Das linke Urgestein Gregor Gysi und der Autor und Dramatiker Alexander Estis schenkten als engagierte Redner Zuversicht und eine kämpferische Grundstimmung. Ende Mai konnte auf großer Bühne hinter dem Theater der reguläre Spielbetrieb wieder anlaufen, und am 12. Juni feierte die erste Eigenproduktion nach der langen Corona-Schließzeit endlich ihre Premiere.
Für »Die wahren Lügen des Till Eulenspiegel« übernahm Theaterintendantin Kathrin Schülein selbst die Regie. Die historischen Texte von Hans Sachs haben es ihr seit jeher angetan. Der Nürnberger Schuhmachermeister und Meistersinger war ein genauer Beobachter seiner Zeitgenossen und damit ein bedeutender Chronist seiner Zeit. In seinen humorigen Knittelversen nahm er seine Mitmenschen in all ihren Eigenheiten und Schwächen auf 's Korn. Die Eitelkeit, die Habgier, die Dummheit, die Niedertracht – all das gab es vor 500 Jahren schon ebenso wie heute. Genau das lässt das Werk von Hans Sachs so universell bedeutsam und zeitlos aktuell erscheinen.
Till Eulenspiegel ist kein sympathischer Held, kein Robin Hood, der von den Reichen nimmt, um es den Armen zu geben. Das Schlitzohr mit der Schellenkappe zieht umher, amüsiert sich auf Kosten der Leute und macht sich ihre Schwächen zunutze. Sollte man ihn charakterisieren, ließe er sich als guter Christ im Bundestag trefflich beschreiben, der einen allgemeinen Maskenzwang beschließt, beim steuerfinanzierten Maskengeschäft kräftig Provision kassiert, das unbrauchbare Zeug mit gnädiger Geste an die Ausgestoßenen der Leistungsgesellschaft verschenkt, um schließlich in der Talkshow zu hocken, und mit breitem Grinsen über unsere gemeinsamen Werte zu referieren.
Wer unnütz ist, sich nichts lässt lehren, der kommt im Land zu großen Ehren.
Kathrin Schülein eröffnet das Stück mit dem Hans-Sachs-Gedicht »Das Schlaraffenland« aus dem Jahr 1530. Vorgetragen wird es von Eckhard Ischebeck, Caroline Siebert, Mattis Nolte und Alexander Pluquett im erstarrten politischen Ritual eine Parlamentssitzung. In den folgenden Szenen gibt Eckard Ischebeck den Eulenspiegel, während seine drei Schauspielkollegen in verschieden Rollen und Kostüme schlüpfen.
Schon bei den Proben war ihnen allen anzusehen, mit welcher Spielfreude, Lust und Leidenschaft sie sich das Stück zu eigen machen. Viel zu lange wurden Kunst und Kultur an die Kette gelegt, mussten die Künstler gegen Stille, Stillstand und trübe Stimmung ankämpfen. Und nein, auch das schnellste Internet liefert nur eine virtuelle Simulation der Wirklichkeit. Auch die längste Zoomkonferenz schafft keine echte Nähe, die reale Begegnung mit echtem Publikum kann man weder streamen noch downloaden und stehender Applaus lässt sich nicht wirklich durch Daumen-hoch-Likes und Emoji- Symbole ersetzen.
Und wer der Faulste wird erkannt, derselbige ist König im Land.
Mit Till Eulenspiegel hat sich das Theater Ost in die Wirklichkeit zurückgespielt. Noch immer mit Auflagen und Einschränkungen. Noch immer draußen, hinter dem Theater und nicht darin. Noch immer mit notwendigem Improvisationsvermögen und der großartigen Unterstützung vieler engagierter Helfer. Aber eben auch mit dem ganz starken Gefühl, das Richtige zu tun, sein Bestes zu geben und sich den Applaus des Publikums ehrlich zu verdienen. Die Premiere hat überzeugt. Weitere Aufführungen werden folgen!