Mit Svend Simdorn müssen Sie rechnen!

Der Stadtrat lässt die Zahlen tanzen
Danke, Herr Simdorn! Danke, danke, danke! Man kann es nicht oft genug sagen! Wir haben Ihnen, Herr Simdorn, der Sie Kulturstadtrat von Treptow-Köpenick sind, eine vorgezogene Weihnachtsfeier mit großartiger Rechenakrobatik-Show zu verdanken, für uns war es das schönste Fest des Jahres. Aber der Reihe nach: Wir haben auf Umwegen erfahren, dass Sie uns – das Maulbeerblatt – mit der größten Tageszeitung Deutschlands verglichen haben, ja genau, mit der, die immer die großen Bilder und die großen Buchstaben hat. Wir standen da, voll Staunen, mit offenem Mund: Wie kommen wir zu der Ehre? Aber ja, fiel uns ein, da war doch mal dieser exzellent recherchierte Artikel über die Treptow-Köpenicker Joseph-Schmidt-Musikschule! Der muss Sie zu diesem Vergleich bewogen haben! Anders kann es gar nicht sein! Mensch, das kleine Maulbeerblatt … und das Flaggschiff des Boulevardjournalismus auf Augenhöhe … wir waren so besoffen vor Glück, da haben wir – der Chef, ein halber Mitarbeiter und ich, der Autor dieser Zeilen – uns erst mal ein Gläschen gegönnt. Okay, wir erreichen nicht ganz so viele Leser. Wir verbreiten unsere Lügen nur monatlich und bekommen in unserem niedlichen Format nicht diese großen Buchstaben unter! Geschenkt, Herr Simdorn! Selbst dass Sie unsere Interviewanfrage im letzten Moment von Ihrer Sekretärin absagen lassen! Wegen eines Artikels? Aber geschenkt! Wenn wir uns vorstellen, Sie würden mit den Journalisten von der großen Zeitung so umgehen … Darauf haben wir zum zweiten Mal angestoßen. Wir wurden nachdenklich, haben überlegt, was wir Kleinen mit den Großen gemeinsam haben. Ja, die Großen sind immer die ersten, die über alles informiert sind. Die maßen sich an, Moralinstanz zu sein. Die sind gefürchtet. Und während wir uns das vor Augen führten, voller Stolz, haben wir genickt und uns gesagt, ja, der Herr Simdorn … und als die Feier nach dem dritten Gläschen allmählich ausuferte, beschäftigte uns, was für eine Art Kulturmensch Sie so sind, und wie Sie es mit der Kultur eigentlich halten. Sind Sie ein Musikus? Ein bibliophiler Typ, der Bücherwurm? Oder museal veranlagt? Ehrlich gesagt, wir wissen es immer noch nicht, wir wollten Sie danach fragen, aber Sie erinnern sich: Sie haben es gar nicht so weit kommen lassen, Ihnen irgendwelche Fragen zu stellen!
Darauf haben wir zum zweiten Mal angestoßen.
Also haben wir uns voll Feuereifer auf die Recherche gestürzt. Und sind fündig geworden. In virtueller Form flatterte uns jenes Strategiepapier in die Hände, das Sie Ende Oktober im Kulturausschuss vorgestellt haben. Sie wissen schon, um den Leuten, die auch am Tisch saßen – alles Kommunalpolitiker – zu erklären, wie es mit der Joseph-Schmidt-Musikschule weitergehen solle. Denn diese Musikschule war einmal etwas ganz Besonderes, ein Aushängeschild für ganz Treptow- Köpenick, und dann … aber dazu kommen wir gleich. Was uns nämlich den Atem geraubt hat, gleich beim ersten flüchtigen Durchblättern jenes Strategiepapiers: Dass Sie selbst ein Künstler sind, ein Rechenkünstler, der die Beträge mit einem Geschick an die richtige Stelle zu setzen weiß, dass dem Zuschauer und Mitrechner ganz schwindlig wird. Und wie Sie es schaffen, aus weniger mehr zu machen … Trotzdem müssen wir nochmal auf die Musikschule zurückkommen. Wir wollen zwar nicht an alte Wunden rühren, nicht in der Weihnachtszeit, wo Sie doch, Herr Simdorn, uns so eine schöne Feier beschert haben. Aber erinnern Sie sich an die schlimmen Jahre 2011 und 2012, als die Musikschule ganz schön heruntergewirtschaftet war, das Aushängeschild, das Prunkstück! Im Vergleich zu dem, was eine Berliner Musikschule schaffen sollte, fanden wir, hat die in Treptow-Köpenick kein Ergebnis gehabt, das man sich auf die Fahnen schreiben könnte. Wer trägt schon gerne die rote Laterne? Nehmen wir das düstere Jahr 2012, da haben – alle Zahlen ein bisschen gerundet – 2 500 Schüler von Januar bis August über 41.700 Unterrichtsstunden bekommen. So weit, so gut. Aber unterm Strich ein dickes Minus: 100.000 Euro fehlten. Also haben Sie, Herr Simdorn, gesagt, jetzt müssen wir sparen, im nächsten Jahr geben wir für die Lehrer weniger Geld aus. Wir behalten von den Honoraren 53.000 Euro für die Bezirkskasse. Und wie lautet das Ergebnis für das Jahr 2013? Ihr großer Auftritt! Auf einmal ist das Minus halbiert! Da haben, auch von Januar bis August, mehr Schüler (2.800) für weniger Geld (53.000 Euro Ersparnis) fast genau so viel Unterricht erhalten (41.700 Stunden). Der Rechenkünstler verbeugt sich, erster zögerlicher Applaus. Was bei dem Spektakel untergegangen ist: Wir hätten ja für 2014 abermals 50.000 Euro gespart, um das Minus ganz verschwinden lassen. Stattdessen haben Sie das Gegenteil gemacht: Haben erst im September dem Honorartopf die Sparsumme wieder zugeführt. Läuft man da nicht Gefahr, erneut mehr Minus zu erwirtschaften? Doch, gut, Sie sind der Künstler, Herr Simdorn! Und wenn Sie sich erst warmgerechnet haben, gibt’s kein Halten mehr. Wie gesagt, aus weniger wird mehr.
