trotz der hohen Zahl von Arbeitslosen immer so viel zu arbeiten haben. Jetzt habe ich drei neue Freunde, wie sich während der Fahrt herausstellt, drei Freunde beim BKA. Unter Aufbietung all meiner Ortskenntnis karre ich die Kerle pünktlich zum Schalter von German Wings. 29,60 €, es wird großzügig auf dreißig gerundet. You never can say goodbye …
Naja, und so plätschert der Tag vor sich hin, immer der Druck, dass ich ja gerade heute! den Umsatz meines Lebens zu machen habe und immer wieder die Gewissheit, dass der Einzelne nichts zu tun vermag, aber die Taxibranche als Ganzes wohl ein wenig mehr umsetzt als an üblichen Tagen. Im Großen und Ganzen ist alles wie immer, nur beeinträchtigt durch den Stau, den ich als Nachtfahrer nicht gewohnt bin, viel anstrengender. Ist auch schwer vorstellbar, dass all die für den Mindestlohn Arbeitenden plötzlich von der Bahn aufs Taxi umschwenken. Immerhin kostet einmal Spandau nach Köpenick lapidare 40 Dinger. Das mal zwei und dafür kommste mit Easy Jet schon zu einem anderen Kontinent. Anyway. Die meisten Fahrgäste sind entspannt wie eh und je. Einer erzählt, in einer Tageszeitung hätte sich die Autovermietung Sixt mit einer Anzeige über eine ganze Seite bei Herrn Weselsky bedankt und diesen zum Mitarbeiter des Monats erklärt. Ich frage, ob er sich sicher sei, dass es Claus Weselky war und nicht Rüdiger „Rude Boy-Bahnschef“ Grube.
Die Frage, wer nun Recht hat in diesem Streit, die beantworten nicht die Medien, auch wenn deutlich wird, wessen Partei sie ergreifen. Da muss man gar nicht unbedingt einer Verschwörungstheorie erliegen. Wie die Dinge sich wahrlich verhalten, das lässt sich mit ein bißchen Google leicht im Internet recherchieren. Da habe ich zum Beispiel erfahren, das der Weselsky Mitglied der CDU ist. Nicht gerade eine Arbeiterpartei. Und wer soll wieder vermitteln, wer soll einlenken im Arbeitskampf? Die SPD. Wer hat uns verraten? Wer dann genug Fakten hat, der kann sich immer noch eine Meinung bilden. Oft fürchtet mein Chefredakteur beim Lesen meiner Berichte um seine Anzeigenkunden und er druckt trotzdem alles, was ich schreibe. Weil er eben Eier hat, kleine zwar, aber eben doch Eier. Und der Weselsky, der hat, ja was hat der, der hat riesige Klöten. Und das ist gut so.Wer kämpft, kann verlieren, wer nicht kämpft, der hat schon verloren.…
Stunden später, mein Tank ist fast leer, mein Taxameter noch längst nicht voll. Ich stehe am geliebten TXL. Es geht zügig voran, der schlimmste Verkehr ist überstanden. An der Ladeleiste vorm Terminal A stehen reichlich Fahrgäste und wenig Taxen. Leicht droht Panik zu entstehen. Ich lade eine Handtasche (einen mit Handgepäck reisenden Geschäftigen mit Fahrziel Charlottenburg) ein. Hat sich vorgedrängelt, klassisch die berenteten Kurzurlauber 65+ mit Sonne im Gesicht und gebräunten Runzeln ins Abseits geschoben. Er allein ist wichtig, wirft die Handtasche auf den Rücksitz und sich daneben. Zum Savigny-Platz, kommandiert er. Ich fahre los. Wir sind mittlerweile auf dem Tegeler Weg. Im Radio läuft „Peaceful Easy Feeling“ von den Eagels. Ooh, scheiß Musik, stöhnt es da von der Rücksitzbank. Komm, mach mal Energy, mach schon, ich hab nen Zwölf- Stunden-Tag hinter mir. Wer die Party bezahlt, der bestimmt. Dieser Flegel. Dieser Unwissende. Weiß er nicht um die Cholerik? Ohne Rücksicht auf den Verkehr ziehe ich von der ganz linken in die Busspur, steige aus und öffne meinem Fahrgast freundlich die Tür. Er schaut mich ungläubig und fragend an, also helfe ich ihm beim Aussteigen. Schließlich habe ich keine Party bestellt.
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