Von der Flug- zur Traumfabrik
Aber von vorn: Der kleine Ort Johannisthal war 1753 vom preußischen König Friedrich II. als Ansiedlung für Kolonisten aus der Pfalz gegründet worden. Im Jahr 1880 wurde ein Haltepunkt an der Berlin-Görlitzer Eisenbahn, Johannisthal-Neuer Krug, nach Südosten verlegt, zum Bahnhof umgebaut und in Johannisthal-Niederschöneweide umbenannt. 1884 erhielt der Ort der Titel „Bad Johannisthal“.
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In Johannisthal stand die Wiege des deutschen Motorflugs: Hier, zwischen den Gemarkungen Johannisthal und Adlershof, eröffnete 1909 der erste Motorflugplatz Deutschlands. Hier erwarb die als Melli Beese berühmt gewordene Amelie Hedwig Boutard-Beese als erste deutsche Frau den Privatpilotenschein. Hier erbauten die Albertross-Flugwerke Fluggeräte. Und hier erhoben sich Robert Thelen und die mutigen Flugpioniere am 11. Juni 1911 zum ersten „Deutschen Rundflug um den B.Z.-Preis“ in die Lüfte.
Nach dem Ende des 1. Weltkrieges verbot der Versailler Vertrag Deutschland nicht nur die militärische Luftfahrt, sondern auch die Flugzeugproduktion. Hersteller wie Junkers, Fokker und Dornier verlagerten ihre Produktion in andere Länder. Dr. Walther Huth aber, der Besitzer der Albatros-Flugzeugwerke am Flugplatz Johannisthal, machte aus der Johannistaler Flugzeug- eine Traumfabrik und gründete am 20. Januar 1920 die Jofa. Er ließ die ehemaligen Werkshallen umbauen, und so verwandelte sich das Gelände für einige Zeit in das „größte Filmatelier der Welt“.
Als Aufnahme-Atelier dienten zwei feuerfest glasverdachte Hallen mit einer Nutzfläche von 137 mal 21 Metern. Sie waren durch große eiserne Schiebetore verbunden und mit verstellbarer Sperrholzwänden in drei Ateliers von je 45 mal 21 Metern aufgeteilt. In zehn Metern Höhe führte eine Arbeitsgalerie durch die ganze Halle. Außerdem lief durch alle Ateliers ein Eisenbahngleis, so dass ein Eisenbahnzug bequem direkt in die Halle hineinfahren konnte.
Der erste Jofa-Stummfilm „Verkommen“ wurde Ende Mai 1920 gedreht. Es folgte ein Zirkusdrama: „Sturz in die Flammen“. Durch die Studios flitzten die Indianer der ersten Karl-May-Filme. Und auch die großen Kinostars: Asta Nielsen starb in der Rolle des Hamlet als Opfer von Intrigen und Max Schreck geisterte stummgespenstisch als „Nosferatu“ durch die Johannisthaler Ateliers.
Auch gesellschaftskritische Streifen wie „Mutter Krausens Fahrt ins Glück“ nach der Vorlage von Heinrich Zille entstanden. Dieser Film war 1929 gleichzeitig der letzte Stummfilm, der in Johannistal in den Kasten lief. Mit Hans Albers in „Die Nacht gehört uns“ ging es nahtlos mit dem ersten Tonfilm weiter.
Und weiter gaben sich die großen Stars die Klinke in die Hand: Ernst Busch drehte in Johannistal Innenaufnahmen für „Kuhle Wampe oder Wem gehört die Welt?“. In „Ein Lied geht um die Welt“ sang der Tenor und Schallplattenstar Joseph Schmidt noch einmal für sein deutsches Publikum – und verließ in der Nacht nach der Premiere, am 9. Mai 1933, das Land der Nationalsozialisten und das aufziehende „Dritte Reich“, das ihm als orthodoxen Juden an Gut und Leben wollte.
NS-Propaganda aus Johannisthal
Viele sind ihm gefolgt, viele blieben, hofiert vom Reichspropagandaminister Goebbels. Inzwischen hatte die Tonbild-Syndikat AG Tobis die Anlagen der Jofa übernommen. Die nun zweitgrößte Filmproduktionsstätte Deutschlands wurde, wie die Ufa-Filmstadt Babelsberg, verstaatlicht. Dem Ruf des Films und des Ministers folgten nach Johannisthal: Emil Jannings und Heinrich George, Harry Piel und Luis Trenker, Leni Riefenstahl und Magda Schneider, Lilian Harvey und Willy Fritsch, Johannes Heesters, Paul Hörbiger und Theo Lingen.
