Seit neun Jahren steht das Haus leer. Wo mehr als 60 Jahre lang Musik erklang, Theater gespielt und Feste gefeiert wurden, wo Rockbands wie Knorkator erste Bühnenerfahrungen machten und Unionfans fantasievolle Transparente fürs Stadion bastelten, herrscht seither Stille.
Am grünen Erpetal in Hirschgarten steht der hauptsächlich grau verputzte Dreigeschosser, der von einem großen Garten umgeben ist. Zu DDR-Zeiten als Arthur-Becker-Klubhaus bekannt und nach dem Mauerfall als ABC Rocks beliebt, ist das legendäre Haus für Generationen nur noch eine Erinnerung an Kreativität und Lebenslust.
Seit längerem schon bemüht sich die landeseigene Gesellschaft für Soziale Einrichtungen GSE, das Gebäude zum Atelierhaus mit Probebühne umzubauen und wieder zu beleben. Die Planungen und amtlichen Prüfungen laufen. Inzwischen will eine Initiative schon mal einen Teil des Hauses flott machen – für eine Zwischennutzung als Ort für Kinder- und Jugendarbeit, für nachbarschaftliche Initiativen und für Familien.
Defizit an Angeboten für Jugendarbeit
Jan Bloch hat als Mitglied des Jugendhilfeausschusses zeitgleich eine Initiative für eine Zwischennutzung des ABC eingebracht. Sein Konzept wurde von den Initiatoren der „Gartenbesetzung“ aufgegriffen. Bloch ist der Leiter des Jugend-Cafés an der Seelenbinderstraße und hat einKonzept ausgearbeitet, das seiner Meinung nach tragfähig ist:
„Gerade in diesen schwierigen Corona-Zeiten müssen zusätzliche Möglichkeiten geschaffen werden, um Kunst und Kultur zu fördern und pandemie-gerechte Orte zu etablieren.“
Etliche Einrichtungen im Bezirk, wie Müggelklub, Mansarde oder Horn, seien in den vergangenen Jahren verschwunden oder haben ihr Angebot und die Möglichkeiten für Jugendliche gestrichen. Gleichzeitig wachse die Zahl der Anwohner durch kräftige Bautätigkeit. Es bestehe ein spürbares Defizit an Angeboten für die Jugendarbeit.
Indirekt bestätigt das auch die Polizei, die seit längerem ein erhöhtes Einsatzaufkommen beispielsweise wegen Lärmbelästigung an Stränden oder in Parks des Bezirk beklagt. Reiner Verfolgungsdruck, so heißt es in einem Schreiben aus der Köpenicker Polizeidirektion 6, führe aber nur zur Verdrängung der Probleme.
Notwendig sei ein Konzept im Bezirk, um Jugendlichen „Struktur und Halt in neuen Sinngefügen“ zu geben. Dazu gehörten auch Orte, an denen sich Jugendliche wohlfühlen und wo sie Wertschätzung und Anleitung erfahren.
Jan Bloch fühlt sich durch diese Einschätzung bestätigt. Der große Saal des ABC mit seinen vielen Zugängen, die pandemie-gerecht nutzbar seien, wäre solch ein Ort. Bloch schlägt vor, neben Lüftung und Desinfektion eine Nutzung in Stunden-Blöcken zu organisieren, die durch größere Pausen getrennt werden.
Vorrangig Kleinkunst und Veranstaltungen für Familien sollten angeboten werden. Kitagruppen könnten vormittags bespielt werden, Familien und Hortkinder nachmittags und Jugendliche abends. Konzerte würden ausgeschlossen und spätestens um 22 Uhr wäre Schluss. Um Störungen der Nachbarschaft zu vermeiden (was früher vor allem nach abendlichen Partys ein großes Problem im Viertel war), könnte der Zu- und Abgang zu festen Zeiten erfolgen, ähnlich wie in Kinos oder Theatern. Auch der große Garten sei bei entsprechender Witterung gut nutzbar.
Mit einer solchen Zwischennutzung könnte der Umbau zu einem Atelierhaus durch die GSE vorbereitet und unterstützt werden. Interesse an seinem Konzept hätten laut Bloch Projekte wie der Verein Alleins, der Mellowpark, oder die Bude im Allendeviertel gezeigt, als Unterstützer nennt er die Alte Möbelfabrik und das Schlossplatztheater.
Handicap Wohnhaus
Soweit die Theorie, die von Jugendpolitikern des Bezirks wohlwollend zur Kenntnis genommen wird. Doch für umsetzbar halten sie das Konzept nicht. Denn das ABC hat ein Handicap, das bislang kaum bekannt war: „Es war von Beginn an als Wohnhaus mit Gaststätte deklariert und steht auch so im Grundbuch, unabhängig von seiner jahrelangen Nutzung“, sagt Jugendstadtrat Gernot Klemm (Linke). Eine Nutzung als Jugendklub – in welcher Form auch immer – sei daher nicht möglich, der Bestandsschutz für die Nutzung des Gebäudes sei schon vor Jahren erloschen.
