Bis zu den nächsten Wahlen in Berlin sind es noch zweieinhalb Jahre. Doch die CDU befindet sich bereits im Wahlkampfmodus. Alles, was in der Hauptstadt nicht oder nur unzureichend funktioniert – bröckelnde Brücken, fehlende Lehrer, Richter und Polizisten, kaputte S-Bahnen oder unaufhaltsam steigende Mieten – lastet die größte Oppositionspartei im Abgeordnetenhaus dem rot-rot-grünen Senat an.
Wem die Aufgaben in einer wachsenden Stadt zu schwer seien, sollte eben nicht Politik machen, lautet das flapsige Fazit des CDU-Fraktionschefs im Abgeordnetenhaus Burkard Dregger. Der Senat jedenfalls regiere an den Bedürfnissen der Stadt vorbei. Dregger und seine Parteifreunde tingeln derzeit durch die Berliner Kieze; bis zu den Wahlen im Herbst 2021 wollen sie sämtliche 96 Ortsteile mit ihrer Botschaft beglücken:
„Wir, die CDU, können es besser.“Natürlich kann man Rot-Rot-Grün Fehler bescheinigen. Dass die drei Parteien im Senat manchmal nicht miteinander, sondern eher gegeneinander arbeiten. Dass Kompromisse wie der Baustopp für dringend benötigten Wohnraum an einigen Stellen der Stadt nur der jeweiligen Partei-Lobby hilft. Dass vieles viel zu langsam vorangeht, weil schlecht verborgene Streitereien oder gesetzlich vorgeschriebene Fristen schier endlos dauern. Dennoch versuchen die drei Regierungsparteien, Lösungen für eine Stadt zu finden, die jährlich mehr als 40.000 Zuzügler versorgen muss. Die geplante Verkehrswende weg vom Auto, Wohnungsneubau plus Wohnungsrückkäufe im Sinne der Bestandsmieter sind bekannte Schlagworte. Dass diese Lösungen mehr beinhalten müssen als Parteipolitik, die nach der nächsten Wahl, in der nächsten Koalition, wieder geändert wird, ist für alle Beteiligten ein mitunter schmerzhafter Lernprozess. Auch für die Berliner. Dass Rot-Rot-Grün beim Umkrempeln der Stadtgesellschaft keine allzu großen Sprünge machen kann, trotz Investitionen dank erfreulicher Haushaltsüberschüsse im Milliardenbereich, ist vielen Kritikern gar nicht klar – oder sie hoffen auf die Vergesslichkeit der Wähler.
Sparen, bis es quietscht
Natürlich fehlt in der Stadt vieles: bezahlbare Wohnungen, Kitaplätze, funktionierende Schulen, Polizisten, Lehrer, Erzieher, Verwaltungsmitarbeiter… Die Liste ließe sich fortsetzen. Doch das gesamtstädtische Manko, das (zu Recht) alle beklagen, ist das Ergebnis einer langjährigen exzessiven Sparpolitik.Sparen, bis es quietscht, das hatte der damalige Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) Anfang der 2000er-Jahre als Motto ausgegeben.Seither genügen die Worte „kein Personal“ oder „kein Geld“ als Erklärung für vieles, was in Berlin nicht funktioniert. Exzessives Sparen war damals aber das Gebot der Stunde. Denn Berlin war pleite, Experten vergleichen die Situation der Stadt damals mit der Griechenlands in den vergangenen Jahren – nur, dass Berlin vergeblich um Finanz-Hilfen rang. Berlin musste allein mit seiner Haushaltsnotlage zurecht kommen. Also wurde gespart, an allen Ecken und Kanten. An Polizeistellen, an Stellen in Justiz und Verwaltung, an Instandhaltung von Schulen und Feuerwehrgebäuden, an Zuschüssen für BVG-Sozialkarten, an der Schulreinigung, an der Kultur. Erst seit kurzem, seit die Stadt unübersehbar wächst, die Steuereinnahmen wieder sprudeln und die Schuldenlast Jahr für Jahr kontinuierlich abgebaut wird, wird wieder in die Daseinsvorsorge investiert.
Ende 2018 lag die Schuldenlast bei knapp 58 Milliarden Euro.Doch die Auswirkungen des mehr als zehnjährigen, selbst auferlegten Spardiktats sind immer noch spürbar. Und sie werden auch noch über Jahre die politische Handlungsfähigkeit von Senat und Bezirken beeinträchtigen.
