Rekorde bei Mietsteigerungen, Betongold für Investoren und eine ratlose Politik

In Berlin rasen die Kosten fürs Wohnen auf schwindelerregende Höhen. Woran liegt das?
Auf den ersten Blick klingen die Zahlen beeindruckend: In Berlin gab es im vergangenen Jahr 15.669 Wohnungen mehr als im Jahr zuvor. Laut Statistik-Amt war dies eine Steigerung um 14,7 Prozent. Neu gebaut wurden 12.814 Wohnungen, die übrigen entstanden durch Umbauten bestehender Gebäude.
mehrstöckiger Rohbau und Kräne vor abendlichem roten Himmel
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In Berlin, so die Statistiker, gibt es derzeit so viele neue Wohnungen wie seit den 1990er-Jahren nicht mehr. Das klingt gut, aber die Zahlen täuschen. Denn zeitgleich steigen die Mieten immer weiter an, sowohl bei Neubauten als auch bei Bestandswohnungen. Seit dem Jahr 2005 haben die Mieten sich von durchschnittlich fünf Euro pro Quadratmeter (nettokalt) mehr als verdoppelt, die Rede ist von einem Anstieg um 71 Prozent.

Ein Albtraum für jeden Berliner, der – aus den unterschiedlichsten Gründen – eine neue Wohnung sucht. Und auch für jene etwa 40.000 Menschen, die jedes Jahr nach Berlin ziehen. Weil davon auszugehen ist, dass der Bevölkerungszuwachs anhält, müssen nach Berechnungen des rot-rot-grünen Senats bis zum Jahr 2030 mindestens 194.000 Wohnungen neu gebaut werden. Das sind jedes Jahr 20.000. Von solchen Zahlen ist Berlin weit entfernt.

Im Gegenteil: Die Zahl der Baugenehmigungen ging in den ersten drei Monaten dieses Jahres erstmals seit 2010 massiv zurück; im Vergleich zu 2017 wurden von Januar bis März 2018 gut 18 Prozent weniger Vorhaben genehmigt. Bei Dachgeschoss-Ausbauten wurden knapp 20 Prozent weniger Genehmigungen erteilt, bei Ein- und Zweifamilienhäusern waren es gar ein Drittel weniger. Weil die Baugenehmigungszahlen als Ausdruck für Investitionsklima und –bereitschaft der Wohnungsunternehmen gelten, prognostizieren Experten einen spürbaren Rückgang des Neubaus in den nächsten Jahren.

Die Rede ist von einem Anstieg der Mieten um 71 Prozent.

Die Anspannung auf dem Wohnungsmarkt wird sich also weiter deutlich verschärfen, die Mieten werden weiter steigen. Laut einem Bericht der Investitionsbank Berlin (IBB) betragen sie derzeit für neu gebaute Wohnungen im Durchschnitt 13 Euro pro Quadratmeter – für die meisten Berliner Haushalte und Zuzügler kaum noch leistbar. Es wird zwar viel gebaut, aber meist im hochpreisigen Segment.


Wohnungen zu bezahlbaren Mieten fehlen

Nur noch drei Prozent aller Wohnungen werden zu einem Mietpreis von unter sechs Euro angeboten; nur jede zehnte Wohnung zu einer Kaltmiete von unter sieben Euro je Quadratmeter. Ein Beispiel: In der Europa-City, dem riesigen Neubaukomplex rund um den Hauptbahnhof in Mitte, werden ganze 300 der dort entstehenden rund 3.000 Wohnungen Sozialwohnungen sein, also zu Preisen von 6,50 Euro pro Quadratmeter vermietet werden. Selbst landeseigene Wohnungsbauunternehmen, die zu besonderer sozialer Verantwortung verpflichtet sind, bieten neue Wohnungen zu Preisen von bis zu 14 Euro pro Quadratmeter an. In einer Umfrage bezeichneten jüngst zwei Drittel aller Befragten in Berlin hohe Mieten und Wohnungsmangel als größtes Problem in der Stadt.

Die Berliner CDU, für die während ihrer Regierungszeit Wohnen kein Kernthema war, hat schnell die Verantwortlichen für die Misere ausgemacht: den Senat aus SPD, Linken und Grünen, besonders aber die Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher von den Linken. CDU-Generalsekretär Stefan Evers forderte im Mai den Regierenden Bürgermeister Michael Müller (SPD) auf, Lompscher zu entlassen. Sie lege eine „verheerende wohnungspolitische Bilanz“ vor und treibe durch „Bauverhinderung“ die Mieten nach oben. Bauverhinderung?

