„Ich kann nur singen.“

Im Gespräch mit der Liedermacherin Bettina Wegner
Die Liedermacherin Bettina Wegner musste die DDR 1983 wegen ihrer politischen Haltung verlassen. Sie hatte nämlich eine. Ihre Musik hat den Weg zum Publikum dennoch gefunden. Das Lied von den kleinen Händen ist längst Schulliteratur. Ihre letzte Tournee endete 2007 in Friedrichshagen. Genau dort wird sie am 16. April 2016 noch einmal auftreten. Singen hat ihr zu leben geholfen, sagt sie, und daran hat sich bis heute nichts geändert. Wir haben mit ihr über Musik, das Älterwerden und die Notwendigkeit des Aufbegehrens gesprochen.
Foto: Lutz Baumann
Foto: Lutz Baumann
Dass ein Liedtext von ihr in Schulbüchern steht, gefällt Bettina Wegner gar nicht. Ein junger Mann hat sich mal bei ihr darüber beschwert, er war in der Abiturprüfung an der Interpretation gescheitert. Sie selbst hat die Frage gehasst, was der Dichter denn damit gemeint habe. Vor allem aber möchte sie nicht die Ursache für jemandes Kummer sein. 2007 entschied sie sich aufzuhören. Sie nahm ihren Vater zu sich und wusste, dass der Beruf daneben keinen Platz haben würde. „Einen alten Menschen zu betreuen und zu pflegen, das habe ich nicht gelernt. Er hat's mir sehr leicht gemacht.“ Sie mochte außerdem nicht mehr als Sängerin arbeiten. „Der Beruf ist ein Nuttenberuf geworden. Ich hatte keinen Bock mehr, mich dazwischen zu setzen, wenn der Veranstalter mit dem Manager um Preise streitet.“ Nicht zuletzt war ihr Körper erschöpft. „Wenn ich nach einer Tournee aus dem Auto gestiegen bin, haben vier Kollegen an mir gezogen und wir sind erstmal zum Notarzt.“ Ihr Rücken setzt ihr zu. Nach einer Hand-OP kann sie inzwischen nicht mehr Gitarre spielen. „Ich bin froh, wenn ich Kartoffeln schälen kann.“ Aber die Musik konnte sie nicht so einfach beiseite packen. „Wenn einer sein Leben lang gesungen hat, kannst du ihm ja nicht die Stimmbänder durchschneiden.“ Sie erzählt von einem Musiker, der in Bars gespielt hat und am Ende sein Instrument zertrampelt hat. „In vielen Berufen kann man froh sein, wenn man endlich das Rentenalter erreicht hat.“ Bei ihr war das anders. „Ich liebe Singen, und ich liebe es, wenn ich mit dem Publikum zusammen sein kann.“ Ihre Lebensstrategie nennt sie das. „Ich glaube, das Singen hat mir geholfen, leben zu können. Ganz ohne komme ich nicht aus, auch wenn ich schabrackig bin, inzwischen.“
Ich bin schon mal jung gewesen, aber ihr wart noch nie alt!
Ebenso wenig hat sie aufgehört, ihren Zorn über Zustände mitzuteilen, die sie als ungerecht empfindet. „Meine Söhne lächeln immer so 'n bißchen mitleidsvoll. Ihr meckert nur, sage ich, und eure rückengestrafte Mutter geht auf Demos.“ Etwa, als es darum ging, die Verpressung von CO2 zu verhindern, gegen TTIP und CETA. „Wenn ich Monsanto höre, möchte ich zur Waffe greifen. Ich hab aber bloß 'n Schraubenzieher.“ Als der Bahnhof Friedrichsstraße nachts verschlossen wurde und ein Obdachloser davor erfror, hat sie dort ein Konzert gespielt. Dass es irgendetwas bewirkt, glaubt sie nicht. „Auch wenn du 20 Aktionen mit Obdachlosen zusammen machst, kannst du ihre Situation nicht ändern. Ich bin kein Politiker. Ich kann nur singen.“ Aber mitgezählt werden, als eine Stimme dagegen, ist auch etwas wert. Geboren ist Bettina Wegner in Lichterfelde. 1949 sind ihre Eltern nach Pankow gezogen, und sie berlinert noch immer, wie das nur jemand kann, der im Osten groß geworden ist. Einen Pfennig Abzug vom Taschengeld für jedes berlinerte Wort haben die Eltern ihr und ihrer Schwester vorgeschlagen. „Wir haben beede keen Taschenjeld mehr jekricht.