Die Phrasendrescher

„Ihr Taxifahrer habt´s ja auch nicht leicht.“
Es gibt so Tage im Leben eines Taxifahrers, da hat man einfach keinen Plan. Man setzt sich in die Karre, trifft alle Vorbereitungen, sortiert das Zeitungsmaterial nach Nachrichten, Kreuzworträtsel und Schmuddellektüre für nach Mitternacht und wartet an der nächsten Taxihalte geduldig auf den ersten Kunden oder den ersten Fahrauftrag.
Ein Taxi schlittert durch die Nacht.
Illustration: Nils Wünsch

Jede Geduld hat ihre Grenzen und nach zwei Stunden ist die erste Zeitung ausgelesen. Kein Fahrgast, keinen Cent Umsatz und das Wechselgeld langweilt sich verlassen in der großen, schwarzen Börse. Es besteht Handlungsbedarf, nicht viel, aber immerhin. Sonst ist der Tag versaut, bevor er richtig begonnen hat. Ich fahre zum Bahnhof Schöneweide, da kann ich zwar keinen finanziellen Umschwung erwarten, aber ein Plausch unter Kollegen wird wohl drin sein und das Wetter ist gar nicht schlecht.

Vor mir am Taxistand lungern die üblichen Verdächtigen  an ihren umweltfreundlich Hybridautos, rauchen, trinken Kaffee und plauschen. Schnell einen Kaffee für mich beim gelben M gekauft und ich stelle mich in die Runde. Na, wie läuft´s bei euch - fragt man dann ganz beiläufig . Es gibt keine Antwort, aber man kann am gelangweilten Gesichtsausdruck der Kollegen ein – Frach doch nich, weeßte doch selba, könnte besser sein – ablesen wie ein Ableser von Vattenfall den Stromzähler durch deine geschlossene Wohnungstür. „Muss, Muss.“ sagt Wuschel noch zu allem Überfluss und weil er eben ein bisschen netter ist als die anderen Kollegen.

Ich tauche ein in die Unterhaltung, da kommt eine Einkaufstasche und möchte nach Johannisthal, da muss der Kollege an der Pool-Position los und mitten im Satz wird das Gespräch unterbrochen. Und wahrscheinlich nie wieder fortgesetzt. Das ist auch gar nicht schlimm, meist sind diese kurzen Gespräche nicht mehr als reines Phrasengedresche. Nach einer gefühlten Ewigkeit ist auch der letzte der in der Reihe wartenden Kollegen von Fahrgastbeförderung betroffen und ich bleibe allein zurück am Halteplatz. Das wurde aber auch Zeit, nach 90 min Smalltalk gehen einem schon mal die Phrasen aus.


Ein Loblied auf die Berliner S-Bahn

Ich habe den Tag abgeschrieben und nur ein Wunder kann mich heute noch vor dem wirtschaftlichen Fiasko retten. Ich würde mich nicht als einen gläubigen Menschen beschreiben, aber kaum habe ich den Gedanken an ein Wunder verschwendet, da kommt auch eins. Die S- Bahn, Berlins`meistes´ Verkehrsmittel, schnell, zuverlässig und bequem wie ein Smart im Handschuhfach hat mal wieder den Geist aufgegeben. Ich stimme ein Loblied an.

Gott ist kein DJ, Gott ist der Taxifahrer der Herzen. Ein Knäuel gefrusteter, abgewiesener Fahrgäste drängt aus der Bahnhofshalle, vorbei am selbst zündenden Pennerlager am ehemaligen Fussgängertunnel und stürmt an den Halteplatz. Ein netter Herr mit Schirm, Charme und Rollkoffer ist Sieger bei diesem Minimarathon und darf sein Gepäck in meine Karre wuchten. Bevor der wütende Mob uns die Taxe zerlegt, trete ich das Gaspedal des Hybriden ins Bodenblech und bei Kirschgrün biege ich mit quietschenden Rädern ab in Richtung Flughafen, dem gewünschten Reiseziel.

„Da machen sie wohl sie wohl heute das Geschäft ihres Lebens!“

äußert sich der nette Mann auf dem Rücksitz. „Nee, ditt habe ick heute morgen schon gemacht. Hatte Kohlsuppe gestern.“ Weiß nicht, ob der Herr das so verstanden hat, wie ich das meinte, das Gespräch aber stagniert nun und bis zum Flughafen wird kein Wort mehr gewechselt. Mit 25 € mehr fahre ich zurück nach Schöneweide und siehe da, es gibt noch Fahrgäste. Die große, schwarze Börse füllt sich langsam und den Satz mit dem Geschäft des Lebens höre ich nun öfter.


