Ich bin dann auch mal weg | Teil 2

Im Schlafsaal der Stinkefüße
Unsere Autorin Lena hat es wirklich getan und sich auf den Jakobsweg gemacht. Ihre Gedanken auf der Reise zu sich selbst veröffentlichen wir hier in drei Teilen.

Der Atlantik
Foto: Lena Franke

Tja und am nächsten Morgen ging’s dann los. Ich stand an der Kathedrale in Porto und schaute hinunter zum Fluss. Ich aß eine Banane. Und dachte mir – okay, hier geht’s jetzt also los, ja? Und dann watschelte ich los mit Rucksack und Trinksystem, dessen Schlauch neben mir baumelte. Oh Gott ich hab’ mich noch nie so deutsch gefühlt. Aber Trinksysteme sind so geil! Lifehack 1: man trinkt 20% mehr! Lifehack 2: Man muss aber auch 20% mehr Pippi.

Nach 100m wurde ich von drei bellenden Hunden umzingelt und mir wurde erstmal gezeigt, wer hier der Boss ist. Eine portugiesische Omi beobachtete das Spektakel vom Balkon und grinste. Hätt’ ich meine Banane noch gehabt – ich hätt’ sie geworfen – nach den Hunden natürlich.

So blieb mir nichts Anderes übrig als behutsam, aber bestimmt auf die Trethupen einzureden und ihnen klar zu machen, dass ich ihnen ihr Bairro nicht streitig machen, sondern einfach nur vorbei will. Sie willigten zähnefletschend ein. Ich mag Hunde, aber DIE NICHT.

Vor mir lagen meine ersten 24km von Porto nach Labruge. Die ersten 5 km war ich überschwänglich wie ein kleines Kind. Hab gestaunt was ich so sehe. Hab Fotos gemacht und Erdbeeren gekauft. Hab vor Freude gequietscht, als ich am Meer ankam. Nach 10 km fragte ich mich das erste Mal, wie ich noch fucking 14 km durchhalten soll. Ob ich noch einen Schlafplatz bekomme, ob meine Füße schon bluten und WAS ZUR HÖLLE ICH HIER EIGENTLICH MACHE und wo verdammt nochmal diese Kackpfeile sind, die mir den Weg weisen sollen.

Mehrmals stand ich wie bestellt und nicht abgeholt am Wegesrand und fragte mich, wo ich lang musste. Nach 20km heulte ich das erste Mal. Ich wollte nach Hause. In mein Bett. Mir tat alles weh. Ich war einsam ohne Ende. Und ich war mir nicht einmal sicher, ob ich richtig laufe und da ankommen werde, wo ich ankommen wollte.

Mich überholten mehrmals motivierte Pilgergruppen mit ihren Kack-Jakobsmuscheln am Rucksack.

„Wo zur Hölle hatten sie die alle her und warum habe ich keine? Ach, ich will gar keine!“

Während eines meiner Streitgespräche mit mir selbst überholte mich ein Mann mit Beinprothese. Ich schluckte wütend meine Tränen und sagte mir selbst, hab dich nicht so Lena und lauf jetzt. Und wie ich mich hatte!!!!! Aber ich stampfte weiter. Das Meer war ja doch auch irgendwie ganz schön.


Das Abendbrot der Entscheidung

Irgendwann kam ich tatsächlich an. Und ich war das erste Mal nach Stunden über irgend etwas froh. Bis mein Abendbrot vor mir stand. Da wollte ich wieder weinen. Also, wenn man in Portugal oder in Spanien potatoes bestellt – dann bekommt man Pommes und KEINE Kartoffeln. Zumindest bekam ich nie Kartoffeln. So. Ich hatte mich auf Kartoffeln gefreut. Ich hatte doch so unendlich Hunger.

Und dann lagen sie da und lachten mich aus, diese labbrigen kack Pommes. Und dann dieser labbrig frittierte Fisch – wenn er gekonnt hätte, hätte er mit dem Finger auf mich gezeigt und Ätschibätsch gesagt.

Ich wollte wieder weinen. Abgesehen davon, dass ich die einzige war, in diesem Campingplatz-Restaurant, die allein saß. Da kiekt ihr wa! So einsam die Kleene. (Ich war die Jüngste). Aber es gibt wichtige Dinge zu klären und dazu gehört halt jetzt auch hier allein an diesem Tisch zu sitzen und vermutlich Mitleid zu erregen – so bedröppelt wie ich vor meinem Teller sitze – was für ein Bild.

Aber, was soll ich sagen, an diesem Tisch habe ich beschlossen Vegetarierin zu werden. Warum auch immer. Ich hatte das schon lange im Kopf, aber an dem Tisch fiel die endgültige Entscheidung. Vielleicht lag es an den Aufnähern an meinem Rucksack und die Tatsache, dass ich den nur würdevoll tragen konnte, wenn ich dafür eintrat, was da auf meinem Rücken stand.

Das tat ich eigentlich auch schon lange. Aber, ich wurde immer schwach. Vor allem bei Ente. Aber ich liebe Enten. Und ich liebe meine Freunde, mir würde nie in den Sinn kommen, die zu essen.