“ Die schmale Bettina, fast 70 Jahre alt, in Jeans und Pullover, immer noch langhaarig, sieht bis heute nicht aus wie Frohnau. „Ich habe über 30 Jahre gebraucht, um drei Ehepaare kennenzulernen.“ Sie ist da wohnen geblieben und doch heimatlos. „Angekommen bin ich hier nie. Ich würde bis heute sagen, meine Wurzeln sind in Ostberlin.“ Ihren Verlust hat sie in Lieder verwandelt, bis sie fand, dass es genug sei. „Meine Mutter hat sich zu ihrem 90. Geburtstag ein Lied von mir gewünscht. Weil ich nicht mehr geschrieben habe.“ So ist „Was ich zu sagen hatte, habe ich gesagt“ entstanden. „Du erwischst dich selber irgendwann bei Wiederholungen. Ich glaube wirklich, dass ich alles gesagt habe, was ich zu sagen hatte.“ Dann fällt ihr Vincent ein, der Sohn ihrer Nichte, der mit zwei Jahren starb. „Das sollte unserer Familie etwas sagen. Wir sollten etwas lernen.“ Für den hat sie nochmal ein Lied geschrieben. „Das war für mich eine neue, nie erlebte schlimme Situation.“ Die Fotos in ihrem Wohnzimmer erzählen viel darüber, wie wichtig ihr die Familie ist. Ein großformatiges Porträt ihrer Eltern hängt da. „Mit denen red´ ich, wenn die Kinder nicht da sind.“ Vielleicht macht sie irgendwann ein Wutlied. So eins hatte sie noch nicht. Es fiel ihr beim Bahnfahren ein. „Jetzt bin ich ja 'ne Alte!“, sagt sie. „Ist wieder kein Junge und kein Mädchen aufgestanden“, hat sie ihren Söhnen berichtet. „Ja Mama, du wirkst eben nicht so, als ob du eine alte Frau wärst“, haben die geantwortet. „Na, das kann sehr trösten! Besonders, wenn du nicht stehen kannst. Da hab ich eine Wut gekriegt. Und ein Lied im Kopf: Ey, ihr Besserwisser! Ihr, die ihr lächelt, wenn ich auf Demos gehe. Das bringt doch alles nichts, das bringt doch alles nichts.“ Dann hebt sie plötzlich die Stimme und singt mit ihrer klaren, kraftvollen Stimme den Refrain, den sie sich dazu ausgedacht hat. „Ich bin schon mal jung gewesen, aber ihr wart noch nie alt!“ Das ganze Zimmer füllt sich mit Klang und Wärme. Ihre Söhne haben recht. Da ist keine Spur von Alter. Nur Schönheit. Vielleicht hat sie aufgehört, alles allein machen zu wollen. Eine Liedzeile kommt ihr in den Sinn. „Wir könnten viel mehr sein, lasst uns ein Meer sein“, Silbermond heißt die Band. „Die spricht für mich“, dachte sie. „Ich bin zwar nicht mehr im Beruf drin, aber es gibt Leute, die sprechen weiter, die singen weiter.“ Und dann wäre da noch Leonard Cohen, der für sie wichtigste von allen. „Das ist so, als ob dich beim Hören etwas ins Herz trifft.“ Zehn Jahre hat sie an der Nachdichtung „Dance me to the end of love“ gearbeitet. „Freie Nachdichtung kannst du vergessen bei dem. Die Metaphern müssen stimmen, die Bilder müssen erhalten werden. Ich hab´s immer wieder weggelegt. Gedacht, ich treff´ es nicht.“ Weitergemacht hat sie nur, weil sie sich an existierenden Nachdichtungen gestoßen hat. Drei Jahre später hat Sony Music ihr endlich erlaubt hat, ihre Nachdichtung zu singen. Wenn sie im April auftritt, begleiten sie Karsten Troyke und Jens-Peter Kruse. Natürlich werden sie das Leonhard- Cohen-Lied spielen. Bettina wird sich nur um das Singen kümmern. „Ich möchte noch ein bißchen rappeln.“ Wir bedanken uns für das Gespräch!  
Bettina Wegner Live 16. April – 18:00 Uhr – Christophoruskirche, Bölschestraße 27 - 30

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