Kunst ohne Wasser
Die Tür führt in das größte selbstorganisierte Künstlerhaus von Berlin. Dahinter steht keine Kulturverwaltung, sondern ein Verein von Künstlern für Künstler. Im Haus befinden sich 60 Ateliers in welchen vermutlich um die 100 Künstlerinnen arbeiten. Man kann sich großartig in ihm verlaufen. Der Besitzer des Hauses, welches früher zum Reparaturwerk für die Allgemeine Berliner Omnibus AG gehörte, ist selbst Berliner und Kunst ist ihm wichtig. Aus diesem Grund sind die Mieten im Atelierhaus billig. Im Gegenzug will er keinen Stress.
Dementsprechend rustikal ist dann auch der Zustand des Hauses. Alle Reparaturen müssen von den Bewohnern selbst ausgeführt werden. Wenn das benachbarte Badeschiff sein Becken volllaufen lässt, kommt im Flutgraben kein Wasser mehr aus den Hähnen. Da dem Besitzer auch das Badeschiff gehört, kann man sich aber nicht beschweren. Kein Stress! Durch die ständigen Trockenlegungen, bilden sich Ablagerungen in den Rohren und mittlerweile kann man das Wasser selbst dann nicht mehr trinken, wenn es mal da ist.
Was die Touristen bewundern
Dennoch ist das Atelierhaus am Flutgraben eine rühmliche Ausnahme. Allein weil es noch existiert. Denn Atelierräume sind knapp geworden in Berlin. Die Stadt hat sich radikal gewandelt. Auch wenn es am Ufer des Clubs der Visionäre auf den ersten Blick immer noch so aussieht, als könnte hier jeder mit eine paar Holzlatten und einer Vision etwas aufziehen.
Das ist die Disneylanderzählung von Berlin. Das ist was die Touristen bewundern. Aber dem Immobilientornado der letzten Jahre hatten die meisten Atelierhäuser nichts entgegen zusetzen. Wenn im Flutgraben ein Arbeitsplatz frei wird, bewerben sich 200 Künstlerinnen, erzählt Mikala Hyldig Dal vom Verein Flutgraben e.V.. Sie sagt das Künstlerleben in der Stadt ist bedroht. Nicht nur das niemand mehr die Mieten in der Stadt bezahlen kann, es gibt auch einfach keine Räume mehr, wo die Künstlerinnen arbeiten können. Dabei sei das künstlerische Niveau hoch in Berlin. Und gerade kämen viele Trumpflüchtlinge aus New York.
Wir sitzen auf der kleinen Dachterrasse des Gebäudes, wo gerade Fotos für einen Flyer geschossen werden. Todesmutig springen einige Bewohnerinnen von einer hohen Leiter mit ausgebreiteten Armen auf eine Matratze. Jedes Mal sieht es aus, als würden sie sich vom Dach in die Spree stürzen, um direkt auf eines der vorbeischippernden Hausboote aufzuprallen, wo gerade wieder ein Jungesellenabschied stattfindet. Der Fotograf knipst. Aufprall auf der Matratze. Gerade noch mal gut gegangen. Der Fotograf sagt, ob man es nicht noch mal machen könne. Mit etwas mehr Spannung.
Brauchen wir einen König im Disneylandschloss?
Die große freie künstlerische Szene war immer etwas Besonderes in Berlin. Ist Berlin nicht die Kulturhauptstadt Europas?, fragt Mikala nach dem Sprung. Berlin braucht dieses Lebensgefühl einer offenen Stadt, um authentisch zu bleiben. Aber (frage ich), was ist wenn das neue Immobilienberlin gar keine Künstlerinnen mehr braucht, sondern viel besser mit dem künstlerischen Anschein zu Recht kommt?
Ein Großteil der Bevölkerung hält Künstler vermutlich bestenfalls für eine Mischung aus arrogant und unnütz.
Im Schloss in Disneyland wohnt ja auch kein Hofstaat und es sieht auch nur von Weitem wie ein richtiges Schloss aus. Für ein Selfie reicht es aber allemal. Den Rest der Stadt kann man dann teuer als Eigentumswohnungen verkaufen. Wozu den Platz mit unnützen Atelierhäusern verschwenden?! Die Kunst, die für den Tourismus gebraucht wird, ist ja schon da. Zumal Künstlerinnen keine Lobby haben. Ein Großteil der Bevölkerung hält sie vermutlich bestenfalls für eine Mischung aus arrogant und unnütz.
Eine Gesellschaft die denkt und reflektiert braucht Künstler, erwidert Mikala. Das ist so etwas, wie gesellschaftliche Grundlagenforschung. Aber solche Prozesse dauern. Manchmal führen sie zu nichts und manchmal kommt etwas dabei heraus, was die Gesellschaft beeinflusst und verändert. Ideal wäre eine Zusammenarbeit von Künstlern, Aktivisten und Wissenschaftlern um Gesellschaft neu zu denken. Existenzängste erzeugen jedoch keine freie & produktive Gesellschaft.
Denkmalschutz für einen sozialen Raum
Und weil das so ist, veranstaltet der Flutgraben e.V. vom 18. August – 2. September ein offenes Haus, in dem im großen Galerieraum die Arbeiten zahlreicher Hausbewohnerinnen zum Thema Open Source zu sehen sein werden. Raus aus dem Elfenbeinturm!, sagt Mikala. Es ist wichtig, ob die Arbeiten offen oder nur für eine Kunstelite zugänglich sind.
Raus aus dem Elfenbeinturm!
Als Zeichen der Solidarität lädt der Flutgraben e.V. zusammen mit der Allianz bedrohter Berliner Atelierhäuser (AbBA) atelierlose Künstlerinnen ein, eine Woche im zweiten Saal des Hauses zu arbeiten. Als Ergebnis wird ein gemeinsamer Katalog entstehen, der Politikerinnen verschickt werden soll. Als Zeichen, was möglich wäre, wenn man mehr Geld und Schutz in die Szene investiert würde.
25% vom Berliner Kulturbudget sollen in die freie Kunstszene investiert werden, sagt Mikala! Derzeit sind es 5%. Und Atelierhäuser müsste man unter Denkmalschutz gestellt werden. Warum denn immer nur Gebäude, warum nicht auch ein sozialer Raum?! Im Badeschiff macht jemand einen Bauchklatscher. Von oben sieht es aus, als würde dort gerade niemand mehr ins Becken gelassen werden, obwohl es nicht sehr voll ist. Künstliche Verknappung. So haben sie es damals bei der Bar 25 auch gemacht.
Der Flutgraben Verein hat sich auf Gelder aus der Lottostiftung beworden und 2 Mio € zur Sanierung des denkmalgeschützten Hauses erhalten. Das machen sie dann selber. Es soll noch dieses Jahr losgehen. Der Eigentümer hat die Nutzung für Kunst und Kultur für die Räume für 25 Jahre unterschrieben. Diese Trutzburg bleibt stehen. Immerhin.
Sa, 18.08. 14:00 - 21:00 Uhr, OPEN SOURCE – Vernissage Gruppenausstellung, Performances, Musik und Essen
Do, 23.08. 19:00 Uhr, Lesung Henning Schmidgen in Kooperation mit Verlag Mattes & Seitz
Fr, 24.08. – So 26.08., Veranstaltung Allianz bedrohter Berliner Atelierhäuser,
Ort:Â Flutgraben e.V., Am Flutgraben 3, 12435 Berlin
Atelierhaus Flutgraben
Allianz bedrohter Berliner Atelierhäuser (AbBA)