Außerdem – auf dem Jakobsweg trifft man doch große Entscheidungen, nicht wahr? Also, das war Entscheidung Nummer eins.


Die liebevolle Qual des Jakobsweges

Sagen wir’s mal so, wenn man ein bisschen vom Weg abgekommen ist, dann lässt es dich der Jakobsweg nochmal mit aller liebevollen Intensität spüren. Er quält dich – ganz langsam und mit viel Liebe. Aber er belohnt dich auch. Mit labbrigen Pommes. Oder mit lieben Menschen, die auf dich aufpassen oder dich einfach begleiten.

Am ersten Abend, in meinem Bungalow auf dem Campingplatz, da war ich sehr einsam. Und ich hasste es. Hatte mich ewig drauf gefreut, auf Ruhe und Alleinsein und dann doch nicht gewollt. Warum ist der Mensch so komisch? Warum schmeckten schon früher die Pausenbrote der Mitschüler besser als die Eigenen, auch wenn Mama die exakt so gemacht hat, wie sie bei den Anderen waren?

Jedenfalls – ich wollte mich gerade in den Schlaf weinen – da klopfte es an den Bungalow. Es folgte ein kleiner Herzaussetzer – war das der Greifvogel und kommt er jetzt meinen Rucksack holen (der im Übrigen tatsächlich am nächsten Tag in Lissabon ankam)?

Nein – es waren zwei quietschlebendige Hamburgerinnen Anfang zwanzig mit so viel Elan, den hatte ich das letzte Mal – ich weiß es nicht. Und schwupps meine Einsamkeit nahm ein Ende. Und ich musste mich doch nicht in den Schlaf weinen. Denn die zwei Mädels wurden meine Bungalwopartnerinnen für eine Nacht und meine Wegbegleiterinnen für die nächsten zwei Tage.

Ich sollte mich von ihnen jedoch schneller wieder trennen als ich selbst erwartet hätte – und warum? Genau, ich wollte allein sein ....

„Und ja, es ist manchmal wirklich anstrengend ich zu sein.“

Aber was soll ich sagen, mit den beiden hatte ich auch viel Freude, wir holten uns gemeinsam unsere ersten schlimmen Blasen, picknickten in den Dünen am Strand, holten uns den ersten Sonnenbrand, gingen gemeinsam auf den Markt wo eine von uns beleidigt wurde, nachdem sie die Erdbeeren angegrabscht und dann doch nicht gekauft hat. „PUTAAA!“, hieß es von der netten Dame am Stand. Das verstanden wir sogar ohne ausgeprägte Portugiesischkenntnisse.

Dann ging uns ein Gangmitglied kurzzeitig verloren als sie Nudeln kaufen wollte. Sie fand uns aber wieder. Wir tranken Tee und ich hörte mir ihre Weltenbummlergeschichten an. Und dann kam noch ein junger Mann dazu. Auch irgendwas Anfang 20. Knallrot und humpelnd. Er war an seinem ersten Tag aus Versehen 40km gelaufen.

Was zur Hölle? Jedenfalls gab’s Morgenyoga und Nudeln vom Vortag. Wir wanderten ins Landesinnere, liefen an Kühen vorbei, tranken leckerste Kaffee für einen lächerlichen Euro und versuchten uns an portugiesischen Begrüßungsformeln. Ne richtig gute Zeit eben.

Irgendwann holten sie – als ich gerade die Ruhe der Natur anfangen konnte zu genießen - die Boombox raus. Die Musik war super. Da kann ich nichts Anderes sagen. Aber alles in mir wehrte sich. Der Lärm drückte jeden einzelnen Nerv in mir. Und dann fragte ich mich – wolltest du nicht genau von so etwas weg? Von der Zerstreuung, vom Lärm, vom Anpassen an den Rhythmus der Anderen? Wolltest du nicht ein paar Dinge klären?


Und Tschüss gesagt

Und so kam es, dass ich Schluss machte mit meinen Lebensabschnittsgefährten. Es lag nicht an ihnen, es lag an mir – ich fühlte mich nicht bereit. Für die Boombox. Sie würden jemand Anderes finden, der das will, was sie wollen. Ich bin’s nicht.

So kam es, dass ich am vierten und gleichzeitig sehr verregneten Tag stumm meine Sachen packte. Ich lief aus der Pilger-Herberge und sprach zu niemandem. Ich ließ die Tür hinter mir auf und auch das Hoftor. Ich wollte eigentlich nur kurz zur Touristeninfo. Ich wollte nochmal Tschüss sagen kommen. Aber dann lief ich und lief ich und lief ich, es regnete in strömen und ich fing an zu heulen. Kein Witz. Das ist nicht aus einem Film geklaut. Es war so und noch viel schlimmer.

Die Touristeninfo hatte zu. So konnte mir niemand sagen wo der Bahnhof ist. Zu dem ich wollte. Ich wollte zur spanischen Grenzen vorfahren. Zwei Tage pausieren. Lesen. Schlafen. Denken. Ich irrte durch Barcelos und wusste nicht wohin. Heulend rannte ich in einen Zeitungsladen.

