„Mit Heiko Stang kommt ein echter Profi zurück zu uns, der den neuen Hauptmann von Köpenick mit seiner großen Bühnenerfahrung charmant verkörpern wird“, frohlockte Mathis Richter, Geschäftsführer des Tourismusvereins, als die Ernennung des gebürtigen Köpenickers öffentlich gemacht wurde.
Für Stang steht sie gleichbedeutend für die endgültige berufliche Rückkehr in seine Heimat, die er gefühlt eh nie so ganz verlassen hat. Zumindest nicht emotional.
Abseits von Eröffnungen und anderen repräsentativen Aufgaben, wie zum Beispiel beim 61. Köpenicker Sommer, konnte man indes bislang nicht allzu viel vom neuen Amtsinhaber erhaschen. Aktuell feile er auch noch an seinem künstlerischen Programm als Hauptmann, sagt der 59-Jährige. Ehrfurcht oder gar Angst in die Fußstapfen seines Vorgängers Jürgen Hilbrecht zu treten, hatte er jedenfalls zu keinem Zeitpunkt:
„Er hat über Jahre eine tolle Leistung gezeigt und der Bezirk sollte ihm dankbar sein. Doch ich bin erprobter Bühnendarsteller. Da weiß man, was man wie umsetzen kann.“
Ohnehin sei nicht konkret definiert, was genau der Hauptmann eigentlich machen soll. Ein Umstand, der ihm keine Bauchschmerzen bereitet. Im Gegenteil. „Die Wahl ist wahrscheinlich nicht nur auf mich gefallen, um repräsentative Aufgaben zu übernehmen, sondern wohl auch, weil ich ein Akteur mit vielen Ideen bin.“
Gemeinsam mit Tobias Unterberg vom KunstHofKöpenick e.V. ist beispielsweise die Gründung des „Fördervereins der Grünauer Friedenskirche“ geplant. Die Kirche wurde passenderweise im selben Jahr fertiggestellt, in dem auch Friedrich Wilhelm Voigt seine Köpenickiade durchführte, nämlich 1906.
Das Areal soll nun zeitgemäß umgestaltet werden. Aus den 80er-Jahren existiert zudem noch eine Open-Air-Bühne, die instand gesetzt werden will. Ziel sei es damit mehr bürgerliches Engagement anzuregen und insbesondere nach den Corona-Beschränkungen wieder mehr Kultur in den Bezirk zu bringen.
Initiativen wie diese oder auch das Altstadttheater von Albrecht Hoffmann sieht Stang als unerlässlich für die kulturelle Bildung einer Region. Nur:
„Auf Dauer reicht das nicht aus. Ohne Förderung ist Kultur mittlerweile aussichtslos.“
Generell seien die Anforderungen an das Theater deutlich gestiegen. Man gehe heute von bühnentechnischen Anforderungen wie bei TV-Produktionen aus. Dabei genügten früher zwei Scheinwerfer und eine Leinwand. „Heutzutage ist das Budget für das Marketing fast genauso groß wie für das Stück“, erklärt er. „Und wenn dann von einer halben Milliarde Kulturbudget in Berlin nur 100.000 Euro nach Köpenick kommen, spricht das Bände.“
Dabei habe der Bezirk so viel zu bieten. Mit dem Köpenicker Rathaus, dem Barockschloss und der Altstadt verfüge man über eine Menge kulturtouristisches Potenzial.
„Der Rathaushof könnte so etwas werden wie die Salzburger Festspiele“, ist er sich sicher.
In der gegenwärtigen Situation gebe es aber eher eine Unterversorgung. Demografisch gesehen ist Treptow-Köpenick „eine alte Stadt“. Die meisten neuen Angebote entstehen aber im Berliner Zentrum oder anderen Bezirken. Kultur verkomme so zu einem Gut, das nur für junge, mobile Menschen erreichbar und erlebbar ist.
Dass die Schauspielschule Ernst-Busch nach Mitte gewandert ist, sei auch in dem Zusammenhang ein schlechtes Signal. Angehenden jungen Künstler:innen werde sowieso schon suggeriert, groß rauszukommen, obwohl es immer weniger Stellen gibt.
„Heutzutage darf man sich nicht zu fein sein, mehrgleisig zu fahren.“
Für Stang bedeutet das seiner Frau zuweilen in der Hausverwaltung zu helfen. Eigentlich bräuchte es eine Einrichtung mit dem Anspruch eines Staatstheaters, ist Heiko Stang überzeugt. Oder ein großes Kinder- und Jugend-Theater mit 400 Plätzen. So wie das Atze Theater im Wedding, wo aktuell ironischerweise mit „Der Hauptmann von Köpenick – Wie ich wurde, was ich wurde“ eine szenisch-musikalische Erzählung von Thomas Sutter nach der Autobiografie Voigts läuft.
Stattdessen sind kleinere Theater für 20 bis 40 Gäste die Regel. Für den neuen Hauptmann bleibt Köpenick eine Art gallisches Dorf – und das nicht nur angesichts der Leistungen eines gewissen Vereins aus der Fußball-Bundesliga.