Gemästet und ausgehungert
Die Ursachen für die Überschuldung, die im Jahr 2011 unglaubliche fast 63 Milliargen Euro betrug, sind vielfältig. Vor allem die Hauptstadt-CDU, die damals regierte und heute meint, besser regieren zu können als Rot-Rot-Grün, spielt dabei eine Hauptrolle. Alles begann nach dem Mauerfall. Damals, im Jahr 1991, lag die Verschuldung Berlins mit rund elf Milliarden Euro noch unter der Hamburgs. Dass das Haushalts-Soll innerhalb weniger Jahre so exorbitant anwuchs, liegt zum Einen beim Bund, auf deren Politik der Berliner Senat wenig professionell reagierte. Beide Stadthälften, Ost wie West, waren bekanntlich vor dem Mauerfall von den jeweiligen Regierungen als Prestige-Städte gemästet worden. Zum Beispiel mit einer aufgeblähten Verwaltung, die Unmengen kostete. Nach der Wiedervereinigung wurden die Mittel durch den Bund zügig abgebaut, die Stadt wurde finanziell ausgehungert. Statt Bundeshilfen, die mit umgerechnet 7,4 Milliarden Euro knapp ein Drittel des Gesamthaushaltes West-Berlins ausmachten, gab es schließlich nur noch den viel weniger ausgestatteten Länderfinanzausgleich. Auch die verfehlte Wohnungsbaupolitik im Westteil der Stadt trug zum Desaster bei. Statt wie bundesweit üblich eine Kapitalsubventionierung für die Bauherren gab es seit 1969 das Prinzip der Aufwandssubventionierung, das nicht die Baukosten, sondern die aktuellen Aufwendungen finanziell stützte. Laufende Kosten in der Tilgungsphase der Darlehen stiegen so dramatisch an. Die Folge: Die Neuverschuldung stieg immer weiter, von 1990 bis 2000 auf von 9,5 Milliarden auf 42,4 Milliarden Euro, wie die Senatsfinanzverwaltung ausgerechnet hat. Doch der damalige Senat unter Eberhard Diepgen (CDU) gab zunächst weiterhin Geld aus, als gäbe es kein Morgen. Erst Jahre später, als alles immer schlimmer wurde, wurde reagiert.Privatisierung als Allheilmittel
Mit Sozialabbau und Privatisierung. Zum Beispiel mit dem damals landesweit beliebten Verkauf städtischen Eigentums. Städtische Wohnungen wurden zu Tausenden an Private verkauft, allein die Wohnungsgesellschaft GSW ging für schlappe 400 Millionen Euro weg. Der Gasversorger Gasag wurde in den 1990ern vollständig privatisiert, auch fast die Hälfte der Berliner Wasserbetriebe wurden verkauft. Ebenso die Anteile am städtischen Stromversorger Bewag. Doch im Jahr 1995 klaffte zwischen Einnahmen und Ausgaben in Berlin trotzdem eine Lücke von mehr als fünf Milliarden Euro. Und während die Wirtschaft (auch wegen wegfallender Berlinhilfen für die Beschäftigten) schrumpfte, die Bevölkerungszahl rapide abnahm, nahm die Arbeitslosigkeit zu – ein Teufelskreis aus sinkenden Einnahmen und steigenden Sozialausgaben war die Folge.Monopoly und Bankenskandal
Und dann war da noch der Bankenskandal. Wenn der heutige rot-rot-grüne Senat von der CDU in die Pflicht genommen wird, bleibt dieses Kapitel der Geschichte meist unerwähnt. Aus gutem Grund, waren es doch in erster Linie Vertreter der Christdemokraten aus dem alten West-Berlin, die Mitte der 1990er-Jahre an der Macht waren. Und die zudem damit begannen, am großen Finanzrad zu drehen. Was folgte, hat alles, was einem Wirtschaftskrimi gut zu Gesicht steht: Notleidende Kredite, die in Schachtelgesellschaften „verschwanden“, geschönte Bilanzen, Konkursverschleppung, Risikoverschleierung durch Firmenverlagerungen auf die Cayman-Inseln, spezielle Fonds für VIPs, die noch bis ins Jahr 2030 erkleckliche Gewinne abwerfen, für die das Land Berlin gerade stehen muss, Verquickung privater und öffentlicher Belange, illegale Parteispenden und sogar ein Selbstmord ... Der Skandal begann schon mit der Gründung der Bankgesellschaft Berlin im Jahr 1994, bei der die Landesbank Berlin, die neue Berliner Hyp, die Sparkasse und zwei private Banken, die Weber- und die Allbank, zum fünftgrößten Bankinstitut in Deutschland fusionierten. Die Konstruktion wurde schon damals von Experten kritisiert.Denn sie sah – einfach ausgedrückt – vor, dass die Gewinne privatisiert werden, bei Verluste aber das Land Berlin als Gewährsträger haftet.Was folgte, waren dubiose Geschäfte im Bau- und Immobiliensektor. Der alte Frontstadt-Filz spielte Monopoly. Wie kein anderer steht dafür für viele der CDU-Politiker Klaus-Rüdiger Landowsky, über viele Jahre Fraktionschef seiner Partei im Abgeordnetenhaus und als Vorstand der neuen Hypobank gleichzeitig Vorstandsmitglied der neugegründeten Holding Bankgesellschaft Berlin. Landowsky gilt vielen als Hauptstrippenzieher und Schlüsselfigur im Berliner Bankenskandal. Als Anfang 2001 bekannt wurde, dass er Spenden für die CDU von zwei Parteifreunden angenommen hatte, die auch Manager der Immobilienfirma Aubis waren, welche zuvor von der Berlin Hyp einen umstrittenen Großkredit über 235 Millionen Euro für den Kauf tausender Plattenbauten zu überhöhten Preisen erhalten hatten, geriet der CDU-Politiker unter Druck. Er trat schließlich als Bankmanager zurück und gab seine Ämter in Parlament und Partei auf. Auch der Diepgen-Senat wurde abgelöst, Klaus Wowereit übernahm.