Hier arbeiteten sie mit den ersten Produzenten, Drehbuchschreibern, Komponisten, Kameramännern, Spielleitern der Zeit – mit jenen, die nicht vor Hitlers Rassenpolitik und Judenverfolgung fliehen mussten. Denn der deutsche Film durfte nur von Deutschen gemacht werden. Und so glich man Film und Kunst dem Gusto des Propagandamisters Goebbels an und drehte in Johannisthal denn auch Propagandafilme; die Braunhemden marschierten beispielsweise im Horst- Wessel-Film „Hans Westmar“.
Von 1933 bis 1945 wurden nahezu 300 Filme in Johannisthal produziert, kamen auf die Leinwände der deutschen und internationalen Kinos, darunter zum Beispiel „Der Hauptmann von Köpenick“ nach einem Drehbuch von Carl Zuckmayer oder „Der große König“ in der Regie von Veit Harlan und mit Otto Gebühr als Friedrich dem Großen. Auch die deutsche Verfilmung „Titanic“ entstand in Johannisthal. Für die Aufnahmen vom Schiffsuntergang wurde extra ein spezielles Wasserbecken angefertigt.
Heinz Rühmann machte den „Allotria“ und mimte den „Mustergatten“. Der „Staatsschauspieler“ Gustaf Gründgens, damaliger Intendant des Staatlichen Schauspielhauses Berlin und unvergleichlicher „Mefisto“, brillierte vor der Kamera im „Tanz auf dem Vulkan“. Hoch her ging es in „Es leuchten die Sterne“, einem Lustspiel zur Glitzerwelt aus Zelluloid mit großem Staraufgebot, das Einblicke gab in den Jofa-Alltag hinter den Kulissen und auch in die dunklen Seiten des Filmgeschäfts.
In den Kriegsjahren entstanden vorwiegend Komödien oder Liebesfilme, oft auch in Revueform mit Musik und Gesang; politische Inhalte oder gar Hinweise auf die gerade tobenden Kämpfe vermied man.
Die DEFA in Johannisthal
Als Berlin befreit wurde, blieben die Johannistaler Filmateliers weitgehend verschont und die meisten technischen Anlagen nach dem Zweiten Weltkrieg noch funktionstüchtig. Die DEFA übernahm das Areal, und als erster Johannisthaler Nachkriegsfilm entstand 1946 „Irgendwo in Berlin“ von Gerhard Lamprecht. Es folgte die „Ehe im Schatten“, jener Film, der mit dem ersten „Bambi“ als bester deutscher Film ausgezeichnet wurde. „Sie nannten ihn Amigo“ wurde 1959 in Johannisthal gedreht und im Jahr darauf „Das Leben beginnt“ von Heiner Carow. In den Jahren 1946 bis 1961 entstanden in Johannisthal 46 DEFA-Filme.
Noch vor den ersten Dreharbeiten wurden auf dem ehemaligen Jofa-Gelände noch unter dem Firmennamen Tobis-Filmkunst GmbH sowjetische Spielfilme synchronisiert, darunter direkt nach Kriegsende im Juni 1945 Sergei Eisensteins „Iwan der Schreckliche“. Der damals in der Nähe wohnende Gregor Gysi berichtete, einmal als Sprecher auf der Besetzungsliste für eine Filmproduktion gestanden zu haben:
„Eines Tages kamen Mitarbeiter des DEFA-Synchronstudios an unsere Schule. Wir mussten was vorsprechen, und einige wurden als Synchronsprecher ausgewählt. Da habe ich als Zehnjähriger richtige Gage bekommen.“
„Die wurde nach jedem Einsatz bar an uns ausgezahlt. Erst als die Betreuer bemerkten, dass ich mich nach den Aufnahmen mit einer Taxe nach Hause chauffieren ließ, wurde das Geld künftig meiner Mutter gegeben.“
Auch Agitprop – politische Werbung aus Agitation und Propaganda – kam von Johannistal aus in die „sowjetzonalen“ Kinos, z. B. das Filmlustspiel „Wolga, Wolga“ und das Kriegsdrama „Stalingrad“. Und in die Kinderzimmer trat „Die schöne Wassilissa“ – ein bezaubernder Märchenfilm im Verleih der deutschen Sovexportfilm.
