Jugendliche und klassische Politik - das ist keine Liebesbeziehung. Und es beruht auf Gegenseitigkeit. Auf der einen Seite sind es die Jugendlichen selbst, die auf klassische Politik nicht sonderlich viel Bock haben. Es gilt als eher uncool, sich abends in bierseligen Parteisitzungen ein Referat des stellvertretenden Sprechers für Haushalt anzuhören. Wenn überhaupt wird lieber freitags die Schule bestreikt, was auf Instagram deutlich besser aussieht als ein Selfie mit Olaf Scholz.
Auf der anderen Seite lädt Politik die Jugendlichen auch nicht wirklich ein, erst mit 18 darf man wählen, „diese jungen Leute“ sollen bitte erstmal arbeiten, oder wie Christian Lindner zu den Schulstreikern sagte: Überlasst Politik mal den Profis.
„Sie ist beleidigt rausgegangen“
It’s not a match. Wie schön also, dass sich Anfang 2019 eine Schülerin ans Treptow-Köpenicker Bezirksamt wendete, mit Bitte um Geld und Unterstützung, weil sie einen politischen Schülerkongress organisieren wollte. Schön mit Tagesordnung, im Köpenicker Rathaus, vielleicht ein paar Schnittchen zum Mittag – genau so, wie sich die klassische Politik das eben vorstellt. Doch dazu kam es nicht. Das Bezirksamt lehnte ab. Schülerin Maria Geidel: „Wir sind doch nur Schüler. Aber dass wir da angeblich parteipolitisch wirken wollten, wurde wie eine Tatsache dargestellt.“Schulstadträtin Cornelia Flader, CDU: „Ich konnte es nicht fassen, was tun die mir an.“Schülerin Ella Hanewald: „Sie ist beleidigt rausgegangen, das war eine unangenehme Stimmung.“
Schülerin wollte Kongress wie in Marzahn-Hellersdorf
Wenn man die Ereignisse rekonstruiert, lernt man so einiges über die Kluft zwischen Politik und Jugendlichen, nicht nur in unserem Bezirk. Die Geschichte beginnt am 31. Januar 2019. Cornelia Flader erhält eine E-Mail aus Marzahn-Hellersdorf, von ihrem dortigen Kollegen, dem Schulstadtrat Gordon Lemm von der SPD. Der empfiehlt ihr, einen Schülerkongress auszurichten, wie in seinem Bezirk auch, und nennt Maria Geidel als Ansprechpartnerin. Maria war damals Schülerin in Treptow-Köpenick. Sie meldet sich am 7. Februar selbst bei Flader und schickt ihr ein Konzept für den Kongress, mit der Bitte um Geld und Räumlichkeiten zur Unterstützung. Maria Geidel ist Mitglied im Bezirksschülerausschuss, abgekürzt BSA. So ein Gremium hat jeder Berliner Bezirk. Die Schülervertretung jeder Schule entsendet zwei Leute, die im BSA die Belange der bezirklichen Schülerschaft vertreten sollen. Marias älterer Bruder war auch mal in so einem BSA, in Marzahn-Hellersdorf, und hat dort den Schülerkongress organisiert, den Flader nun auch in Treptow-Köpenick finanzieren soll. Die Idee: Schülervertreter lernen auf dem Kongress ihre politische Rechte und wie sie sich besser organisieren können. Sie laden Politikerinnen aus dem Bezirk ein und sagen denen, was sie sich wünschen. Wahrscheinlich hat ihr älterer Bruder zu Maria gesagt: „Mach das doch in Treptow-Köpenick auch mal.“ Marias älterer Bruder, Dmitri Geidel, ist übrigens in der SPD. Genauso wie Maria auch. Und das wird später zum Problem werden.Schulamt reagiert nicht
Noch weiß Cornelia Flader nicht, wer Maria Geidel ist und dass sie ein Parteibuch hat. Denn vier Wochen lang passiert erstmal gar nichts. Der Vorschlag von Maria geht unter vielen anderen Anfragen im Schulamt unter. Für Schüler, die sich über Vertretungsstunden, Hausaufgaben und den freitäglichen Schulstreik in WhatsApp-Gruppen austauschen und deren Instagram-Storys nach 24 Stunden automatisch verschwinden, sind vier Wochen eine sehr lange Zeit. Für Ämter hingegen ist das normal. Schulneubauten müssen geplant, Anfragen aus dem Bezirksparlament beantwortet werden, so etwas dauert. Und dann fehlt es in