Rettung und ihre Auswirkungen
Mehrfach kam Landowsky gemeinsam mit anderen Bank-Verantwortlichen vor Gericht, doch nach insgesamt 13 Prozess-Jahren wurde der ehemals starke Mann der CDU Ende 2014 juristisch rehabilitiert. Das Landgericht stellte das letzte Verfahren gegen ihn ein. Wie hoch die Kosten des Bankenskandals wirklich sind, wird sich erst nach 2030 zeigen. Solange laufen noch die letzten Skandal-Immobilienfonds, für die das Land Berlin haftet. Denn nicht alle Fonds-Inhaber waren bereit, sich von den für sie lukrativen Papieren zu trennen. Insgesamt waren es rund 40.000 Fonds, rund 90 Prozent davon hat das Land bisher zurückgekauft. Kosten: fast vier Milliarden Euro.Finanz-Experten gehen davon aus, dass Berlin schließlich auf einem Minus von gut 500 Millionen Euro sitzen bleiben wird.Denn Berlin hatte sich verpflichtet, für die den Fondszeichnern zugesicherten Garantiemieten einzustehen, obwohl die fast 600 Objekte längst nicht alle vermietet waren oder sind. Ohnehin hat das Land weitere Milliardensummen ausgegeben, um den finanziellen Super-Gau abzuwenden: Berlin musste eine Garantie über 21,6 Milliarden Euro für die Immobilien- und Finanzgeschäfte des Instituts übernehmen. Im Jahr 2001 musste das Kapital der Bankgesellschaft um weitere 1,77 Milliarden Euro aus dem Landeshaushalt aufgestockt werden. Weitere 1,1 Milliarden flossen dem Konzern als stille Einlage zu, als die Investitionsbank Berlin (IBB) 2005 herausgelöst wurde. Die EU hatte die Beihilfen für die Bankgesellschaft durch Berlin nur unter der Bedingung genehmigt, dass das Land das Institut später verkauft. Es gehört heute in stark geschrumpfter Form als Landesbank Berlin (LBB) den deutschen Sparkassen. Tochtergesellschaften wie die Weberbank und die Berliner Bank wurden verkauft. Dass in den Folgejahren Geld für Theater, Schwimmbäder und Bibliotheken ebenso fehlte wie für die Sanierung von Schulen und für Neueinstellungen etwa in Bürgerämtern, liegt auf der Hand. Inzwischen wurden wesentliche Teile der Daseinsvorsorge wieder ins Landeseigentum überführt: Die Wasserbetriebe wurden rekommunalisiert, das Stromnetz soll wieder in Landeshand. Und tausende Wohnungen wurden von Privaten aufgekauft und so der Bestand der landeseigenen Wohnungsunternehmen wieder aufgestockt. Es gibt Bestrebungen, den kompletten Bestand der GSW zurückzukaufen und demnächst startet ein Volksbegehren für die Enteignung des Wohnungskonzerns Deutsche Wohnen. Auch ein Programm zum Schulneubau wurde aufgelegt, es sollen verstärkt Radwege auf Kosten von Autospuren geschaffen werden; und es gibt inzwischen wieder mehr offene Stellen in der Verwaltung als Bewerber. Allerdings kann nur weiter investiert werden, wenn die Steuereinnahmen weiter sprudeln, denn der Schuldenabbau erfolgt weiter Jahr für Jahr. Die CDU, der so gar nicht gefällt, wie Rot-Rot-Grün die Stadt umbauen will, tritt inzwischen zwar mit neuen Köpfen auf. Sie will eine Alternative sein zum manchmal chaotisch wirkenden Rot-Rot-Grün. Doch neue Köpfe allein sind noch kein Beleg dafür, ob ihre Politik, die vor allem auf den Autoverkehr, auf mehr Wohnungsneubau, mehr Polizei und mehr Überwachungsmöglichkeiten setzt, zu einer inzwischen veränderten Stadt passen.