Was uns nämlich den Atem geraubt hat, dass Sie selbst ein Künstler sind – ein Rechenkünstler.
So auch bei den Veranstaltungen der Musikschule, die ja Geld einbringen. Im Jahr 2013 – wieder bis August, also in den ersten 243 Tagen – liefen schon 331 Veranstaltungen. Szenenapplaus brandet auf! Jeden Tag ein und sogar noch mehr Konzerte? Wie kann das sein? Haben wir etwas verpasst? Haben wir jetzt für weniger Geld auch schon mehr Tage? Aber im Ernst, da muss was los sein in der Musikschule! Warum steht’s um die eigentlich so schlecht, Herr Simdorn? Wahrscheinlich, dachten wir uns, weil die Lehrer vor lauter Veranstaltungen gar nicht zum Unterrichten kommen. Aber immerhin: Das Ganze brachte ansehnliche 20.000 Euro ein. Grund genug für uns, eine weitere Flasche zu öffnen. Darüber ging das große Finale ein wenig in Nebel über. Wo nämlich in einem Jahr mit 54 neuen Schülern und einer geringfügigen Erhöhung der Unterrichtsgebühren – 80 Cent pro Monat – also wo da bei bereits bestehenden Verträgen 52.000 Euro und gut 2.100 Unterrichtsstunden zusätzlich herkommen. Aber macht nichts. Der Applaus war ohrenbetäubend. Wir sind schon gespannt aufs nächste Jahr und die Daumen, dass Sie die Jonglage mit schwarzen Zahlen dann perfekt beherrschen! Einen Tag später waren wir froh, dass Sie nicht mit Flaschen und Gläsern gerechnet haben. Mehr hätten wir nicht verkraftet, wir hatten genug Kopfschmerzen, ob vom Trinken oder Rechnen – keine Ahnung. Mit klarem Kopf ist uns aufgefallen, dass Musikschulleiterin Dr. Catrin Goksch mit diesem Strategiepapier ihr Debüt in Zahlenakrobatik gegeben hat. Sehr talentiert, wirklich! Ein phänomenales Skript für Ihre Show, Herr Simdorn! Diesen Part hatte ja sich bislang die Spitze des Kulturamts vorbehalten, war sonst nicht immer die Leiterin Annette Indetzki höchstpersönlich für den Zahlensalat zuständig? Doch nun ist wohl ein neuer Star geboren … Wir freuen uns jedenfalls schon auf die nächste Vorstellung, die noch in diesem Jahr steigen soll. Titel: das Entwicklungskonzept der Bibliotheken. Und wir sind zuversichtlich, dass mit zwei vollen und zwei halben Stellen alle drei Museen im Bezirk erhalten bleiben. Herr Simdorn, enttäuschen Sie Ihre Fans nicht!  
Chronologie und AkteureBezirksstadtrat Svend Simdorn Der Oberverantwortliche für die Abteilung Weiterbildung, Schule, Kultur und Sport Frau Indetzki Leiterin des Amtes für Weiterbildung und Kultur Frau Dr. Gocksch Musikschulleiterin Was bisher geschah …. März 2012: lt. BVV-Beschluss soll die Musikschul- Zweigstelle in Köpenick zum 01.01.2013 geschlossen werden; aus Sicht des Stadtrates eine alternativlose Lösung; als Begründung werden die hohen Gebäudekosten und das sich daraus ergebende Einsparpotenzial angegeben. Sommer 2012: Das Konzept von Frau Indetzki zur Umsetzung dieses Beschlusses sieht vor, für den Musikschulunterricht Räume an Schulen zu nutzen. Dezember 2012: Erkenntnis, dass dieses Konzept nicht aufgeht, weil die Schulen die benötigten, musikschulgerecht ausgestatteten Räume nicht zur Verfügung stellen können und die Kosten kaum sinken würden. Januar/ Februar 2013: Vorschlag des Bezirksamtes, künftig u.a. die Freiheit 15 als Musikschulstandort zu nutzen – entsprechende Vereinbarung am Runden Tisch und neuer Standortbeschluss der BVV zu den künftigen Musikschulstandorten; Unterrichtsräume sind so gesichert – aber die Kosten steigen. August 2013: Beginn des musikschulgerechten Umund Ausbaus der Freiheit 15 bei gleichzeitiger Offenhaltung der Musikschul-Zweigstelle in der Friedrichshagener Straße bis zur Fertigstellung. Oktober 2013: Vorstellung eines neuen Strategiekonzeptes für die kommenden Jahre, wonach keinerlei Sparmaßnahmen in der Musikschule mehr notwendig sind. Alle finanziellen und wirtschaftlichen Probleme sind vom Tisch. ACHTUNG! Ab sofort nimmt die Musikschule wieder verstärkt Anmeldungen entgegen – u.a. im Fach Klavier, für Streich- und Blasinstrumente! Anmeldevordrucke und Ansprechpartner finden sich auf: www.berlin.de/ba-treptow-koepenick/musikschule/

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