Drehbeginn für den letzten Johannisthaler DEFA-Spielfilm „Das verhexte Fischerdorf “ war im August 1961. Dann verabschiedete sich die DEFA aus Johannisthal – und die Studios wurden vom Deutschen Fernsehfunk – dem späteren Fernsehen der DDR – übernommen. Das alte Gelände wurde ab 1969 für das Farbfernsehen modernisiert, die Produktion und Gestaltung mit neuen Gebäuden, Elektronik und MAZ-Technik erweitert. Es entstanden nun Fernsehfilme für den „Polizeiruf 110“, aber auch „Wege übers Land“ und 1978 das Ehedrama „Geschlossene Gesellschaft“.
Sendeschluss für den Deutschen Fernsehfunk
Mit der Abblende der DDR wurden auch die Filmbetriebe in Johannisthal langsam abgeschaltet, wurden mehr als 70 Jahre Filmgeschichte auf den Abspann gesetzt. Im Einigungsvertrag zum Beitritt der Deutschen Demokratischen Republik zur Bundesrepublik Deutschland wurden die ansässigen Betriebe in Johannisthal als „Einrichtung“ bezeichnet, die samt Personal „abgewickelt“ wurden. Im Klartext hieß das: Die Mitarbeiter des Deutschen Fernsehfunks und der Studiotechnik Fernsehen der Deutschen Post wurden entlassen.
Anfang der 90er Jahre kamen Gelände, Gebäude und Inventar in den Besitz der westdeutschen Kirch-Gruppe. Man beseitigte nicht mehr benötigte Gebäude. Als Rudiment arbeitete die DEFA-Synchron GmbH weiter, wurde zur Johannisthal-Synchron – doch auch dieser Betrieb wurde 2004 liquidiert. Heute steht nur noch das einstige Verwaltungsgebäude der einstigen Filmfabrik. Rechtsanwaltskanzleien, Büros, Handwerker, Arztpraxen und ein Hotel spielen hier nun die Hauptrolle.
Einige dutzend Straßennamen – Segelfliegerdamm, Landfliegerstraße, Sportfliegerstraße und Straßen mit Namen von Pionieren der Luftfahrt, Piloten und Ingenieuren – erinnern an die Johannistaler Luftfahrtgeschichte. Dagegen ist die glanzvolle Filmgeschichte fast vollständig in Vergessenheit geraten. Man muss schon bewusst danach suchen, um das ehemalige Jofa-Gelände zu finden und die erst 2020 dort angebrachte Erinnerungstafel: in der Straße am Flugplatz 6 a.
Wolfgang May
Berlins vergessene Traumfabrik
Johannisthaler Filmgeschichten
978-3-948052-10-2
Die Mark Brandenburg Verlag für Regional und Zeitgeschichte
258 Seiten
Erscheint voraussichtlich November 2021
Leser-Nachtrag
Sehr geehrte Damen und Herren,
mit Interesse habe ich Ihren Beitrag über das Fernsehstudiogelände in Johannisthal gelesen. Da ich selbst eine nicht unerhebliche Rolle beim Aufbau dieses Studiokomplexes geleistet habe, übersende ich Ihnen hiermit einen kurzen Überblick über dieses Investitionsobjekt.
Fernsehstudiokomplex Johannisthal (Jofa)
Im Jahre 1967 erhielt das Rundfunk- und Fernsehtechnische Zentralamt der Deutschen Post in Berlin-Adlershof (RFZ) vom ZK der SED den Auftrag, bis zum 20. Jahrestag der DDR auf einem Teil des Geländes des ehemaligen Flugplatzes Johannisthal einen Produktionsstudiokomplex für das Fernsehen der DDR zu errichten, der die Produktion von Farbbeiträgen für das 2. Programm ermöglichen sollte. Das Projekt trug den Titel „Programm 2000“.
