Was macht die Kunst, Christina Stark?

Das 19. Türchen des Maulbeerblatt-Künstler-Adventskalenders
»Künstler sind nicht überflüssig, doch Soldaten sind viel wichtiger«, singt Funny van Dannen. Aber was tun Künstler eigentlich so aus gesellschaftlicher Sicht? Gestalten sie tatkräftig unser aller Leben mit oder sind sie scheue Wesen – verschanzt im Elfenbeinturm? Vermögen sie es tatsächlich, die Gesellschaft zu bewegen? Was können wir von Künstlern über uns und die Zeit erfahren, in der wir leben? Und: Was kommt 2024 wohl auf  uns zu? Das wollten wir von ihnen selbst wissen und haben deshalb über die vergangenen Monate hinweg 24 bildende Künstler befragt, denen wir im Berliner Südosten begegnet sind. Hinter Türchen Nummer 19 treffen wir die Künstlerin Christina Stark.
 
Die Künstlerin Christina Stark mit einem ihrer Projekte auf dem Kopf.
Foto: Matthias Vorbau
Ich bin bildende Künstlerin und Linguistin und arbeite künstlerisch-forschend. Mein Material ist die Sprache, meist das gesprochene Wort, aber auch Texte aus Tageszeitungen, Posts und Reden. Im Grunde ist Sprache neutral. Die lässt sich halt für alles benutzen. Sie lässt sich für Liebeserklärungen benutzen und sie lässt sich zur Rechtfertigung von Angriffskriegen benutzen.
Ich bin auf eine Weise depressiv und auf eine Weise unglaublich hoffnungsvoll.
Es gibt sanfte Sprache, brutale Sprache, es gibt manipulierende Sprache. Sprache ist eigentlich eine Skulptur zwischen uns, an der wir während eines Gespräches gemeinsam formen. Doch eigentlich sind wir zu langsam für das, was wir da produzieren. In meiner Arbeit untersuche ich solche Texte auf bestimmte Merkmale, zerstückele sie in Laute und Buchstaben und versuche so, diese Geschwindigkeit wieder rauszuholen. Ich arbeite sehr, sehr langsam. Ich vergleiche mich diesbezüglich gerne mit einer Kuh, die alles wiederkäut, bevor es dann durch ihre vier Mägen geht. So versuche ich zu verstehen.  

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  Ich habe mir zum Beispiel diese Putin-Rede vom 23.2.2022 vorgenommen, diese Rede in ihre kyrillischen Buchstaben zerlegt und sortiert. Jeder Buchstabe kommt in ein eigenes Gläschen. Also habe ich ein Regal gebaut, die Buchstaben dann aufgereiht wie in einem Kräuterregal, ordentlich beschriftet, welcher Buchstabe wie oft gesprochen wurde. Dann habe ich ausgerechnet, wie oft Putin mit jenen verwendeten Buchstaben das Wort Freiheit in seiner Rede hätte aussprechen können – 441 Mal nämlich. Wenn er jedoch mit seinen Prägungen von Freiheit gesprochen hätte, wäre das nicht mehr mein Wort für Freiheit gewesen. Das heißt, diese Rechnung ist obsolet. Die geht nicht auf, weil er dieses Wort einfach vernutzt hat, umgenutzt hat. Dass Künstlerinnen sich zum politischen Geschehen äußern, liegt auf der Hand und ist wichtig, alles ist Material. Leider ist gerade das gar nicht so einfach. Jede eindeutige Positionierung ist schwierig, weil Gegenwart so vielschichtig ist. Es ist zum Glück nicht alles Schwarz-Weiß. Das gilt es, auszuhalten. Ich selbst arbeite feministisch. Im Rahmen eines meiner Projekte gibt es ein Archiv mit Zeitungsartikeln über Femizide, bei denen ich gar nicht hinterherkomme. Ich schaffe es nicht, die Meldungen schnell genug zu verarbeiten. Das ist in meiner Geschwindigkeit gar nicht leistbar. Dann übermannt mich die Wut darüber, dass es seit Jahrhunderten immer so weiter geht. Gibt es Fortschritt? Wenigstens einen ganz langsamen?
Dass Künstlerinnen sich zum politischen Geschehen äußern, liegt auf der Hand und ist wichtig, alles ist Material.
Wenn ich zurückblicke auf 2023, gibt es viel Unsicherheit. Wir Künstler*innen kennen ja das Gefühl der Unsicherheit gut. Es ist eine Fähigkeit, mit Unsicherheit umzugehen und vielleicht ist das sogar unsere eigentliche Aufgabe als Künstler*innen, der Gesellschaft unseren Umgang damit anzubieten. Ich bin auf eine Weise depressiv und auf eine Weise unglaublich hoffnungsvoll. Also, ich traue uns viel zu. Ich glaube an die Menschen und ich verzweifle an ihnen. Das kann ich auch nicht lösen. Das ist aber auch der Grund, warum ich künstlerisch arbeite.

maulbeerblatt ausgabe 8 Aktuell, Editorial

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