Einen Tag nach dem Anschlag blinkte beim Verein NaturFreunde Deutschlands elektronische Post vom Straßen- und Grünflächenamt des Bezirks auf. Leiterin Dr. Ingrid Lehmann schrieb, dass ein Experte der Behörde aufgrund der Kappung der Wurzel "die Standsicherheit der Kastanie für akut gefährdet" halte. Die Baumkontrolle hätte zudem zum Ergebnis geführt, "dass die Kastanie von Weißfäule im fortgeschrittenen Zustand im Stammfuß befallen" sei. Das betreffe den "gesamten Querschnitt".
Knapp eine Stunde später kündigte Dr. Lehmann per E-Mail an, bereits am nächsten Tag handeln zu wollen. Ab 7 Uhr falle vor Ort die "finale Entscheidung" zur "Herstellung der Verkehrssicherheit" und nach "jetzigem Stand" müsse die "Baumkrone massiv und ohne Rücksicht auf den Habitus eingekürzt werden". Im Morgengrauen folgte dann tatsächlich das amtliche Kettensägen-Massaker und hinterlässt ein trauriges Bild. Die einst so stolze Kastanie ist jetzt bis auf den Kronenansatz herunter geschnitten. In den kommenden Wochen wird sie wohl vollständig gefällt.
Corinna Ludwig und Marianne Häußler aus Friedrichshagen ringen um Fassung. Seit Monaten kämpfen sie um den Erhalt der Kastanie, fordern vom Amt, dass hier eine Lösung gefunden wird, die diesen wichtigen und wertvollen Baum erhält. Vor ein paar Wochen haben sie zusammen mit dem Verein Naturfreunde Deutschland e.V. vor Gericht Widerspruch gegen die Fällung eingereicht und in einem Eilverfahren vorläufigen Schutz für die Kastanie erwirkt.
Ludwig: "Vom Gericht hatten wir die Nachricht erhalten, dass die Kastanie vorerst nicht gefällt werden darf." Häußler: "Jetzt wurde der Baum so kaputt gemacht, dass wir nichts mehr retten konnten." "Gefahr im Verzug"”, so die beiden Kastanien-Kämpferinnen sei ein "Totschlagargument", gegen das sie keine Chance gehabt hätten.
"Klar, wir hätten uns anketten können, aber das hätte nichts geändert. Unsere Klagechancen wurden durch die mutwillige Schädigung der Kastanie ausgehebelt und danach Tatsachen geschaffen." Ludwig ergänzt: "Derjenige, der die Kastanienwurzel durchtrennt hat, wusste genau, was er machen muss, damit der Baum nicht mehr im Weg steht. Und er wusste offensichtlich auch, dass die Baugrube kontrolliert wird, weil die Kappung sonst gar nicht aufgefallen wäre. Das wirft bei uns viele Fragen auf."
Der falsche Fällgrund hätte wahrscheinlich zu einem Erfolg vor Gericht geführt.
Die Bäume in der Bölschestraße stehen zwar unter Ensembleschutz, dennoch hatte der Ärger um sie im Februar begonnen. Damals hatten BVG und Wasserbetriebe sehr, sehr kurzfristig die Fällung von 15 Bäumen angekündigt. Begründet wurde die umstrittene Abholz-Aktion damals durch erforderliche Erneuerungen der 80 Jahre alten und bruchgefährdeten Trinkwasserleitungen sowie mit Arbeiten am Gleisbett und den Oberleitungen der Straßenbahn.
Zudem entstünden neue Radwege, denen die Bäume ebenso im Weg ständen wie den Betonfundamenten für neue Straßenbahn-Oberleitungen. Am Ende blieben von acht Bäumen nur die Stümpfe übrig.
Weitere Fällungen wurden aber durch den raschen und beherzten Einsatz der Bürger verhindert. Das Amt kündigte eine erneute Prüfung an und teilte dann mit, dass mindestens 2 Bäume doch nicht gefällt werden müssen. Für die Kastanie sollte es aber keine Lösung geben, da sie angeblich bei der Umgestaltung der neuen Haltestelle im Wege sei.
Ludwig und Häußler begannen einen intensiven Schriftwechsel mit dem Bezirksamt und der Planfeststellungsbehörde. Ludwig zeigt zwei Papiere aus dem Planfeststellungsverfahren. Das erste sei der Öffentlichkeit gezeigt worden und enthält keine Fällungen. Im zweiten, das den Bürgern angeblich nicht präsentiert wurde, ist das Abholzen eingezeichnet.
Ludwig: "Später wurde uns im Bezirksamt gesagt, sie hätten die Bäume beim ersten Entwurf vergessen." Falsch lag die Behörde in jedem Fall mit dem Fällgrund in der Genehmigung zur Fällung der Kastanie, die wegen der Leitungen weg sollte. Ludwig: "Der falsche Fällgrund hätte wahrscheinlich zu einem Erfolg vor Gericht geführt." In Wirklichkeit sollte die Kastanie der geplanten Tram-Haltestelle und einer Verlegung des Fußgängerüberweges weichen.
Vom Bezirksamt erhielten Ludwig und Häußler die Aussage, dass auch durch Änderungen an der bestehenden Planung keine Lösung zum Erhalt der Kastanie möglich sei. Dagegen sprächen sich dann ergebende Störungen des Verkehrs durch höhere Umlaufzeiten beziehungsweise gestörte Sichtbeziehungen für einbiegende Fahrzeuge. Zwei ihrer eigenen Vorschläge hätten die Beamten abgelehnt. Häußler: "Wo kein Wille ist, ist auch kein Weg. Wir haben das Gefühl, dass die bereits bestehende Planung für die Kreuzung und die Straßenbahnhaltestelle nicht mehr geändert werden sollte, um Zeit und Geld zu sparen." Jetzt stellte sich sogar heraus, dass das Amt für Denkmalschutz, dem Bezirksamt bereits im Februar das Fällen der Kastanie verboten hatte.
Häußler: "Ein 100-jähriger Baum ist ein hohes Gut, er ist so wertvoll wie 2000 junge Bäume. Die Planung hätte den Baum von vornherein berücksichtigen müssen. Die Haltestelle hätte um den Baum herum gebaut werden müssen. Wir fühlen uns nicht ernstgenommen."
Ans Aufgeben denken Ludwig und Häußler trotz des Rückschlages nicht. Allerdings: "Wir haben viel Geld für Anwalts- und Gerichtskosten ausgegeben." Eine vierstellige Summe im mittleren Bereich. Deshalb bitten sie um Spenden über dass Konto der NaturFreunde.
BIC: BFSWDE33BER
Wichtig: Verwendungszweck: Kastanie (+ Adresse, wenn Spendenbescheinigung erwünscht).
Auch die Ungereimtheiten um die Gründe der Fällgenehmigung wollen Ludwig und Häußler weiter verfolgen und um Ersatz- und Nachpflanzungen an den Fällstandorten kämpfen. Auch dem Baum-Killer würden sie natürlich am liebsten den Ast absägen, auf dem er sich versteckt. Deshalb starteten Häußler und Ludwig einen Zeugenaufruf. Melden sollen sich Bürger, die am 27. September (oder vorher) etwas Verdächtiges an der Kastanie beobachtet haben. Kontakt-Telefon: 0157-84662632. Auch das Bezirksamt wurde aktiv. Es stellte Strafanzeige gegen Unbekannt.
E-Mail-Kontakt: kastanie@sofortstart.de