Immerhin werden die allermeisten Baugenehmigungen durch die jeweiligen Bezirksämter erteilt, Lompscher trifft keine direkte Schuld. Tatsächlich aber wurde unter ihrer Ägide der Ausbau von Dachgeschossen erschwert, ein Hochhausplan lässt weiter auf sich warten und zum Verdruss privater Bauherren sollen diese bei ihren Projekten bis zu einem Drittel Sozialwohnungen anbieten, was die Gewinne schmälert.


CDU beklagt „ideologische Stadtplanung“

Die CDU jedenfalls will einen Neustart in der Wohnungspolitik, die der Regierende, einst selbst für die Stadtentwicklung zuständig, zur „Chefsache“ machen müsse. Es solle schneller und effektiver gebaut werden, heißt es. Und: Landeseigene Grundstücke sollten an diejenigen Bauherren vergeben werden, die am schnellsten preiswerte Wohnungen darauf bauen können. Der rot-rot-grüne Senat bevorzugt die städtischen Gesellschaften. Diese sollen allein in der laufenden Legislaturperiode 30.000 Wohnungen bauen. Das sind durchschnittlich 6.000 pro Jahr. Doch so richtig zügig geht es nicht voran: Im Jahr 2017 meldeten sie 2.785 Fertigstellungen sowie den Baubeginn für 5.000 Wohnungen.

Die Opposition listete jüngst Wohnbauprojekte auf, die durch die „ideologische Stadtplanung von Lompscher“ blockiert worden seien. Einige Beispiele: Am Rande des Thälmannparks in Pankow 600 Wohnungen, auf der Elisabeth-Aue in Pankow 5.000 Wohnungen und auf dem Alexanderplatz 377 Wohnungen. Insgesamt, so FDP-Fraktionschef Sebastian Czaja, habe Rot-rot-Grün innerhalb von 500 Tagen Regierungszeit an die 12.000 Wohnungen „blockiert“, meist wegen Protesten von Anwohnern.

Tatsächlich wurden unter Lompscher einzelne vom Vorgängersenat angeschobene Vorhaben auf Eis gelegt. Die 70 Hektar große Elisabeth-Aue zum Beispiel, wo einmal 12.500 Menschen wohnen sollten, ist erst mal kein Thema mehr. Rot-rot-Grün hat die Bebauung für das neue Satellitenviertel am Stadtrand erst mal für fünf Jahre zurückgestellt. Ein Kompromiss im Koalitionsvertrag: Die SPD wollte die Siedlung, während Grüne und Linke das Vorhaben ablehnten. Die Linken hatten mit ihrer ablehnenden Haltung der Bebauung sogar Wahlkampf gemacht.

Manche nennen dies Klientelpolitik. Elf große Stadtquartiere sind dafür im Koalitionsvertrag festgeschrieben. Treptow-Köpenick ist mit dem ehemaligen Güterbahnhof entlang der Bahnstrecke zwischen Köpenick und Hirschgarten vertreten, wo in den kommenden Jahren rund 1.700 Wohnungen entstehen sollen.


Knappes Bauland, unsoziale Spekulationen und hohe Bodenpreise

Auch in der privaten Wohnungswirtschaft und selbst im Senat ist man unzufrieden mit der Bilanz von Senatorin Lompscher. Weil Lompscher die privaten Wohnungsunternehmen zu mehr Sozialwohnungen zwingen will, rechne sich Neubau für diese kaum noch, wird beklagt. Und weil man im Senat fürchtet, dass die Bauherren zunehmend ins Umland abwandern, auch weil es dort auch mehr und billigeres Bauland gibt, richtete der Regierende Bürgermeister kürzlich einen extra Steuerungsausschuss für Wohnungsneubau ein.

Einige sehen darin eine Art Misstrauen gegenüber Lompscher, andere hoffen schlicht auf bessere Absprachen. In dem neuen Gremium sollen - unter maßgeblicher Mitwirkung der Senatskanzlei - regelmäßig Fortschritte und Probleme beim Wohnungsbau besprochen werden. Zum Thema Bauland wird dort viel Redebedarf herrschen. Denn es ist knapp, die Landesreserven sind fast aufgebraucht. Und der Bund, der in Berlin noch 884.000 Quadratmeter Land besitzt (das sind umgerechnet 124 Fußballfelder), versteigert seine Flächen meist an private Höchstbieter.

