Geschenktes Gedicht – verschenkter Raum
Wir erinnern uns an das dunkle Kapitel der Alice-Salomon-Hochschule, als wäre es letztes Jahr gewesen. Nach jahrelangem Leid unter dem Sexismus am Bau entledigt sich die hochschulsche Hauswand endlich der barbarischen Worte und bekommt einen Neuanstrich. Lyrikerin Barbara Köhler, deren neues Gedicht die Wand zukünftig zieren soll, fand sieben Jahre sowieso viel zu lang für den Verbleib eines Schriftzuges als Mauergestaltung. Der Astronaut Cosmonaut schwebt ja auch schon ganz schön lange in Kreuzberg rum, findet ihr nicht?
Zudem sei der damalige Anstrich keine demokratische Entscheidung gewesen, das Gedicht „Avenidas“ war der ASH ja nur geschenkt worden, wie Köhler kritisierte. Sie hat der ASH dann ein Gedicht geschenkt. Zufällig eingeschobenes Zitat:
„Das Werk ist ein Geschenk – und die Beschenkten dürfen damit tun, was sie wollen.“
Die ASH will Köhlers Gedicht an die Mauer schreiben.
Sind nun alle glücklich und die Debatte beendet?
Begraben wohl eher. Kritiker der Avenidas-Entfernung, die in dieser Alternativbemalung zufrieden die Lösung sehen, waren keine Kritiker. Denn was hier an der Hauswand Gestalt annimmt, ist ein diskussionsvermeidendes Gedicht, das sich nicht zwischen neu ODER alt, groß ODER klein entscheiden kann. Und das ganz modern an. Passenden Stellen die Umbrüche. Setzt. Abgeschlossen von einem innovativ katalanischen „BON DIA“ und für die, denen das spanisch vorkommt, noch was auf Englisch.
Das ist wohl für moderne Kunst so üblich. Man steigt nicht so ganz dahinter, was sie darstellen soll und was einem der Künstler damit sagen will, könnte es sicher in einem möglichst genauso unverständlichen Statement des Künstlers nachlesen, aber so toll sind die Farbkleckse auf der Leinwand, die sich da jetzt Kunst zu nennen versuchen, auch wieder nicht. Und so regt sie den Bewunderer nicht zum Denken und Diskutieren an, sondern schreibt ihm ein großes „Hä“ auf die Stirn, das ihn mit dem nächsten verständnislosen Kopfschütteln den Gedanken an das Kunstwerk abwerfen lässt.
Also bloß keinen verständlichen Satz geradeaus schreiben, nachher drückt man noch eine Meinung aus oder bezieht gar Stellung in einer Debatte und wird dafür angekreidet. Oder eben überpinselt. Erinnern wird man sich an das kontrovers diskutierte Gomringer-Gedicht, das in einer albernen Sexismus-Debatte die Hauswand räumen musste.
Auslöser und Inhalt der Debatte werden mit dem Gedicht weggewischt
„Avenidas“ soll weg. Also ganz weg nu auch nicht. Die komplette Beseitigung des ach so empörenden Vorgängergedichtes traut sich die Hochschule wiederum nicht zu. „Durchscheinen“ soll es. Als wäre dem Maler nach dem zweiten Anstrich Lust und Farbe ausgegangen.
Es soll also an „Avenidas“ erinnert werden, aber nicht zu doll; die Debatte wurde auch irgendwie im Gedicht aufgenommen, aber ohne Stellung zu beziehen; und die katalanischen Worte sollen wohl Kritik üben oder zumindest Sympathie gegenüber der katalonischen Minderheit ausdrücken, aber ein „Guten Tag“ tut das offensichtlich ja auch nur vage – davon abgesehen, dass der politische Konflikt zwischen Spanien und Katalonien nicht besonders viel mit dem Wirbel um das Gomringer Gedicht zu tun hat.
Das neue Stück Kultur soll jedoch dem Zeitgeist der Hochschule gerecht werden und im Einklang mit den Studierendenprotesten gekünstelt sein. Zeitgemäß unaneckend.
Hier wird kein Sexismus beseitigt. Hier werden Kunst und Diskussion mit neuer Farbe erstickt. Wort für Wort. Mit jedem Pinselstrich.