Beginnend mit der Baustelleneinrichtung wurden bei gleitender Projektierung der Bauwerke und technischen Einrichtungen zunächst Baracken und Lagermöglichkeiten geschaffen, danach eine „Malerhalle“ für die Rostschutz-Konservierung der Elemente der Stahlkonstruktionen errichtet und für die Beleuchtung der Baustelle bei Nacht (es wurde im 3-Schicht-System gearbeitet) wurden zwei Beleuchtungstürme aufgebaut.
Vorrangig umfasste das Vorhaben einen Produktionsstudiokomplex mit 2 Studios, die durch einen Mitteltrakt verbunden waren. Der Mitteltrakt beherbergte die technischen Einrichtungen für Stromversorgung und Belüftung der Studios sowie die Schalt- und Regieeinrichtungen für die Lichtsteuerung. Ton- und Bildregieeinrichtungen sowie Kameras wurden von Übertragungswagen bereit gestellt.
Die Studios selbst waren mit damals modernster Beleuchtungstechnik ausgestattet. Zum eigentlichen Studiokomplex gehörte ein Anbau, in dem sich die zentrale Schaltwarte für die Studios, Technikräume für Meßtechnik und Reparatur sowie Masken- und Umkleideräume für die Schauspieler befanden.
Zum Studiokomplex Jofa gehörten weiterhin ein Gebäude mit zwei Vorproduktionsstudios und einem Ballettsaal, der dem Fernsehballett zur Heimat wurde. Zwischen den Studios und dem Ballettsaal war jeweils ein Zwischentrakt für Umkleide-, Aufenthalts- und Büroräume angeordnet.
Für die Unterbringung der Redaktionen und der weiteren Mitarbeiter des F-DDR und der Studiotechnik Fernsehen wurden unter anderem zwei Baracken aus Ungarn importiert und von ungarischen Arbeitern aufgebaut. In den weiteren Baracken wurden später auch Teile des Beschaffungsamtes für Rundfunk und Fernsehen der Deutschen Post (BARF) untergebracht.
Zum Bauvorhaben gehörten umfangreiche Außenanlagen und Kabelkanäle, eine 6,3 kV-Trafostation, die später auf 10 kV umgestellt wurde und eine Heiztrasse von Adlershof nach Johannisthal.
Das Vorhaben wurde termingerecht fertiggestellt und mit dem Start des 2. Fernsehprogramms in Farbe am 07. 10. 1969 offiziell in Betrieb genommen.
Der Transport der Mitarbeiter zwischen den Standorten Adlershof und Johannisthal erfolgte mit Bussen des F-DDR, die nach einem regelmäßigen Fahrplan verkehrten. Auf dem gleichen Wege wurden auch die Materialien und Requisiten, die in den Adlershofer Werkstätten vorproduziert wurden, transportiert. Da sich die lange Fahrstrecke über das Adlergestell und den Sterndamm als unwirtschaftlich und unsicher erwies, folgte der Bau einer Verbindungsstraße zwischen Rudower Chaussee und Segelfliegerdamm entlang der Eltz KG und der Kleingartenanlage.
In der Folge wurden auf dem Gelände noch Lagerhallen für das Beschaffungsamt sowie die Abteilung Requisite des F-DDR errichtet. Den Abschluss fanden die Bauarbeiten auf dem Gelände mit dem Bau der Betriebsgaststätte zur Versorgung der Mitarbeiter.
Ich war von 1968 – 1969 als Investbauleiter des RFZ für die gesamte technische Ausrüstung zuständig und habe danach andere Aufgaben übernommen. Als ich im Jahre 2002 meinen ehemaligen Kollegen aus den alten Bundesländern stolz den Komplex zeigen wollte, fand ich leider nur noch eine grüne Wiese und einige neu errichtete Eigenheime vor.
Der Anblick war für mich ein Schock, zumal ich über keinerlei Fotoaufnahmen des Studiokomplexes mehr verfüge. Die Aufnahmen samt Kamera und einiger anderer Wertgegenstände wurden mir leider – einen Tag vor der Inbetriebnahme der Studios – bei einem Einbruch in mein Büro in der Bauleitungsbaracke gestohlen.
In der Hoffnung, ein wenig zur Historie beigetragen zu haben, verbleibe ich mit freundlichen Grüßen
Wolfgang Schade