… die Phoenix kriegt was erzählt von: Traveling Oweide

travelingOW Traveling Oweide, Liedermacher & Musiker – Dirk Friedrich, Sven Friedrich und Bert (Ehren-Friedrich-)Scholz 1. Was ist für Sie typisch Köpenick? Dirk Friedrich: Die Wuhlheide. Sven Friedrich: Das Schloß Köpenick. Bert Scholz: Der Schlossplatz. 2. Was lesen Sie gerade vor dem Schlafengehen? D: Das Berliner Tagebuch. S: Also wenn ich mal ein Buch in der Hand habe, dann ist es Mark Twain, weil ich das Gefühl habe, dass er spricht meine Sprache. Wenn ich vor dem Schlafengehen lese, heißt das, dass ich mich nicht die ganze Nacht damit beschäftigen kann – also sind es vor allem seine Kurzgeschichten. Ich will ja damit fertig werden. B: Bukowski. Kleine Kneipengeschichten. 3. Von den materiellen Dingen, die Sie besitzen - auf was könnten Sie sofort verzichten? D: Fernseher. S: Auto. B: Ja, da könnte ich auch drauf verzichten – Auto. S: Ich fahr auch Sommer wie Winter mit dem Fahrrad zur Arbeit – neun Kilometer hin und neun zurück. Das mit dem Walkman und Fahrradfahren habe ich aufgegeben. Musik höre ich dann lieber im Auto. 4. Welchen Gegenstand würden Sie auf jeden Fall aus ihrem brennenden Haus retten? D: Also, ich bräuchte mindestens eine halbe Stunde, um zu überlegen welche Gitarre ich rette – aber auf jeden Fall wird es eine der Gitarren sein. S: Das ist bei mir auch so. Ich würde immer versuchen beide Hände mit Gitarren voll zu kriegen. Ich habe fünf gute Gitarren, außerdem meine allererste Gitarre und dann noch eine, die eigentlich weggeschmissen werden sollte, aber das bringe ich einfach nicht übers Herz. Ich spiel sie auch noch - weil dafür wurde sie ja mal gebaut. B. Ich brauch da auch nicht zu überlegen – eine Hand die Gitarre und in die andere den Verstärker. D: Wer E-Gitarre spielt, muss halt immer mit Strom unterwegs sein oder mit einer handvoll Batterien. 5. Einsame Insel. Wen nehmen Sie auf gar keinen Fall mit? D: Das ist zu privat… S: Also ich bin niemandem so spinnefeind, dass ich es nicht mit ihm aushalten würde. B: Da ist so eine gewisse Ex-Freundin... 6. Was tun Sie um wieder ‚aufzutanken’? D und S: Gitarre spielen. B: Gitarre spielen und Musik hören – mitspielen und mitplärren. S: Wir spielen täglich. So viel wie eben Zeit ist. Ich spiel meistens schon morgens um fünf auf einer Gitarre, die in der Küche hängt. So ein bis zwei Liedchen bevor ich mich dann aufs Fahrrad schwinge. Eigentlich muss das gar kein Lied sein – nur so ein paar Akkorde reichen manchmal auch. D: Gitarren sind so’n bisschen wie Weggefährten. 7. Zeitmaschine. In welche Zukunft oder Vergangenheit reisen Sie und wen wollen Sie dort treffen? S: Woodstock und dann die Zeit von Frank Zappa. D: Ja, Peace und lange Haare war eine gute Zeit. Aber es wäre auch spannend Orte, die es heute gibt zur Zeit der Dinosaurier zu besuchen. S: Schöneweide im Tertiär. D: Na, da gab es ja auch Palisander im Überfluss – da ließen sich bestimmt Gitarren ohne Ende draus machen… 8. Welches Lied könnten Sie immer wieder hören und mitsingen? S: You’ve got a friend von James Taylor. B: Pink Floyd – Shine on Crazy Diamond. D: 51er Kapitän von Reinhard Mey. 9. Was war Ihr Lieblingsessen als Kind? D: Nudeln mit Tomatensoße. Auch heute noch. Makkaroni nicht Spaghetti. B: Falscher Hase – also Fleisch ohne Knochen. S: Quetschkartoffeln mit Rührei. 