Der Karussell-König

Zur Geschichte des Spreeparks im Plänterwald
Erstveröffentlichung am 20.03.2010
Die Risikobereitschaft, die Abenteuerlust und das nicht totzukriegende Stehaufmännchensyndrom, das waren und sind die Charaktereigenschaften des Schaustellerclans der Wittes. Da ging es nicht einfach um ein Rummelbüdchen, das die Väter jeweils ihren Söhnen vererbten – nein, es mußte schon etwas mehr sein.

Otto Witte landete nach seiner gelungenen Flucht aus Albanien im Februar 1913 zunächst in der Psychiatrie in Salzburg. Er hatte natürlich noch einige der wertvollen Geschenke mitgenommen, die man ihm in Tirana übergeben hatte, und da gab es nun Scherereien, als ihm die Zollbeamten diese aus den Taschen zogen.

Wie heißen Sie?
Otto Witte.
Und was sind das für Perlen?
Ja, wissen Sie, das hab ich zur Krönung geschenkt bekommen. Ich bin nämlich der ehemalige König von Albanien.
Wie bitte?!

Will uns dieser Lump vergackeiern? Otto wurde verhört, denn man glaubte ihm nicht. Man sandte ein Telegramm nach Tirana, um sich bestätigen zu lassen, ob man dort einen Otto Witte kenne, der vorgibt, albanischer König zu sein? Nein, lautete die Antwort aus Tirana, kennen wir nicht – nun ja, wer gibt schon gern zu, daß er von einem Hochstapler geleimt wurde? Also kam Otto als gefährlicher Irrer (hält sich für den König von Albanien und hat wohl auch Schmuck geraubt!) in die Klapse und blieb dort, bis der Chefarzt ein paar Tage später mit einer alten Zeitung ankam, in dem über die Krönung des albanischen Königs berichtet wurde – mit Bild. „Sehen Sie“, sagte Otto, „glauben Sie mir jetzt? Ich bin wirklich der Ex-König von Albanien!“ Und grinste. Und man ließ ihn laufen.

Damals waren die Medien noch nicht so flächendeckend und so schnell wie heute, und so wußte Otto nicht, ob man zuhause in Heimbach schon von seiner Köpenickiade auf dem Balkan erfahren hatte. Doch inzwischen hatten sich auch die Salzburger Zeitungsfuzzis auf die Story gestürzt, und so reiste Otto seinem royalen Ruf hinterher und wurde, daheim angekommen, von seiner Frau ausgeschimpft, die besonders die Tatsache auf die Palme brachte, daß Otto im Palast in Tirana einen eigenen Harem gehabt hatte, mit 11 (!) hübschen jungen Mädchen darin!

Otto Witte hatte seine Familie nicht in seine Balkanabenteuer hineingezogen. Seine Frau lebte mit den vier Kindern in Heimbach, während Otto in der Weltgeschichte herumturnte. Dabei wird es wohl schon so gewesen sein, daß Otto den Spionage-Auftrag annahm, um ein wenig hinzuzuverdienen, und den Albanien-Coup dann als Krönung – Achtung Doppeldeutigkeit! – hintendranhängte. Und da er davongekommen war und es, außer dem kurzen Aufenthalt in der Klapse, keine ernsten Folgen gegeben hatte, wurde der Coup dann auch schön ausgeschlachtet und wieder und wieder erzählt. „Unser Opa“, erinnerten sich Ottos Enkelinnen später, „hat halt gerne rumgesponnen.“ Mit seiner „Lieblingstochter“ trat Otto in den Endzwanzigern und später in Revuen als „König Otto und Prinzessin Elfriede“ auf, entsprechend kostümiert: er mit türkischem Fez und seiner Phantasieuniform am Leib, Elfriede im orientalisch gemusterten Bordürenkleid.

Norbert Witte, geboren 1955 in Hamburg, war nach Otto der nächste „royale“ Witte der Dynastie: als „Karussell-König“ wurde er Ende der Siebzigerjahre bekannt. Norberts Vater, Ottos jüngster Sohn Karl, war ein eher braver, solider, ruhiger Charakter gewesen, doch bei Norbert machten sich Opas Gene wieder bemerkbar. Ottos Risikofreudigkeit und sein Stehaufmännchensyndrom, gewürzt mit einer Prise Phantasie und Größenwahn, hatte Norbert geerbt. Alles auf eine Karte setzen, wer wagt, gewinnt – und wer nicht gewinnt, nun, dem fällt dann schon was anderes ein.

