Ich bin dann auch mal weg

Auf dem Jakobsweg. Mit mehr Blasenpflastern als Schlüppis im Gepäck.
Erstveröffentlichung am 23.09.2018
„Er ist nicht da, Madame.“ WIE? DER IST NICHT DA? „Ihr Rucksack ist noch in Frankfurt. Er hat den Anschluss nicht bekommen.“ ICH GLAUB ICH HAB GLEICH NEN KURZSCHLUSS. Dachte ich leise. Und nahm den Zettel mit einer Nummer drauf stehend schweigend entgegen. „Morgen sollte er da sein. Sie werden per SMS benachrichtigt.“ Ich nicke und schlurfe davon.
Lena im Selfie im Spiegel
Foto: Lena Franke

DAS IST DOCH EIN SCHERZ! Ich musste laut lachen, als ich zum Taxistand lief. Ich habe den Rucksack von meiner Freundin Mia geliehen. Mia hat mich vorgewarnt:

„Lena, der Rucksack verschwindet immer, wenn ich zum Jakobsweg reise. Der ist nie in dem Flieger, in dem er sein sollte“.

Gott sei Dank, hab’ ich meine Zahnbürste im Handgepäck. Und Snacks. Und Tabak. Ich frage mich, ob das an den Aufnähern liegt, die für „Animal Liberation“ und „Up with trees and Down with Capitalism“ provozieren? Ob mir ein tieressender Kapitalist zeigen wollte, wie scheiße mein Leben ohne Kapitalismus sein würde? Kein Kapitalismus – kein Rucksack.

So beginnt als meine Beziehung mit mir und dem Jakobsweg. Mia hat gesagt: „Lena mach das! Du brauchst das.“ Ich war mir nicht sicher, ob das eine Beleidigung war. Ich hab’s gemacht. Ich war da. Auf dem Jakobsweg.

Bevor ich diese Tatsache werte. Ein Fakt vorweg: Es gibt kein EINEN Weg. Es sind viele. Alle irgendwo in Frankreich oder Portugal beginnend und durch Spanien führend. Im Grunde kann man von überall loslaufen. Ich rede hier von den populären Strecken, die mit einer guten Herbergeninfrastruktur ausgestattet sind.

Ich war auf dem kürzesten Weg. Der nennt sich Camino Portugues. Und führt von Porto (Portugal) nach Santiago de Compostela (Spanien). Alle Jakobs-Wege führen dahin. Obwohl ich nicht sicher war, ob mich meiner auch dahin führen wird. Oder ob ich schon vorher weinend in den nächst besten Flieger nach Hause flüchte und einfach behaupte, dass ich von einem portugiesisch-spanischen Greifvogel angegriffen und ausgeraubt wurde. „Der krallte sich einfach meinen Rucksack und flog davon, ich konnte nichts machen …“

Aber nein, ich war lieb und hörte auf Mia. Obwohl mir die Dinge öfter mal unangenehm aufstoßen, die Mia so sagt und ich aus Protest gerne den Greifvogel vorgeschickt hätte. Mia piekt mich immer irgendwo. Mia piekt gerne. Das kann sie gut. Ich glaube ich bin ihr Lieblings-Piek-Objekt. Aber am Ende höre ich auf sie – meistens jedenfalls. Weil sie ja im Grunde immer die Dinge sagt, die ich längst weiß, die ich aber gerne vergesse. Ich habe sie sehr lieb. Und sie mich auch – deshalb piekst sie mich.

„Damit du endlich an dich glaubst!“ sagt sie immer.

So nahm ich den Kampf mit dem 280 km langen Weg auf mich. Ein Spaziergang unter den anderen Wegen, die zw. 800 und 1000 km lang sind. Ich wollte es langsam angehen.

Ich wusste schon, als ich meinen Rucksack packte, dass ich leiden werde. Der Inhalt mit Blasenpflaster, Hirschtalg, Antidurchfall-Pillen und sexy Wandersocken schrie nach Qual. Ich meine ich hatte mehr Blasenpflaster als Schlüppis dabei!

Beinah hätte ich’s auch gelassen. Mit dem Jakobsweg. Beinahe hätte ich doch einen Yogaurlaub gebucht. Morgens Yoga. Mittags Strand. Abends Yoga. Nix machen. Entspannen. Bikini einpacken fertig. Ich hätte nur noch auf „Jetzt buchen“ klicken müssen. Dann saß sie aber wieder auf meiner Schulter – MIA. Laut Mia stand mir „Größeres“ bevor. Ich fand Yoga ziemlich groß. Für sie nicht groß genug. Ich fühlte mich klein und klappte meinen Laptop zu.

Aber zwei unbeschwerte Tage in Lissabon sollten es dann doch noch sein. Ich gönnte mir all die portugiesischen Leckereien, die ich so finden konnte. Ich schlenderte durch die Gassen und beobachtete den portugiesischen Alltag. Ich liebe es mir auf Reisen stundenlang die Gepflogenheiten der Leute anzusehen. Ich schaue wie sie leben, sich bewegen, reden, essen, einkaufen. Um mich dann ganz charmant unter sie zu mischen und möglichst nicht aufzufallen. Ich hasse es wie ein Touri auszusehen.

Meine nächtliche Lieblingsbeschäftigung in diesen zwei Tagen war das Beobachten der Feiermeute im Bairro Alto – aus sicherer Entfernung – von meinem Airbnb Balkon aus. Mein Bett vibrierte zwei Tage lang bis morgens um vier Uhr.

Gott sei Dank schlaf ich meistens wie ein Stein. Insbesondere wenn ich Konfliktschlaf betreibe.

Während andere sich hin und her wälzen, genieße ich tiefsten Schlaf. So auch vor meinem Jakobsweg. Ich hatte Einiges zu verdrängen…Hirschtalg zum Beispiel.

Mit einer Mitfahrgelegenheit ging’s am dritten Tag dann nach Porto. Wir – eine schmuckbastelende Spanierin und ihr Hund, ein kanadischer Weltenbummler und ich haben uns zweimal verfahren. Google Maps war langsamer als das Auto. Wir haben etwas getan, was man nicht tut. Wir sind auf der Autobahn ein Stück rückwärtsgefahren. Alle beteiligten leben noch. Es gab ein großes Hupkonzert und vermutlich sind wir bis auf unser Lebensende mit portugiesischen Flüchen belegt …

 

 

Nächste Woche gehts weiter mit Lenas Geschichte auf dem Jakobsweg …

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