„Alles rund um Voigt und die Hauptmann-Garde ist Brauchtum, ist Kultur, wird aber oft belächelt.“
Dabei ist es nicht zuletzt die Kunst, die einer Gesellschaft den Spiegel vorhält. Friedrich Wilhelm Voigt wusste seinerzeit nicht weiter. Und genauso gebe es heutzutage immer noch viele Menschen, die mit der Verwaltung kämpfen. „Ich gehe deshalb mit offenen Augen durch die Welt und habe einen Blick für die Bedürfnisse der Menschen. Es ist wichtig, immer hinzuschauen.“
Der Hang zu Kunst und Kultur ist im Fall von Heiko Stang und seiner Familie keine Überraschung. Die Mutter war Malerin und Lektorin, der Onkel der bekannte Schlagersänger Siegfried Uhlenbrock („Du hast gelacht“, „Unsere Sommerreise“). Letzterer brachte ihm auch das Gitarrespielen bei. Seinen ersten Auftritt mit eben diesem Instrument hatte Stang als 16-jähriger bei einer Ausstellungseröffnung seiner Mutter im Studio Bildende Kunst.
Trotzdem entschied er sich für eine Ausbildung als Nachrichtentechniker. Ein Job, der ihm sogar sehr gut gefiel. Und ihm bis heute hilft: „Wenn das Budget nicht reicht, kann ich mich selbst um die Beleuchtung kümmern.“ Doch seine kreativen Nebentätigkeiten und sein Engagement als Hausbesetzer in Adlershof in den 1980er-Jahren waren dem Betrieb und den Oberen anscheinend ein Dorn im Auge. „Irgendwann stellte man mich vor die Wahl: Entweder die Arbeit als Nachrichtentechniker oder die Musik.“
Kurzerhand kündigte er beim Fernmeldeamt und begann als Hausmeister im Kindergarten zu arbeiten. „Das hat meinem Vater gar nicht gefallen“, lacht er. Eine eigene Gitarre und ein Klavier vom für ihn angelegten Sparbuch der Großeltern hatte er da für stolze 800 Mark schon längst gekauft.
Nach dem Musik-Studium und dem Staatsexamen 1992 sollte eine glückliche Fügung ihn vor dem Vakuum bewahren, das viele Ostkünstler:innen erfuhren. Als studentischer Mitarbeiter in einer Revue des Friedrichstadtpalasts bekam Stang Wind von der Rockoper „Jesus Christ Superstar“ – und schließlich seine erste Hauptrolle im ersten Stück.
Etliche weitere namhafte Produktionen und Rollen sollten dazukommen (u. a. West Side Story, Tanz der Vampire, Grease). 2007 schreibt und inszeniert Stang das Weihnachtsmusical „Ein kleines bisschen Weihnacht“.
Seither ist er ebenfalls als Regisseur, Autor und Komponist tätig. So auch bei der Musicaladaption „Der Hauptmann von Köpenick“, die 2015 uraufgeführt wurde.
„Das Musical ist eigentlich eine Erfolgsgeschichte, selbst wenn es das finanziell hier nicht war.“
Auf das Geld komme es ihm als Künstler aber ohnehin nicht an. Auf die Frage, ob er etwas bereut, antwortet er mit einem schnellen Nein. „Vielleicht war ich zu blauäugig, hier was Tolles auf die Beine stellen zu wollen. Andererseits hätte ein rein rationales Vorgehen auch nicht gepasst“, vermutet Heiko Stang.
Dass seinerzeit die Unterstützung durch den Bezirk nicht so kam wie erhofft, beschäftigt ihn nicht mehr. „Ich bin nicht nachtragend.“ Man könne eh das Gefühl bekommen, dass die entsprechenden Stellen permanent überarbeitet und unterbesetzt sind. Deshalb möchte der Mann mit den markanten blauen Augen lieber selbst tun, was er kann, und es besser machen für die, die hier leben.
Wenn er nicht gerade mit Kunst beschäftigt ist, versucht Stang Zeit für sein Segelboot Emma loszueisen. „Wenn ich den Steg betrete, fällt vieles ab und der Kopf wird freigeblasen.“ Das setzt Energie frei für neue Taten. Für Februar nächsten Jahres ist sein Stück „Wie ich Hauptmann von Köpenick wurde“ geplant, das zum Teil Lieder aus dem Musical enthalten wird.
Charmant findet er die Idee einer Köpenicker Hauptmann-Bühne, die Jürgen Hilbrecht einst anstieß. Überhaupt sei es doch schön, dass es aktuell genau genommen drei Hauptmänner gibt: Benno Radke in der Hauptmann-Garde, Jürgen Hilbrecht im Hauptmannsklub und eben Heiko Stang. Eitelkeiten seien da fehl am Platz.
„Meinetwegen können wir auch einen Flashmob mit 100 Hauptmännern durchführen. Das wäre doch mal was.“