Überrollt

Brandenburg und das Ringen um die Gigafactory in Grünheide – Eine Rezension zur Neuerscheinung „Der Tesla-Coup“ der Autoren Wolf D. Hartmann und Walter Stock
Erstveröffentlichung am 27.08.2021
Das Berliner Umland bildet schon lange einen Kontrast zu der leuchtenden Weltstadt: Wo dort schon Elektrische durch die Straßen quietschten, wirbelten hier, nur wenige Meilen entfernt, noch Fuhrwerke Wolken märkischen Staubes auf und als in Berlin die Büros schon voller Computer standen, klapperte hier noch die Schreibmaschine des brandenburgischen Amtmannes. Kurz: Innovationen und der Fortschritt zogen meist erst allmählich von Berlin heraus ins Umland.
Tesla Logo
Foto: Afif Kusuma via Unsplash
Umso mehr überrollte Tesla-CEO Elon Musk im November 2019 die Bevölkerung mit der Ankündigung, in Grünheide, am Rande Berlins eine „Giga-Factory“ errichten zu wollen, in der ab 2021 hochmoderne E-Autos produziert werden sollten. Das passte nicht ins Bild des immer hinterherhinkenden Speckgürtels, denn gerade Tesla steht wie kaum ein anderes Unternehmen für die Neomoderne. Wie kommt eine solche Marke zusammen mit einem Fleck Erde wie Grünheide– und warum? Antworten darauf versprechen die zwei Autoren Wolf D. Hartmann und Walter Stock. In ihrem neu erschienenen Buch „Der Tesla-Coup“ liefern sie uns einen Überblick über das Wie, das Was und auch das Warum der „Giga-Factory“ in Grünheide.  

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  Zunächst einmal wird den Lesern Tesla und dessen CEO Elon Musk vorgestellt, im Stil einer Fundamentalanalyse an der Frankfurter Börse: Wir lesen von ausgereiften, schlüssigen Strategien, einem fähigen Management und vor allem von exzellenten Zahlen. Wir beginnen, die Begeisterung von Anlegern für diese Firma zu verstehen, deren Aktien für ein Vielfaches der Kurse der Konkurrenz gehandelt werden. Nebenbei erhalten wir einen spannenden Einblick in die Automobilbranche und die Versuche der deutschen Autobauer, in Teslas Windschatten zu gelangen. Das Bild, das die Autoren zeichnen, unterscheidet sich durchaus von dem allgemein vorherrschenden Gefühl, die deutsche Autoindustrie sei im Feld der Elektromobilität chancenlos abgeschlagen gegenüber der internationalen Konkurrenz.

Gute Gründe für Grünheide

Doch während sich deutsche Autobauer in den alten Bundesländern, vornehmlich in den südlichen ansiedeln, erschließt Tesla ein neues Territorium: den Osten. Doch warum nur? „Warum nicht?“, wird manch einer darauf antworten und damit den Gedanken hinter der Entscheidung recht gut treffen. Denn in der Tat, das zeigen Hartmann und Stock, gibt es nur sehr wenige Gründe, die auf Seiten Teslas gegen eine Ansiedlung am Rande Berlins sprachen. Selbst das Fehlen von Zulieferern in der Region ist für Tesla kein Problem, da man auf Eigenproduktionen setzt. Das Konzept der „Giga-Factories“ besteht gerade darin, möglichst viele Produktionsschritte an einen Standort zu vollziehen, so dass keine externen Abhängigkeiten bestehen. Nebenbei wird man damit auch dem Selbstanspruch gerecht, möglichst umweltfreundlich zu produzieren. Viele Gründe sprechen sogar für den Standort Grünheide. So wusste das Land Brandenburg Tesla vor allem mit einer guten Infrastruktur und vollen Fördertöpfen zu überzeugen. Ein weiterer Aspekt, mit dem das Land Brandenburg allerdings nur indirekt zu tun hat, sind die attraktiven Nachbarn: zum einen die Metropolregion Berlin, zum anderen Polen. Beide Gebiete versprechen Arbeitskräfte, die genau in die verschiedenen Stelleprofile passen. Die Nähe zu Berlin scheint auch kein allzu schwaches Argument, wenn es um überregionale Anwerbung geht. Einmal überzeugt von dem Standort, wollte Tesla bald beginnen, die Fabrik zu bauen, hatte dabei aber in all der Euphorie anscheinend eines nicht bedacht: die deutschen Planungs- und Genehmigungsverfahren. Dieses für jeden Amerikaner zungenbrecherische Wort entwickelte in den folgenden Wochen und Monaten Stoff für eine köstliche Komödie.

Köstliche Komödie?

