Vertrauen wagen?

Die Neugestaltung des Gesamtareals „Rübezahl“
Ökonomen, Soziologen, Psychologen? Nein, Gastronomen sind die wahren Seismographen unserer Gesellschaft. Wird an Currywurst, Bier und Brause gespart, dann ist die Krise angekommen.

Am 8. September hatte das Bezirksamt ins Rathaus Köpenick geladen. Eine „Erörterungsveranstaltung“ zur frühzeitigen Bürgerbeteiligung bei der Neugestaltung des Gesamtareals „Rübezahl“ stand auf dem Programm.

Der prachtvolle Ratssaal bot eine passende Kulisse für das heilige Abendmahl, welches aufgetischt wurde. Wie der Heiland persönlich saß Baustadtrat Hölmer im Zentrum des Bildes. Nach freundlicher Begrüßung schickte er ein maßvolles Donnergrollen durch den Saal, mit welchem er ein anonymes Pamphlet missbilligte. Dieses würde das Rübezahl-Projekt als trickreiche Masche dubioser Investoren denunzieren, deren eigentliche Absicht es sei, 36 komfortable Stadtvillen im Naturschutzgebiet direkt am Müggelsee zu platzieren.

Im Weiteren überließ er es gern seinen Jüngern zur Rechten, wie zur Linken, eben diesen Eindruck zu zerstreuen. So sollen in Rübezahl auf dem Grund und Boden der Rübezahl-Betreibergesellschaft lediglich Ferienhäuser entstehen.

Novasol, ein potenter dänischer Ferienhausanbieter würde sich künftig darum bemühen, diese fachgerecht mit Urlaubern zu füllen. Befürchtungen, dass sich die Häuser alsbald in Wohneigentum verwandeln könnten, wären vollkommen abwegig, denn dies sei ja laut Nutzungsplan – verboten! Nachdem die drei Damen vom Amt diese These übereinstimmend gestützt hatten, kam der ausführende Architekt zu Wort, um seinerseits letzte Zweifel wortreich zu zerstreuen.

Die Sorgen der Bevölkerung nehme man sehr ernst. So könne er umgehend Klarheit schaffen. Die versiegelte Parkfläche hätte man gegenüber den ursprünglichen Plänen um 24% reduziert. Gaststätte und Biergarten erwarten auch künftig ihre Gäste. Uferweg, Fahrradweg und Seezugang vom Parkplatz aus blieben für Jedermann frei zugänglich. Der Spielplatz würde schöner als je zuvor. Öffentliche Toiletten kämen hinzu und das ganze Areal würde gestalterisch aufgewertet. Also alles bestens.

Die besagten Häuser (zwei Vollgeschosse + Dachgeschoss) werden an diesem Abend nur als kleine Quadrate im Grün einer Luftaufnahme erkennbar. Im Übrigen sei eine Umwandlung in Wohneigentum als Nutzung nicht zugelassen, also definitiv verboten. Die Bürger dürften ihm da schon vertrauen. Sollte eines Tages dennoch jemand davon hören, dass dies geschehen sei, hätte jeder Bürger das Recht, gegen eine solche Zweckentfremdung zu klagen.

Nachdem auch noch der vom Investoren beauftragte Landschaftsplaner ausgeführt hat, dass er damit beschäftigt sei, ein Umweltvertäglichkeitsgutachten zu erstellen, welches die Auswirkungen des Ganzen auf Landschaft, Pflanze, Wasser und Tier untersuchen würde, hätten alle beruhigt nach Hause gehen können.

Nun ging es aber erst richtig los. Der Saal war gut gefüllt. Überwiegend mit Grauköpfen, deren lange Lebenserfahrung sie gelehrt hatte, offiziellen Beteuerungen dieser Art grundsätzlich zu misstrauen. Müssen Ferienhäuser denn so groß sein? Wer kann sich solch einen Urlaub überhaupt leisten? Was, wenn das Konzept nicht aufgeht? Wird dann doch umgewandelt? Wenn an Familien gedacht ist, wo sollen die Kinder baden? Wenn jedes Haus nur einen Carport hat, wo soll das zweite Auto der 8 Urlauber parken? Und was, wenn das Ganze nicht läuft? Wird dann doch an Privat verkauft? Warum verläuft der Fahrradweg nicht mitten durch das Gelände? Muss man als Besucher fürs Parken bezahlen? Und was wenn am Ende doch Eigentumswohnungen daraus werden?

Professor Dr. Niels Korte trat ans Saalmikrofon. Der CDU-Anwärter im aktuellen Wahlkampf stellte sich als Friedrichshagener Bürger und Rechtsanwalt vor. Er doziert kurz über das Klagerecht bei Zweckentfremdungen und Fehlnutzungen, also darüber, dass man klagen könne, sollte man als direkter Grundstücksnachbar unmittelbar von einer Zweckentfremdung negativ betroffen sein. Da es einen solchen Nachbar in Rübezahl nicht gäbe, hätte im Falle einer Umnutzung mit einer Klage niemand Aussicht auf Erfolg.

Allein ein Verfahren von Amts wegen könnte dann noch etwas bringen, allerdings müssten genau diejenigen Klage stellen, die zuvor selbst die Genehmigung vorangetrieben hätten. Unruhe im Präsidium, Applaus auf den Plätzen, der Architekt schweigt. Die Damen stammeln, nun ja, für den Bürger sei das sicher schwierig. Gleichzeitig verwahren sie sich gegen Unterstellungen und Vorverurteilungen. Man könne auf den Sachverstand des Amtes schon vertrauen! Und dann spricht der Heiland selbst. Solange er im Amt sei, könne man ihm vertrauen, und er könne sich auch nicht vorstellen, dass ein Nachfolger das je anders sehen könnte.

Das Frage-Antwort-Spiel geht noch eine ganze Weile weiter. Professor Korte ist längst gegangen. Der stumme Investor verlässt grußlos den Saal. Ein Projektmanager von Novasol – dänisch blond und gut gebräunt – erklärt kurz aber nachvollziehbar sein Konzept. Jesus entschuldigt sich. Auch er muss los. Er hat den Eindruck, man sei mit der Diskussion auf einem guten Weg. Aber nun drängen weitere Termine. Ob ihn die Gattin ans Kreuz nagelt, weil er so spät kommt?

Schließlich spricht der Eigentümer über seine Motivation. Die Wirtschaftskrise, das Saisongeschäft, das Scheißwetter. Da sei der Umsatz schwankend. Man hätte auch schon alles probiert, die Karte rauf und runter, von hochwertig bis rustikal. Im Winter ist tote Hose. Mehr als verständlich, dass da eine gediegene Ferienhaussiedlung als zweites Standbein willkommen wäre.

Nach beinahe drei Stunden ist alles gefragt, ist alles gesagt. Die Bürger wurden beteiligt. Von nun an ist nur noch eines gefragt – ihr Vertrauen.

Auskunft und Information vom Bezirksamt: Frau Narr; Tel. 90297 – 2312 oder online.


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