In die Zeitungen kam Norbert zuerst, weil sein „Katapult“ die damals schnellste Achterbahn der Welt war – und dann wieder 1981, als ihm auf dem Hamburger Volksfest „Dom“ ein Unfall passierte, der sieben Menschen das Leben kostete. Der Arm seines Krans war in ein anderes Karussell geraten und hatte dieses zerstört, und da der Kran nicht versichert war, waren die Wittes danach erst mal pleite. Doch sie kamen wieder auf die Beine und griffen auch gleich wieder nach den Sternen.

Nach der Wende übernahmen sie das Areal, auf dem zu DDR-Zeiten der „Plänterwald-Kulturpark“ war, und wollten aus dem „Spreepark“ den größten Rummel im wiedervereinigten Deutschland machen. Doch nach einer Weile ging auch das in die Hose, Witte verspekulierte sich, machte Schulden – und haute 2002 mit einigen abmontierten Karussellen nach Peru ab. „Flucht“ hieß es dann in den Zeitungen, doch Witte sieht es nicht so. Eine Emigration sei es gewesen, man hatte in Peru schlicht neu anfangen wollen. Aber der „Luna-Park“ in Lima kam nicht recht in Schwung, man schrieb mehr rote als schwarze Zahlen, und um sich die Rückreise nach Deutschland finanzieren zu können, ließ sich Norbert Witte von der peruanischen Drogenmafia kaufen: er sollte in einem seiner Karussellmasten Koks nach Deutschland einschmuggeln. Doch er wurde gekitscht.

Heute ist Norbert wieder auf dem Spreeparkgelände tätig. Seit 2002 war es Brachland, jetzt will man wieder was drauf bauen. Im Film ACHTERBAHN von Peter Dörfler, der zu Ostern 2010 als DVD erscheint und in dem es um das Auf und Ab der Familie Witte zwischen Berlin und Lima geht, sieht man die verrosteten Gestelle, das stehende Riesenrad, und dazwischen Norbert, der die Achseln zuckt und sagt, daß man auch in schlechten Zeiten nicht verzagen dürfe, „das liegt uns Schaustellern schon in der Wiege.“ Anders als Opa Otto aber kam er nicht mit ein paar Tagen Klapse davon, sondern mit sieben Jahren Gefängnis – und schlimmer noch: sein Sohn Marcel, angeblich auch im Koksdeal verwickelt, bekam 20 Jahre aufgebrummt und sitzt immer noch. In Peru, in einem der brutalsten Knäste der Welt. Auch das sieht man in ACHTERBAHN, wenn Wittes Ex-Frau und seine Tochter nach Lima reisen, um Marcel zu besuchen. Im Unterschied zu Otto hatte Norbert bei seinen Kamikaze-Eskapaden nämlich seine Familie mit hineingezogen, und das macht ihm seine Ex-Frau zum Vorwurf.

Und doch: grinsen kann er immer noch. Oder schon wieder. Er könne ja schließlich nicht nur heulen, oder? Das Leben geht weiter. „Und wenn Marcel rauskommt…


Popstar Wilhelm Voigt im Frack Zeitreisen

Verbrechen lohnt sich

Aus dem Maulbär-Archiv Als der preußische Landgerichtsdirektor Dietz am 30. November 1906 das Verfahren wegen widerrechtlicher Freiheitsberaubung und unbefugten Tragens einer...

Rasputin segnet dich! Zeitreisen

Rasputin

Foto: Maulbärarchiv Wunderdinge wurden erwartet. Wunder sollte selbst das Wasser tun, in dem sein lebloser Körper gelegen. Der Zar selbst hatte...

Gundermann, Gerhard (Gundi) - Baggerfahrer, Rockmusiker, Liedermacher, D - in Arbeitskleidung an seinem Arbeitsort im Braunkohletagebau in der Lausitz - 1992 Zeitreisen

… unterm Kirschenbaum vergraben.

Foto: ullstein bild - Herbert Schulze

Arbeit: das war der Tagebau.

Dort fuhr er den Bagger. Und wenn er den nicht fuhr,...