„Diese Spekulation mit Bauland ist asozial.“

Ob diese dann auch wirklich bauen, ist ungewiss. Denn für Eigentümer ist es oft lukrativer, Brachen brach liegen zu lassen und dann teuer weiterzuverkaufen. Pro Jahr steigen in Berlin die Bodenpreise um 20 bis 50 Prozent, wie Senatorin Lompscher vor wenigen Tagen im rbb sagte. Diese Spekulation mit Bauland bezeichnet der Publizist Heribert Prantl als asozial.

In Berlin, so haben Experten errechnet, gebe es 22.000 Baugenehmigungen, aber nur 40 Prozent davon würden realisiert. Der wesentliche Teil der restlichen 60 Prozent ist reine Spekulation. Ein Beispiel aus Spandau: Am dortigen Maselakepark am Havelufer kündigt ein russischer Investor den Bau von 500 Wohnungen an. Das Schild steht dort seit 2013, gebaut wurde bislang nicht. Das Grundstück war im Jahr 2014 etwa sechs Millionen Euro wert. Heute habe sich der Grundstückswert mehr als verdoppelt, auf über 12 Millionen Euro. Ob dort überhaupt noch mal gebaut wird und wenn ja, von wem und was, weiß derzeit niemand.

Ähnliche Beispiele lassen sich in fast allen Bezirken finden. Der Investor Christoph Gröner, dermit seiner CC-Gruppe in Berlin diverse Wohnungsprojekte realisiert, benennt dramatische Folgen der Spekulation: „Es gibt einen Punkt, ab dem die Bodenpreise einen so großen Einfluss auf die Kalkulation des Projekts haben, dass da günstiges Wohnen überhaupt nicht mehr möglich ist.“

Enteignung ist in der Bundesrepublik heikles Thema.

Senatorin Lompscher sieht die Bundespolitik in der Pflicht, daran etwas zu ändern. Die Transaktionssteuer müsse erhöht werden, fordert sie. In der Grundsteuer müsse eine Spekulationsbremse eingebaut werden, damit es attraktiver wird, Brachen zu bebauen als weiter zu verkaufen. Ähnliche Instrumente wünscht sie sich auch beim Wohnungsleerstand, den Investoren häufig bewusst zu Spekulationszwecken nutzen. Auch da müssten Bundesgesetze verschärft werden, damit die zuständigen Verwaltungen eine Handhabe dagegen haben.

Nofalls könnte dies auch die Enteignung der Eigentümer sein, ein in der Bundesrepublik heikles Thema, das zumindest von Linken und Grünen nicht als Tabu gilt. Entsprechende Enteignungs-Forderungen sah man unlängst auch bei der Berliner Mieterdemo, bei der mehr als 15.000 Menschen gegen steigende Mieten und für ihr Grundrecht auf bezahlbares Wohnen demonstrierten.

Dass mehr Neubau allein kein Allheilmittel ist, um die galoppierenden Mieten zu stoppen, ist inzwischen Konsens im Senat. Denn wenn ein Berliner in eine neu gebaute Wohnung zieht, vermietet der Eigentümer die dann leere Bestandswohnung teurer neu. Die Grünen wollen „den Mietenwahnsinn“ deshalb vor allem durch mehr Mieterschutz in den bestehenden Wohnquartieren stoppen.

„Die Herausforderungen der Wohnungspolitik sind vielschichtig und sollten nicht allein an Neubauzahlen gemessen werden“, drückt es Senatorin Lompscher diplomatisch aus.

Mietpreisbremse, Milieuschutz, Umwandlungsverordnung und Vorkaufsrecht heißen die juristischen Hebel, die Senat und Bezirken zur Verfügung stehen. Vor allem in Friedrichshain-Kreuzberg ist man dabei umtriebig. Der dortige Baustadtrat Florian Schmidt von den Grünen plant Grundsätzliches: In 20 Jahren, sagt er, will er per Vorkaufsrecht erreicht haben, dass die Hälfte des Wohnungsbestandes landeseigenen Unternehmen oder Genossen schaften gehört. Damit würden die Mieter vor Spekulation, Luxussanierung und Umwandlung in teures Eigentum geschützt.

