Nur der Skipper Santiago Perez Linares wacht. Als die Stimme aus dem Bordlautsprecher ertönt, eilt der 46-jährige zum Funkgerät. Ein See-notfall. Linares handelt sofort. Alle Mann an Deck. Routiniert startet der Skipper den Marinediesel, geht Anker auf und nimmt direkten Kurs durch die stampfende See auf das rund neun Seemeilen entfernte Cayo Sal, südlichstes Eiland der Cayos de Dios-Gruppe. Dort liegt die Aruba, ein Segelkatamaran, dessen Besatzung den Notruf abgesetzt hatte. Was war geschehen? Noch auf dem Weg zum hilfsbedürftigen Kat klärt Skipper Linares die verschlafen an Deck taumelnde Crew der El Gambio auf: Die Charter-Mannschaft des Segelbootes vom Typ Fountaine Pajot – Athena 38 war wie die El Gambio bei gutem Segelwetter von Cienfuegos im Südwesten Kubas gestartet.
Beide Yachten wollten möglichst bald die etwa 80 Seemeilen entfernte Marina Marlin auf der südwestlich liegenden, langgestreckten Insel Cayo Largo erreichen, als der Wind stetig auffrischte und die Wellenhöhe zunahm. Statt wie der Monohull einen sicheren Platz zum Ankern zu suchen, wollte die Besatzung des 11,60 Meter über Alles langen Kats Meilen fressen.
Als schließlich feststand, dass auch die Aruba nicht umhin kam, Schutz zu suchen, wählte der einheimische Skipper der Crew das in der Nähe gelegene Inselchen Cayo Sal, an dessen Küste sich die Wellen schäumend brachen, über die der Wind pfiff, der den einzigen auf dem Eiland stehenden Baum, eine Palme, bog. Dann kam, was kommen musste: Der Anker der Aruba slippt. Eine Ankerwache gibt es nicht an Bord. Binnen Sekunden treibt der einen knappen Meter tiefgehende Segelkat, von der Crew unbemerkt, in Richtung eines nahes, dicht unter der Wasseroberfläche befindlichen, scharfkantigen Riffs – und schlägt Leck. Die Schrauben der zwei 18 PS starken Motoren werden beschädigt, und beim Versuch, unter schnell geheißten Segeln doch noch vom Riff freizukommen, rutscht der Kat vollends auf die Korallenbank. Aus dem stolzen Segelschiff Aruba ist binnen kürzester Zeit ein löchriges Wrack geworden, das aufgegeben werden muss. – Dass das Segeln im karibischen Meer südlich Kubas zwischen der Halbinsel Yucatan im Westen, Jamaica im Süden und dem östlich vorgelagerten Hispaniola nicht immer ganz ungefährlich ist, bestätigt auch Adolf Platten.
Seit acht Jahren betreibt der 68-jährige Segler eine von insgesamt zwei auf Kuba ansässigen Yachtcharteragenturen in Cienfuegos, zu der auch die havarierte Aruba zählte. „Kuba ist seglerisch ein sehr anspruchsvolles Revier“, sagt Platten, der im Jahr 2002 den Charterbetrieb mit nur drei Segelbooten auf der größten Karibikinsel begann und 2009 bereits elf Boote vermietet. Schon Alexander von Humboldt beschrieb den Umriss Kubas als Form eines Krokodils – gefährlich und bedrohend. Der drahtige Geschäftsmann sieht das ähnlich: Er begründet die Gefährlichkeit des Reviers mit dem Auftreten von Hurricans in den späten Sommermonaten, teils starken Winden, der spärlichen Betonnung, vor allem aber mit den unzähligen Untiefen und Riffs inmitten des Archipels. Aus diesem Grund erließ Platten für seine Charteryachten auch ein generelles Nachtfahr-Verbot für das Befahren von Riffzonen.
Es sei denn, ein einheimischer Skipper ist mit an Bord – der einfach zum Boot dazugebucht werden kann. Doch selbst dann ist Vorsicht geboten, wie der Fall der Aruba zeigt: Trotz eines erfahrenen Schiffsführers an Bord musste die Crew schließlich abgeborgen werden. Für die Crew der El Gambio begann indes spätestens, als am kommenden Tag der Wind abflaute und der Himmel blaute, ein Traum-Törn vorbei an einsamen Inseln voller unberührter Natur, menschenleeren Stränden, mit Schnorchel- Stopps an artenreichen, intakten Riffen, und vor allem: mit viel kubanischer Lebenslust.
Kubas Wilder Westen
Editorial
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