Treptow-Köpenick auch noch seit Jahren an einem Schulamtsleiter. Seit Jahren. Die Stelle kann erst zum Dezember 2019 wiederbesetzt werden. Bis dahin muss Cornelia Flader selbst unzählige Termine wahrnehmen, auch auf den unteren Verwaltungsmitarbeitern lastet mehr Verantwortung. Es ist kein böser Wille, dass man sich deswegen erst einen Monat nach Marias erster Mail ans Schulamt, angeregt durch eine Nachfrage von ihr am 1. März 2019, mit dem Thema beschäftigen wird. Aber erklären tut man die Verzögerung der Schülerin eben auch nicht. Bei der kommt an: So sehr interessiert sich das Amt wohl nicht für unsere Idee.Flader: „Kann hier so nicht stattfinden.“
Am 4. März fragt Fladers Schulamt die Kolleginnen in Marzahn-Hellersdorf nach Details für Finanzierung und Durchführung des Kongresses. Wenn es dieses Format dort schon gibt, warum dann nicht von den Erfahrungen profitieren? Als Cornelia Flader eine Antwort aus dem Bezirk erhält, ist sie schockiert:„Nein, so wie es dort läuft, kann es hier nicht stattfinden.“Denn der in Marzahn-Hellersdorf vom Schulamt finanzierte Kongress wird maßgeblich von den dortigen Jusos geplant und durchgeführt – für Flader eine nicht zulässige Einmischung einer Partei in schulische Belange. Und auch in Marzahn-Hellersdorf war diese Verquickung schon Thema im Bezirksparlament. Denn die Jusos sind die Jugendorganisation der SPD. Viele aktuelle und ehemalige Mitglieder des Marzahn-Hellersdorfer BSA sind Jusos, deren Einfluss auf die Ausgestaltung des Schülerkongresses ist also groß. So gibt Schulstadträtin Flader der Schülerin Maria Geidel am 14. März die Rückmeldung: In der vorgeschlagenen Form unterstützen wir das Vorhaben nicht. Die erste Antwort, die Maria Geidel aus dem Schulamt erhält, ist also keine Nachfrage, ob sie den Kongress wirklich genauso wie in Marzahn-Hellersdorf organisieren will, ob auch hier im Bezirk Jusos den Kongress organisieren wollen. Es ist kein „Danke“ für die Idee und das Engagement. Sondern die erste Rückmeldung ist eine schlichte Absage. Maria Geidel: „Das Konzept war nicht so, dass das eine Juso-Veranstaltung ist. Frau Flader hat da was reininterpretiert. Die Engagierten sind gleichzeitig auch in Parteien, bei SPD, Grünen, Linkspartei, das passiert einfach. Die konservativen Parteien sollen sich halt engagieren, dass auch bei ihnen die Jugend aktiv ist.“
Schülerinnen sind angefressen
Flader hält nach eigener Aussage viel von Mitbestimmung. Als langjährige Schulleiterin habe sie immer gerne Schüler eingebunden. Und tatsächlich macht sie sich jetzt selbst an die Arbeit. Am 12. April fragt sie bei der Bundezentrale und der Landeszentrale für politische Bildung an, wie ein solcher Kongress unabhängig finanziert und umgesetzt werden kann, drei Tage später bekommt sie eine positive Rückmeldung und leitet das direkt an die BSA-Vorsitzende Ella Hanewald weiter. An Ella wohlgemerkt, nicht an Maria. Denn Flader erkennt Maria Geidel gar nicht als Ansprechpartnerin in Sachen Schülerkongress an, weil diese nicht BSA-Vorsitzende ist. Doch den Schülerinnen ist relativ egal, wer welches Amt hat, sondern jeder ist für bestimmte Projekte verantwortlich. Während Flader auf gewählte Strukturen pocht, organisieren die Schüler ihre Arbeit in verteilten Rollen und ohne formale Beschlüsse. Ella:„Du liest nicht das Schulgesetz, du machst einfach Projekte. Die Hierarchien sind flach, jeder kann etwas machen.“Ella Hanewald wiederum antwortet nun gar nicht erst auf Fladers Information über die neuen Möglichkeiten, mit Unterstützung der Servicestelle für Jugendbeteiligung den Kongress zu organisieren. Ella und Maria sind von Flader angefressen, verständlich, aber eine Antwort wäre vielleicht angemessen gewesen.