Auch die GSE, die im Auftrag des Landes Berlin das Gebäude zum Atelierhaus umbauen soll, bekomme dies zu spüren. Ein entsprechender Bauantrag des Facility Managements des Bezirks, so Klemm, werde seit langem geprüft. Und immer weiter geprüft. Erste Ergebnisse klängen nicht ermutigend, so der Stadtrat: „Schon jetzt ist absehbar, dass der Bauantrag nicht genehmigungsfähig ist.“ Dem stehe unter anderem das Gebot der Rücksichtnahme gegenüber der im Umfeld bestehenden Wohnnutzung entgegen.
Eine neue Kulturnutzung im ABC sei ihm sehr sympathisch, so Klemm. „Aber es wäre unanständig von mir, trotz der bitteren Realität zu sagen, wir machen es trotzdem.“ Wegen möglicher Nachbarschaftsklagen im dortigen Allgemeinen Wohngebiet, so schreibt der Linken-Politiker in einer Antwort auf Fragen der Grünen-Bezirksverordneten Claudia Schlaak, sehe die Stadtplanung „hier nur eine Wohnnutzung oder wohnähnliche Nutzungsformen“. Wohnähnliche Nutzungsformen wären beispielsweise betreutes oder altersgerechtes Wohnen.
Ein weiteres Problem sei der Garten – zumindest der hintere Grünzug sei Teil des Landschaftsschutzgebietes Erpetal und somit „auch nur sehr beschränkt nutzbar.“ Immerhin: Für das geplante neue Wohngebiet am alten Köpenicker Güterbahnhof stellt der Stadtrat eine Jugendfreizeiteinrichtung in Aussicht. Doch Baubeginn für das neue Viertel ist frühestens in drei Jahren.
Kultur in Wohngebieten unmöglich?
Jan Bloch will die Antworten aus dem Bezirksamt nicht einfach hinnehmen. Er sagt, dass Jugendklubs in Wohngebieten, wie vom Jugendstadtrat beschrieben, nicht genehmigungsfähig seien, könne er nicht glauben. Als Beispiel, wie es funktioniere, nennt er „sein Jugend-Café“ an der Seelenbinderstraße, mitten in einem Wohngebiet.
Dort waren vor einigen Jahren sogar 21 Eigentumswohnungen gebaut worden, die teilweise nur wenige Meter vom Club entfernt stehen. Bloch:
„Nach Abschluss eines Nachbarschaftsvertrages und konkreter Lärmschutzmaßnahmen hat es in den letzten Jahre keine größere Beschwerden gegeben.“
Einfache bauliche Maßnahmen wie Lärmschutzwände oder Vorhänge seien hilfreich, aber vor allem seien es Gespräche und Rücksichtnahme auf die Nachbarschaft, die ein Zusammenleben ermöglichten.
Natürlich seien Jugendeinrichtungen in Wohngebieten genehmigungsfähig, sagt Bloch. Das sehe man auch daran, dass eine Einrichtung im neuen Wohnviertel am Güterbahnhof geplant sei. Und was sei dann allgemein mit Kultur, mit Theatern oder Kinos
„Würden solche Kulturstätten in Wohngebieten auch nicht genehmigungsfähig sein?“
Der Jugendsozialarbeiter ärgert sich, dass er stets nur ablehnende Antworten auf seine Initiativen bekommt. Ob mögliche statische Probleme (die keine sind, weil kein Ausbau für die Zwischennutzung geplant ist) oder ob Lärm- und Feuerschutz, immer heiße es nur, dass alles nicht geht. Auch dass von den politisch Verantwortlichen im Bezirk niemand persönlich mit den Jugendlichen rede, könne er nicht akzeptieren.
So zum Beispiel, als Anfang Oktober vorigen Jahres etwa 50 junge Leute – unabhängig von seinem Zwischennutzungskonzept – das ABC symbolisch „besetzten“ und an einem Nachmittag den Garten aufräumten und Transparente mit ihren Forderungen am Zaun aufhängten, habe sich niemand aus dem Rathaus blicken lassen – nur die Polizei sei gekommen, von Nachbarn gerufen.
Unterstützung von den Bündnisgrünen
Auch die Fraktionschefin der Grünen in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Claudia Schlaak beklagt das Nicht-Handeln und das Destruktive der Bezirkspolitik. Schlaak, die als Hobby-Saxofonistin in einer Ska-Band spielt und daher das ABC Rocks aus früheren Jahren gut kennt, sagt:
„Ich verstehe nicht, wieso das Bezirksamt immer nur sagt, was alles nicht geht, aber niemals lösungsorientiert denkt.“
Zwar sei Lärmschutz ein wesentlicher Punkt, aber Kleinkunst oder Familienprogramme seien nie ein Problem im ABC gewesen. Es fehle einfach kreatives Denken im Bezirksamt. Wenn das Haus, das über einmalig große Räume verfüge, nicht in Gänze als Jugendfreizeiteinrichtung genutzt werden könne, müsse für eine Übergangszeit doch eine Zwischennutzung möglich sein – die in Verantwortung von engagierten Jugendlichen ermöglicht werden sollte. Dafür werde sie sich weiterhin einsetzen.
Es bleibt also weiter spannend um das ABC Rocks in Hirschgarten. Auch die rund 20 bildenden Künstler, die aus der alten Gemeindeschule an der Bouchéstraße in Alt-Treptow ausziehen müssen und die vom Bezirksamt mit dem Einzug ins neue Atelierhaus ABC vertröstet wurden, werden genau verfolgen, wie die Poliltik im Superwahljahr 2021 redet – und handelt.