10. Woran glauben Sie? S: An das Gute im Menschen. D: Alles wird bezahlt im Leben. B: Alles im Leben hat Konsequenzen, die man dann auch tragen muss. 11. Was bringt Sie zum Lachen? S: Der Film „Bube, Dame, König, Gras“ von Guy Ritchie. Da gibt es Stellen, die mich immer wieder zum Lachen bringen. B: Menschen, die bildhafte Witze erzählen. D: Für mich ist das der Film „Bang Boom Bang“. 12. Beschreiben Sie sich mit nur einem Wort. D: Ruhelos. S: Ehrlich. Darauf lege ich Wert. Auch wenn mich diese eine Zeile aus einem Lied für immer verfolgen wird – da habe ich geschrieben, dass ich meiner Mutter Geld aus dem Portemonnaie geklaut habe, weil das da gut gepasst hat. Ich habe meiner Mutter nie irgendwas geklaut, aber das glaubt mir jetzt natürlich keiner mehr. Es gibt sogar manchmal Leute, die zu mir kommen und mir dann gestehen, dass sie ihrer Mutter ‚auch’ Geld geklaut haben… Ich habe die Zeile jetzt extra geändert in ‚ich habe im Konsum nie mehr als ’ne Bambina geklaut’, um meine Mutter da raus zu lassen. B: Ruhig. 13. Was war Ihr spektakulärster Misserfolg? D: Bei mir war da so eine Geschichte mit einer Holzhantel als ich zehn Jahre alt war… Das war am Anfang meiner Gewichtheberkarriere. B: Mein erster Versuch zu rauchen. Wann das war will ich hier gar nicht sagen, nachher liest das noch meine Mutter… Stubenarrestgefahr! S: Naja es gibt bei uns so eine Nummer Eins der Misserfolge, auf die wir hier nicht weiter eingehen wollen… Das ist wirklich schwer zu toppen. Ich bin vom Sternbild Stier, das bedeutet, ich überlege mir die meisten Sachen sehr genau. Daher habe ich mit Misserfolgen nicht so viel zu tun. 14. Was ist Ihnen peinlich? S: Text vergessen auf der Bühne. Das passiert ja auch den professionellsten Musikern. B: Mein erster Auftritt in der Eichenklause. Ach, da ging einfach alles schief. Die Technik war futsch, ich war nicht zu hören, habe total daneben gespielt… Ich habe mich dann mit dem Rücken zum Publikum gestellt. D: Obwohl mit ja da noch was anderes einfällt. Als wir letztes Jahr am S-Bahnhof Schöneweide zum Fest der Demokratie gespielt haben und unser Bongomann die Bongos vergessen hat… B: Ja, da hab’ ich dann Mundperkussion gemacht. 15. Haben Sie ein Mantra? D: Das Leben kann verdammt kurz sein. S: In der kleinsten Pfütze spiegelt sich noch der Regenbogen. 16. Was möchten Sie in den nächsten 10 Jahren erreichen? D: Ich würde mich freuen, wenn meine Bypässe offen bleiben. S: Meine Altersteilzeit möchte ich erreichen… B: Ja, ich auch. 17. Von all ihren schlechten Angewohnheiten – was ist Ihre liebste? D: Das Rauchen hätte ich gern noch als schlechte Angewohnheit. Das darf ich ja leider nicht mehr – aber diese hätte ich gern noch. S: Der Rotwein. B: Na, dann muss ich sagen – das Bier. 18. Wen bewundern Sie am meisten? D: Tommy Emmanuel, weil er Gitarre spielt, als wäre er nicht von diesem Planeten. Und dabei hat man bei ihm trotzdem das Gefühl, dass er einfach nur Mensch geblieben ist frei von jeglicher Arroganz. S: Charlie Brown. Er ist immer gut drauf, obwohl alles schief geht. B: Stephen Hawking, der britische Astrophysiker. Der sitzt zwar im Rollstuhl, aber was der so alles zusammenkriegt und worauf der so alles kommt! Der zeigt einfach mal, dass es eher darauf ankommt was man kann und nicht darauf, was man nicht kann. 19. Was treibt Sie an? D: Neugier. S: Die Gitarren, die so rumstehen. B: Mein Sohn, der mit 16 zu mir gezogen ist. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal in einer Runde so schön vierstimmig berlinert habe. Ach, tat det jut! Damit aber auch Sprachunkundige das Interview verstehen, übersetze ich hier einfach mal ins Durchschnittsdeutsch. Der Bezirk aus dem ich komme, ganz ohne Königsallee, wo ich heute noch Gesichter von vor 40 Jahren seh’… In Schöneweide hält sich vieles – Freundschaften, Beziehungen, Gewohnheiten... auch wenn heute zu Feierabendzeit die Bürgersteige der Wilheminenhofstrasse nicht mehr überquellen, bevor dann so einige für eine Weile im Bermudadreieck verschwinden. Wir sitzen in der Qbar und trinken Kaffee, Cola light, Mango Schorle und kleine aber einige Gläser Bier. Der lokale Patriotismus der Band spiegelt schon gleich im Namen wieder – angefangen hat alles mit ‚Traveling Köpenick’ in Anlehnung an Traveling Wilburys (George Harrison, Jeff Lynne, Roy Orbison, Tom Petty, Bob Dylan). Das schien aber zu ungenau. ‚Traveling Schöneweide’ war auch noch nicht genug. Also ‚Traveling O(berschöne)weide. Alle drei sind hier geboren, aufgewachsen und sind trotz mancher kurzer Ausflüge in andere Bezirke wieder hier und wollen es auch bleiben. Zusammengekommen sind die drei vor 2 Jahren als Dirk und Sven für den Auftritt im Viva in der Wuhlheide ein Lied geschrieben hatten und Gäste suchten, die den Auftritt musikalisch auf irgendeine Art begleiten würden. Übriggeblieben ist Bert. Nachdem er sich an zwei herumstehenden Bongos probierte, war klar, ‚der kriegt keine Gitarre in die Hand, der spielt Bongos’. Was als Idee für ein Projekt begann wurde zum Selbstläufer. Mindestens einmal die Woche wird gemeinsam geprobt. ‚Wenn ein neues Lied da ist, wird das immer erst akustisch auf der Couch probiert’, dann kommen die anderen hinzu und das Lied wächst und verändert sich. Im Moment haben sie ein Repertoire von ungefähr 60 Liedern – keine Cover, alles handgemacht! Ich frage nach den inoffiziellen Rollen innerhalb der Band – oh ja, die gibt es. Unter lautem Gelächter wird jeder Einzelne ernannt – Sven, der Kapellmeister; Dirk, der Bürgermeister; Bert, der Taktgraf. Es ist nicht einfach, der Percussionist von zwei Liedermachern zu sein. Für Liedermacher ist es die Hölle einem Schlagzeug folgen zu müssen. Aber der Taktgraf setzt sich dann schließlich durch und überzeugt. ‚Bei uns geht es ja hauptsächlich um die Texte. Ich will ja nicht sagen, dass die musikalische Untermalung zweitrangig ist, aber zuerst entstehen halt die Texte. Da baut man halt auch mal dramatische Pausen ein, mit denen der Percussionist aber nicht umgehen kann…’ Eine kreative Routine fürs Liederschreiben gibt es nicht. Die Dinge passieren und dann entwickelt sich irgendwo ein Reim daraus. Das ist dann die erste Zeile von der ersten Strophe, der dritten Strophe und vom Refrain. Man kann nie wissen, wo die Reise danach hingeht. Als Akkordfinder schreiben und spielen sie allein nach Gehör. Das Liederschreiben fing vor fünf Jahren an mit Geburtstags- und Kinderliedern für Freunde, Bekannte und Kollegen. ‚Heute gehen wir auf Deutschlandtournee durch Schöneweide’… Etwas größer wird es dann beim jährlichen Hofschwof der BSR, wo dann extra Lieder geschrieben werden mit ‚allem was mal so raus muss’. Noch größer war es beim Auftritt im ICC für eine Personalversammlung der BSR – ‚wenn man da mit seiner kleinen Holzgitarre sitzt, wird einem schnell anders – obwohl wir nur ein paar Lieder gespielt haben, kam es mir vor wie 10 Stunden’. Aber ansonsten legt sich das Lampenfieber meistens nach dem ersten Lied. Dieses Jahr haben sie vor, sich etwas in die Fremde vorzuwagen – Köpenick, vielleicht sogar Mitte… Zu 50% erinnern ihre Konzerte an Klassentreffen – alte Freunde und Bekannte sind immer zur Unterstützung und natürlich zu ihrem eigenen Vergnügen dabei. Ihr größter Fan und das stille vierte Bandmitglied gestaltet ihre sehr lebendige Internetseite. ‚Ich hätte nie gedacht, dass unsere Musik mal so begeistert, dass jemand so viel Zeit und Mühe in uns investiert.’ Zu Hause, ist die Publikumsstimmung dann schon durchmischter. Sven wird nach der vierten Wiederholung eines Liedes von seiner Familie gebeten, mit der Gitarre doch bitte in die Küche zu gehen; Berts Sohn geht in sein Zimmer, macht die Tür zu und spielt laut Metall; auch Dirks Familie ist von der ewigen Wiederholung des immer gleichen Liedes schnell genervt. Ihre Familien stehen hinter ihnen, auch wenn sie froh sind, dass es den Übungsraum auf dem Fernsehgelände in Adlershof gibt. Für Dirk fing das Musikmachen mit 12 an, wo er von Benny in der Kammer die ersten Griffe gelernt hat. Das war gleich ein Virus, den er nicht mehr los wurde. Sven hat sich 1977 die erste Gitarre bei Takt & Ton in der Kastanienallee für 550 Mark gekauft – ‚dafür habe ich alles platt gemacht, was ich hatte, um das Geld zusammen zu kriegen’. Damals haben beide Kfz-Mechaniker gelernt, obwohl Sven diesen Beruf verabscheut hat. Wenn er die Zeit zurückdrehen könnte, hätte er lieber eine Ausbildung zum Bühnenbildner gemacht (‚Die Zeichnungen auf der Webseite sind alle von ihm’, sagt sein Bruder nicht ohne Stolz). Aber welcher Mensch kann mit 16 schon sagen, was er sein Leben lang machen möchte. In dem Alter entscheidet man sich ja auch bisschen danach, was der beste Freund gut finden würde. Bei Bert ging es vor fünf Jahren los mit der Musik. Zwar hat er sich mit 19 die erste Gitarre geschnappt und ein paar Griffe gelernt, aber dann war erst mal lange musikalische Pause. Die Begegnung mit den Friedrichbrüdern vor zwei Jahren hat ihn dann noch mal ganz anders gefordert, als er von ihnen als Percussionist entdeckt und gefördert wurde. Vorher hatte er mit Schlaginstrumenten überhaupt nichts zu tun. Was alle bedauern ist, dass es eben diese lange Pause zwischen jugendlichem Herumprobieren und ernsthafterem Musikmachen gab. Aber da war auch die DDR-Zeit mit all ihren Beschränkungen und Vorgaben. Da ich die DDR nur bis zum 13. Lebensjahr mitbekommen habe, lasse ich mir das Verfahren der Einstufungskommision erklären, das vor Ausgabe einer Spielerlaubnis zum einen sicher stellte, dass der Geist des Sozialismus nicht verletzt wurde und zum anderen die Lohngruppe für die Musiker festlegte. Dass aber auch heute nicht die große Freiheit herrscht, die uneingeschränkte künstlerische Entfaltung fördert, sondern vor allem finanzielle Einschränkungen mit sich bringt, wissen die drei. Sie haben keinen Bock auf Massenware und wollen sicher gehen, dass ihre Musik nur von dem, was sie wirklich bewegt, handelt. ‚Es ist alles dabei – die Arrangements sind immer auch emotional gestaltet’. Handgemacht eben. Aber auch immer gut lokal verwurzelt – anders ist das für die drei undenkbar. ‚Egal wo du herkommst und aufwächst – das sind deine Wurzeln und das bleiben deine Wurzeln ein Leben lang.’ Ich laufe auf dem unüberfülltem Gehweg der Wilheminenhofstrasse zur Tram, habe Muskelkater vom zweistündigen Lachen und genieße das gute Gefühl, das mich immer dann überkommt, wenn ich wieder mal andere Künstler getroffen habe, die mit Herz, Seele und radikaler Ehrlichkeit erschaffen, was halt mal gesagt und gesungen werden sollte.

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