Dann halt ohne das Bezirksamt
So geht Flader allein zur Landeszentrale für politische Bildung, trifft sich mit der Servicestelle für Jugendbeteiligung und entwickelt einen Plan, den sie am 2. Mai bei der nächsten BSA-Sitzung vorstellen will. Sie selbst möchte gerne die Arbeitsgruppe leiten, die den Schülerkongress organisiert, schreibt sie den Schülerinnen per Mail – und diese sollen mitmachen. Eine Antwort auf ihren Vorschlag erhält Flader nicht. Denn die Schülerinnen sind wenig begeistert, dass das Bezirksamt erst kein Geld geben will und sich dann auch noch selbst den Hut aufsetzt. „Ja, das kann man so machen“, rechtfertigt Flader diesen Schritt, „muss man aber nicht.“ Erst am Tag der BSA-Sitzung antworten die Schülerinnen per Mail, dass man Fladers Unterstützung nun nicht mehr benötige. Flader geht dennoch zum Treffen und bekommt dort von den Schülerinnen ein neues Konzept für den Kongress vorgelegt. Weil der Kongress nun an einem Sitzungstag des Bezirksparlaments stattfinden soll, könne sie nicht kommen, sagt Flader. Der Kongress ist am Vormittag, das Bezirksparlament tagt ab 16 Uhr. „Ich habe ein kleines Team und brauche den Tag, um mich auf Bürgeranfragen vorzubereiten“, erklärt Flader ihre Absage später. Man kann sie verstehen. Hätte man vorher ordentlich miteinander geredet, gebe es wohl einen anderen Termin. Ella: „Sie ist beleidigt rausgegangen, das war eine unangenehme Stimmung.“Wer Abi hat, ist weg
Heute betont Flader gerne, dass bei dieser BSA-Sitzung am 2. Mai nur drei Schüler anwesend waren – als Nachweis, dass der BSA als wenig repräsentativ für die Treptow-Köpenicker Schülerschaft erscheint. „Sie sieht das Problem vom Ende her“, sagt die damalige BSA-Vorsitzende Ella Hanewald.„Dass nur drei Leute beim BSA sitzen, ist Ergebnis der Missstände in der Schülerbeteiligung.“Hauptproblem bei der Beteiligung von Schülerinnen ist die fehlende Kontinuität. Wer Abi oder Realschulabschluss macht, ist weg. Viele Schüler fangen erst in der Oberstufe mit ihrem Engagement an und sind dann nach einem oder zwei Jahren raus. Ella: „Wenn eine Generation von der Schule geht, ist keiner da, um die neue Generation anzuleiten.“ Weitergabe von Erfahrungen und Wissen findet kaum statt, wann auch, Schule ist stressig genug. Wenn Mitte des Schuljahres die Leistung sinkt, dann wird auch eher das Engagement fallen gelassen, um mehr Zeit zum Lernen zu haben. Der Leistungsdruck ist nicht geringer geworden. Und dann ist da diese unsichere Zukunft, die Klimakrise, all das macht auch Angst und lähmt. Etliche Jugendliche haben freitags gestreikt, viele fühlen sich aber auch einfach ohnmächtig.
Viele Projekte, aber wenig Kontinuität
Auch Bequemlichkeit ist ein Problem, bei Alten wie bei Jungen, „Jugendkultur der Gemütlichkeit“ nennt das Michael Kunsmann, der Pädagoge vom FEZ (Freizeit- und Erholungszentrum in der Wuhlheide), der sich dort um Jugendbeteiligung kümmert. Vieles werde bequem über das Smartphone abgewickelt, das Teilen von Botschaften, viel intensiver und politischer als jemals zuvor, aber oft ohne den nächsten Schritt. In der echten Welt ist Beteiligung nicht so einfach zu bekommen wie in der WhatsApp-Gruppe, sie wirkt dadurch langweilig. „Wie machen wir die echte Welt schmackhaft?“, fragt Kunsmann. In anderen Bezirken gibt es deswegen Büros für Jugendbeteiligung, extra geschaffene Stellen, die eine Kontinuität in der Schülerbeteiligung und auch im BSA organisieren sollen. In Treptow-Köpenick gibt es das nicht. Was nicht heißt, dass man hier an Beteiligung nicht interessiert wäre. Es gibt immer wieder Projekte, der Bezirk hat großes Interesse an Basisdemokratie, meint Kunsmann. Doch Nachhaltigkeit, Kontinuität spielten dabei viel zu selten eine Rolle. Und die Jugendlichen agierten manchmal auch etwas zu fordernd, von oben herab, meint Kunsmann. Politikerinnen scheinen ihren Kredit bei manchen Schülern längst verbraucht zu haben.„Wir reden doch in der Gesellschaft gerade die ganze Zeit über Demokratie. So etwas wie Schülerbeteiligung dann einfach aufzugeben ist doch fatal“, sagt Ella.Und genau der Schülerkongress sei ja dafür da, den Schülern ihre Rechte zu erklären und neues Engagement anzuregen.