Wer den Menschen verspreche, dass durch „bauen, bauen, bauen“ alles gut werde, sei ein Ideologe, sagt Schmidt, dem seine Gegner vorwerfen, er betreibe „Staatskommunismus“. Elf Häuser hat Schmidt im vergangenen Jahr Investoren weggeschnappt, weitere, die Eigentümer zur Versteigerung angemeldet haben oder für die Luxusmodernisierungen angekündigt sind, lässt er derzeit prüfen. Die Gebäude gehören nun städtischen Wohnungsgesellschaften oder Stiftungen, die Mieter sind vor Verdrängung geschützt.

Ähnliche Transaktionen werden zunehmend auch aus anderen Bezirken gemeldet. Auch in Treptow-Köpenick wollte man auf diese Art Hunderte Mieter schützen: Im Kosmosviertel in Altglienicke hatte der Eigentümer zahlreicher Plattenbauwohnungen Modernisierungen mit teils exorbitanten Mietsteigerungen angekündigt. Das Bezirksamt verhandelte mit dem Münchner über einen Ankauf der Wohnungen. Vergeblich. Man habe sich nicht über einen angemessenen Preis einigen können, heißt es im Stadtentwicklungsamt. Jetzt werden den Mietern kostenlose Rechtsberatungen angeboten, damit sie sich nicht über den Tisch ziehen lassen.


Vermieter sanieren sich reich

Denn auch Modernisierungen und Sanierungen treiben die Mieten, wie der Mieterbund beklagt. Wohnungskonzerne wie etwa die Bochumer Vonovia, so heißt es, erreichten Renditen von knapp acht Prozent, indem sie heruntergekommene Mietshäuser modernisieren. Erst die Immobilien herunterwirtschaften, an der Instandhaltung sparen und dann bei Modernisierungsmaßnahmen zuschlagen, laute die Strategie von Vermietern, beklagt auch der Berliner Mieterverein. Für viele Mieter seien die Erhöhungen von bis zu 80 Prozent, die aus Modernisierungsumlagen resultierten, schlicht nicht bezahlbar.

Immobilien herunterwirtschaften, an der Instandhaltung sparen und dann bei Modernisierungsmaßnahmen zuschlagen.

In der Regel steige die Miete dreimal so stark wie im Gegenzug die Energiekosten für die Mieter sänken, heißt es. In Berlin leben 85 Prozent aller Menschen in Mietwohnungen. Von diesen Bewohnern haben 50 bis 60 Prozent Anspruch auf eine Sozialwohnung, doch davon gibt es immer weniger.

Der Berliner Senat hat inzwischen eine Bundesratsinitiative für mehr Mieterschutz gestartet. Zu den Forderungen zählt auch die Kappung der Modernisierungsumlage auf vier Prozent, und das auch noch zeitlich begrenzt. Aus der CDU/CSU-Fraktion des Bundestages kommt Widerstand; der Berliner CDU-Abgeordnete Jan-Marco Luczak protestiert gegen den Berliner Vorstoß: Die im Koaltionsvertrag mit der SPD vereinbarte Kappung der Modernisierungsumlage von derzeit elf auf dann acht Prozent reiche völlig aus, sagt Luczak.

Einen Ausweg aus der Mietenmisere zeigt der umstrittene Berliner Stadtsoziologe Andrej Holm auf, der kurzzeitig Staatssekretär in der Stadtentwicklungsverwaltung war und dann wegen seines Umgangs mit seiner Stasi-Vergangenheit zurücktreten musste. Holm arbeitete derzeit in Wien als Gastprofessor, in Berlin ist er für Senatorin Lompscher als Berater tätig.

Er schlägt vor, den Wohnungsbau verstärkt an Institutionen zu vergeben, die anders als private Inverstoren kein Geld verdienen müssen - wie zum Beispiel Genossenschaften oder andere gemeinnützige Gesellschaften. Der Staat könnte beim Bauen auf Grundstücken, die er in Erbbaupacht vergibt, auf die Mehrwertsteuer verzichten, was den Bauherren 19 Prozent sparen würden. Das Ergebnis wären Mieten von fünf Euro pro Quadratmeter.

Jedoch, so räumt Holm ein, seien die Widerstände gegen ein solches gemeinnütziges Modell erwartbar enorm. Für Berlin könne er sich aber vorstellen, dass unter Rot-rot-Grün eine Art Stadtlabor für solche Versuche eingerichtet wird. Eine Antwort auf seinen Vorstoß aus dem Senat ist bislang nicht bekannt.


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