„Wo ist der Bahnhof?“

Fragende Gesichter schauten mich an. Ich suchte in meinem Pilgerführer nach dem richtigen Wort. Ich stammelte irgendwas von „estação“. Ein wildes Gestikulieren begann. Ich wurde wütend. Ich verstand sie nicht und sie mich nicht.

Ich stolperte heulend in den Regen zurück. Irgendwann zeigte Google Maps doch noch eine Regung. Ich lief in die vorgegebene Richtung. Ich war klitschnass. Und hatte keine Ahnung wo ich bin und was ich will. Welcher Pilger fährt denn mit dem Zug???? Ich heulte noch mehr. Ich fühlte mich wie eine Versagerin, eine unfreundliche dazu - nicht einmal Tschüss sagen kann sie.

Ich plumste auf eine Treppe auf der ich mehr schlecht als recht Schutz vor dem Regen hatte. Sämtliche Pilger liefen an mir vorbei. DA WAREN SIE WIEDER DIESE JAKOBSMUSCHELN. UND DIESE MENSCHEN DIE SO AUSSAHEN, ALS WÜRDEN SIE DAS JEDEN TAG MACHEN. Warum kann ich das nicht? Warum sitze ich hier und heule? Soll ich zurückgehen? Den anderen Pilgern hinterher? Doch zum Bahnhof, von dem ich immer noch nicht wusste wo der ist?


Nach Hause telefonieren!

Ich rief Kristian an. Meinen damaligen Freund. Ich schluchzte in den Hörer unfähig was Anständiges zu sagen. Der Rotz verhinderte, dass man mich verstand. Am anderen Ende kam ein „Oh Baby, was ist denn los?“ ALLES SCHEISSE IST LOS. ES REGNET. ICH WILL NACH HAUSE. ICH BIN ALLEIN. ICH BIN NASS. ICH WEIß NICHT WO DER BAHNHOF IST. ICH BIN EINFACH GEGANGEN OHNE TSCHÜSS ZU SAGEN UND ÜBERHAUPT WEIß ICH GAR NICHTS. ICH FÜHLE MICH SO VERLOREN WIE LANGE NICHT UND SITZE HIER IM REGEN - UNFÄHIG EINE ENTSCHEIDUNG ZU TREFFEN.

„Kann ich was tun fragte es liebevoll am anderen Ende“ – bleib dran, bis ich aufgehört habe zu weinen und sag mir, dass du mich lieb hast, auch wenn ich nass im Regen sitze und mich selbst bemitleide. „Okay, Baby ich hab dich lieb!“ hieß es mit mitfühlender Stimme ein paar tausend Kilometer entfernt.

Er schaffte es. Nach einer halben Stunde verging mein letzter Schluchzer. Und auch der Regen ließ etwas nach. „Du schaffst das“ hieß es. Ich legte auf und nahm mir vor den Bahnhof zu finden.

Eine halbe Stunde später hielt ich mein Zugticket in der Hand. Noch vier Stunden bis zur Abfahrt nach Valença an der portugiesisch-spanischen Grenze. Ich setzte mich in ein Café und aß portugiesisches Gebäck. Ich wurde wieder trocken und die Welt wurde langsam wieder bunter.

Vier Stunden später saß ich im Zug und fuhr 60 km vorbei an kleinen Dörfern, Feldern und am Meer entlang. Ich aß Schokolade und freute mich das erste Mal aufrichtig über mein Alleinsein. Ich glaube, jetzt bin ich bereit für den Weg.


Im Schlafsaal der Stinkefüße

Und so lief ich von da weitestgehend allein über Felder und durch Wälder. Durch kleine verschlafen Dörfer. Bergauf und bergab. Ich saß auf einem Berg und verspeiste mein Mittag während ich ins Tal blickte. Immer nach der Hälfte meiner Tagesetappen die zwischen 15 bis 24 km betrugen, hielt ich Ausschau nach einem süßen Café und gönnte mir einen Kaffee. Denn egal wo man den holte, er war immer saubillig und schweine lecker.

Ich stand jeden morgen zwischen 6:00 und 7:00 Uhr auf. Die Morgenstunden waren die schönsten. Ich flüchtete vor den anderen Pilgern. Ich wollte nicht reden. Nicht während des Laufens. Ich wollte einfach nur laufen und denken und die frische Luft einatmen.

Ich musste mir doch schon jede Nacht mit ihnen einen Schlafsaal teilen. Mal zu zweit. Mal zu viert. Mal zu zehnt. Mal zu dreißigst. Mit einem nächtlich-abwechslungsreichen Schnarchkonzert. Untermalt mit einer stets anwesenden Stinkefußnote. Das reichte mir zunächst an Nächstenliebe.

 

Das war Teil 2 von Lenas Reise auf dem Jakobsweg. Hier könnt Ihr Teil 1 lesen. Nächste Woche gibts hier den den dritten und letzten Teil zu lesen…


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