Gleichbehandlung aller Fahrgäste

Und weil jeder Fahrgast ein Anrecht auf die gleiche Behandlung hat, da gibt’s auch immer den Toilettenspruch als Antwort. Irgendwann lande ich bei den Friedrichshainis am Wismarplatz. Drei zwei eins sitzt ein Haini nach seinem verdienten Hipster- Feierabend auf meinem Rücksitz und will zum Potsdamer Platz. Hipsterfrass fressen vielleicht oder ins Hipster- Kino.

Wir quälen uns durch den nachmittäglichen Wahnsinn namens Berliner Verkehr. Gelegentlich fluche ich leise und schimpfwortfrei in meinen Hipster- Bart. Mein Begleiter ist willens, Gespräche mit seinem Taxifahrer zu führen und eröffnet die Konversation mit der Phrase:

„Ihr Taxifahrer habt´s ja auch nicht leicht.“

Dieser Mitleid bekundende Satz läuft bei uns Kutschern in der heavy rotation und jeder Fahrgast, der ihn benutzt, der sorgt auch immer dafür, das er auch zutrifft. Ganz klar, am Ziel angekommen bin mir ich seines Mitgefühls sicher. Trinkgeld wäre auch nicht schlecht gewesen und  für das Ertragen seines nervtötenden Gequatsches hätte ich einen Zwilling extra wohl auch mehr als verdient. Aber man kann nicht alles haben.

Dann ist vorerst Schluß mit der Glückssträhne und der liebe Gott ist wieder DJ. Nach 1,5 h Smalltalk mit den Kollegen am Ritz Carlton fahre ich frustiert zum Anhalter Bahnhof, um mir von den Kollegen dort die gleichen Geschichten noch einmal anzuhören. Auf dem Gelände des ehemaligen Bahnhofs spielen integrierte Teenager friedlich Fußball. Besoffene Junkies ohne Migrationshintergrund pissen die Büsche voll. Über allem sinkt die Abendsonne. Romantik pur. Es geht gegen 8:00 Uhr.

In der hippen Metropole öffnen allerorts die Gourmet- Tempel ihre Pforten und laden zum Dinér. Ich werde zum Askanischen Platz gerufen. Mein nächster Fahrgast ist recht prominent, co-moderiert gelegentlich im öffentlich rechtlichen Fernsehen eine Talkshow und ist Herausgeber der Zeit. Er hat am rechten Ohr sein Telefon und öffnet geschickt mit der Linken die Taxitür. Flink erobert er den Beifahrersitz. Ob es mich störe, dass er telefoniere. Natürlich nicht, bekunde ich eilig und reflektiere diese Phrase ausnahmsweise mal nicht in meiner charmanten Berliner Art.

In der Schlange stehen nämlich 15 Taxen und warten auf Fahrgäste, da könnte er auch auf den Sitz kacken. Das störte die nicht, wenn der Preis stimmt. Macht er aber nicht. Hatte er wohl auch nicht vor und wir fahren zum Viktoria- Luise- Platz.

„Ihr Taxifahrer habt´s ja auch nicht leicht.“

eröffnet er die Konversation. Der Tag ist schon versaut und die Strecke ist Gott sei Dank nicht so lang, dass der Mann mit der sanften Art und den rehbraunen Augen mein Stimmungsbarometer noch weiter senken könnte.  Er ist sehr gebildet, in Sprache und Konversation geübt und ein väterlicher Freund, der zwar mit dem Trinkgeld aber nicht mit Lebensweisheiten geizt. Am Ziel angekommen bedanke ich mich vielleicht etwas zu überschwänglich für das aufschlussreiche Gespräch. Ich gäbe ihm meine Stimme, würde er für irgendetwas kandidieren.


Gott is a DJ und gerade beschäftigt

Nach einem Blick zur Uhr beschließe ich, dass es an der Zeit ist, nach Tegel zu fahren und dort auf übervolle Urlaubsflieger mit gut betuchten Reisenden zu warten. Leider ist der Herr im Himmel gerade zu sehr mit seiner Aufgabe als DJ beschäftigt und so warte ich Kaffee trinkend vergeblich auf ein Wunder oder Kundschaft.

Gegen Mitternacht hole ich die Praline aus dem Handschuhfach und mache es mir gemütlich an der Ladeleiste des Terminals A. Nach dem der letzte Fluggast doch lieber im Mercedes gefahren werden möchte und entspannt an meinem Ökotaxi vorbei schlendert, gebe ich das Warten auf und trete die letzte Leerfahrt des Tages an. Ich zähle die Scheine in der großen, schwarzen Börse und stelle entsetzt fest, dass dieser Tag wahrlich auf kein Ruhmesblatt geschrieben gehört.

Mit einer halben Träne im Auge schließe ich die Börse und trabe gesenkten Hauptes nach Hause. Geht das morgen so weiter, bleibt nach Abzug aller Kosten nichts für´s Vergnügen und über die Rente wollen wir heute mal gar nicht reden. Man hat´s aber auch wirklich nicht leicht als Taxifahrer.


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