Im Zentrum von Komödien steht, wie wir wissen, zumeist ein Gegensatz, eine dualistische Situation, um die herum der Autor die Pointen springen lässt. Es fällt nicht schwer, in dem Zusammentreffen von Elon Musk (der Raketen baut, Menschen per unterirdischer Hochdruckbahn befördern möchte und mehrere Unternehmen leitet, in denen alles läuft, wie er es will) und dem deutschen Amtswesen (in denen Faxgeräte noch immer ein wichtiges Arbeitsmittel sind und das nichts laufen lässt, was das Gesetz nicht eindeutig erlaubt) einen solchen Gegensatz zu erkennen. Allein die Autoren nehmen uns die Aufgabe nicht ab, hier die Komik herauszuarbeiten, bleiben in der Beschreibung des gesamten Verfahrens technisch. Trotzdem erhalten wir, die wir nun wissen, dass hier das Fundament zu einem komischen Gebilde vorhanden ist, von den Autoren allerhand Material für etwaige komische Fantasterei.
So regen sich Zweifel, ob es passend ist, Tesla als Protagonisten einer Komödie zu betrachten.
In dieser Stimmung lässt sich auch die anschließende Schilderung des Anhörungsverfahrens, bei dem Tesla-Funktionäre, Landesvertreter und die Bevölkerung aufeinandertreffen, als durchaus komisch betrachten und das Verbot von Zuschauern, Film- und Tonaufnahmen bedauern. Von einer anderen, ernsthafteren Seite betrachtet, kann einem angesichts der Art und Weise, wie Bedenken der Bürger weggewischt wurden, das Lächeln schnell wieder vergehen. Zieht man dann noch die in den folgenden Kapiteln beschriebenen Arbeitsbedingungen bei Tesla hinzu – hier wird klar, warum Tesla auch sehr auf polnische Arbeitskräfte setzt – und wie diese sich auf den gesamten Arbeitsmarkt in der Automobilbranche auswirken, so regen sich Zweifel, ob es passend ist, Tesla als Protagonisten einer Komödie zu betrachten.

Fakten, Fakten, Fakten

Soziopsychologisch betrachtet ist die Causa Tesla höchst interessant: Im Fall der Firma schützt offenbar schon allein ein charismatischer Führer, der ein von der Allgemeinheit als gut anerkanntes Ziel verfolgt (in dem Fall der Umweltschutz), vor all den „woken“ Twitter-Usern (und Userinnen), die sonst jede moralische Verfehlung, auf die sie stoßen, öffentlich anklagen. Für all diese Betrachtungen bildet „Der Tesla-Coup – Brandenburg und das Ringen um die Gigafactory in Grünheide“ eine mehr als ausreichende Informationsbasis. Die Autoren selbst halten sich fern von Interpretation, Deutung und Wertung, bleiben streng sachlich. Hartmann und Stock regen mit dem Buch jedoch zum Nachdenken an, indem sie die Informationen auf knapp 170 Seiten zusammenfassen und so allerhand Einblicke ermöglichen und Anknüpfungspunkte schaffen.
Elon Musk hat mit seinem Unternehmen Tesla der E-Mobilität weltweit zum Durchbruch gegen die veraltete Verbrenner-Technologie verholfen. Mit der Ansiedlung seiner vierten Gigafactory im brandenburgischen Grünheide ist ihm ein Coup gelungen.Doch die entstehende Fabrik wird nicht von allen bejubelt. Das Tesla-Tempo stellt das deutsche Genehmigungswesen auf eine harte Probe. Gerät hier der Naturschutz ins Hintertreffen? Wird die Grundwasserversorgung in der Region den Plänen von Tesla geopfert? Das vorliegende Buch beleuchtet das Für und Wider der Gigafactory und gibt spannende Einblicke in einen Ansiedlungskrimi vor den Toren Berlins. 1. Auflage 2021, 176 Seiten, 13,5 x 21 cm, Broschur Euro 12,80 €, ISBN 978-3-948052-02-7, 9783948052027

Die Autoren: Hartmann, Wolf D.: Wirtschaftsingenieur und Autor, lebt seit 2007 in Bad Saarow. Studium an der TU Dresden, danach Promotion in Berlin und Habilitation in Dresden. Berufung zum Professor in Berlin 1983. Von Januar 1987 bis Ende 1989 Direktor des Modeinstituts der DDR in Berlin. Danach geschäftsführender Gesellschafter des Klaus-Steilmann-Instituts für Innovation und Umwelt in Bochum sowie Professor an der privaten Universität Witten-Herdecke. Gastprofessor in Cottbus, Moskau, Kiew und Zentralasien, seit 2011 Mitglied der European Academy of Sciences and Arts. Bis heute als Innovationsberater und freiberuflicher Autor tätig. Verfasser zahlreicher wissenschaftlicher und populärer Fach- und Sachbücher, Ratgeber und Satiren.
Stock, Walter: internationaler Wirtschafts- und Politikberater. Studium der Wirtschaftswissenschaften in Berlin. Nach Promotion in Berlin sowie Habilitation an der TU Dresden Hochschullehrer in Berlin und Potsdam. Umfangreiche Beratungstätigkeit für Bundes- und Landesministerien, insbesondere für Bundesfinanzministerium und Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Projektleiter bei international tätigen Beratungsfirmen zu Fragen internationaler Wirtschafts- und Technologiekooperation sowie globaler Technologiekonkurrenz. Breite Expertise in Fragen internationaler Wirtschafts- und Währungsentwicklungen, EU-Integration und Außenbeziehungen sowie Systemtransformation insbesondere hinsichtlich Privatisierung, Wettbewerbsregulierung in Mittel- und Osteuropa sowie Russland.

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