Nachdem ich beim Aufsichtsrat der deutschen Bank abgewiesen wurde (hätte ich sowieso nicht lange durchgehalten, mit den ganzen steifen Typen(innen), kamen für mich noch Lokführer, Pilot und Oberarzt in Frage. Nur wollte mir in meinem zarten Alter von 40 Jahren keiner mehr die Ausbildung bezahlen.
Daher also der Entschluss: Droschkenkutscher. Bei Wind und Wetter auf´m Bock durch die neblige Unterwelt Berlin, wie einst Watson und Holmes im London des Jack the Ripper. Eine idyllische Vorstellung von einer rosigen Zukunft.
Ich höre mich also erst mal bei gestandenen Berliner Taxifahrern um. Alle raten mir ab.
„Da kannste nüscht verdienen und die Prüfung schafft doch kein Mensch.“
und ähnliche Aussagen kommen mir zu Ohren, gesprochen von Männern, die alle samt entspannt an der Halte im Big Daimler sitzend lange Zigaretten rauchen und dabei mit einem Auge in der Praline schmöckern.
Na, wie Straßenpenner, die keinen Sechser in Tasche haben sehen die alle nicht aus und so eine Hunderter Marlboro mit deutscher Steuermarke mußte Dir auch erst mal leisten können.
Die Herrschaften, die ich so kenne, die rauchen immer nur selbst gestopfte oder Camel von Jin Ling aus Hanoi, was die Hauptstadt von Polen ist.
Tolle Aussichten
Weil der Herr im Himmel das Internet erfunden hat, schau ich dort gleich mal nach, was so eine Taxifahrererlaubnis wohl kosten mag. Eine Fülle schlecht organisierter Websites zum Thema sind dort zu finden. Ganz Oldschool nehme ich den Hörer zur Hand und kämpfe mich telefonierend durch den Asphalt Berliner Taxiunternehmen.
Viele Absagen, Beleidigungen und Unterstellungen. Warum annoncieren die alle, dass sie Taxifahrer ausbilden würden? Endlich treffe ich auf ein offenes Ohr, ein kleines Unternehmen in Berlin F-Hain bietet für 1.500 Schlappen die Ausbildung zum Taxifahrer an.
Tolle Aussichten. Ich begebe mich zum Infoabend in ein schön verraucht vergilbtes Büro. Da waren sie wieder: die hunderter Marlboro. An der Wand hängen Zeitungen aus dem letzten großen Krieg. Konrad Zuses Prototyp eines Taschenrechners -Â ja damals waren Taschen so groß wie heute Kinderzimmer - steht auf dem Büromöbel und überhaupt wirkt der Laden sehr antiquarisch. Los geht’s, noch zwei weitere Neue sind da.
Der Moderator ist um die 40, kennt jede Straße Berlins und hat, ganz klar „allet schon ma jesehen“. Die Prüfung schafften eh nur 30% und 4 h täglichen Lernpensums wären Minimum, erklärt er kaffeeschlürfend. Eins, zwei und drei … vielleicht ist er es nicht und dann bin ich ja dabei.
Es geht ziemlich ohne Plan los. Von Reinickendorf nach Köpenick und bitte keine Hauptstraßen benutzen. Residenzstraße, Eichborndamm, Holzhauser und Wittestraße, mir wird schwindlig nach dem ganzen links, rechts, links und rechts aus dem Kreisverkehr. Wie soll es erst dem volltrunkenen Fahrgast Sonntag morgens um früh 6 ergehen? Kotztüte gratis? Nach der 3. verkackten Prüfung reicht es mir.
„Waren doch aber keine so schweren Fragen...“
sagt der Herr Moderator hämisch, er mag wohl keine arbeitslosen Zecken mit Zopf. Na, mir hat´s gereicht.
Dr. Chef versteht
Einer der zwei von uns drei Neuen in der Runde der P-Schein Anwärter (Nr. 3 hat schon aufgeben) ruft mich an. Er hatte reichlich vor mir den Haken dicht. „Ick bin jetzt bei einer Bude in Schöneweide, hier is entspannter. Mußte mal vorbeikomm.“ Mach ich auch und stehe zwei Tage später bei denen auf der Matte.
Ein freundlicher Typ Oberarzt Marke Schmerzwaldklinik mit grauem Kurzhaarschnitt und in Jeans statt Kittel empfängt mich, reicht mir die Hand zum Gruß. Ich ahne noch nicht, dass ich dabei bin, den Pakt mit dem Teufel zu schließen „...kann ich Dir helfen?“ „Guten Tach, ich such den Chef“ „Na Glückwunsch, Du hast Ihn gefunden“ sagt der freundliche Herr zu mir. „Laß uns einen Kaffee trinken und ein wenig plaudern.“
Beim Gespräch checkt er meinen Wissensstand. Ich erzähle ihm von den verhauenen Prüfungen. „Dran bleiben, Weitermachen. Wenn Du die Prüfung nicht geschafft hast, meldest Du Dich zur nächsten an. Weiterlernen. Weitermachen. Du bist nicht der Erste mit diesem Problem. Die Prüfung ist nun mal sauschwer, aber wenn Du es dann geschafft hast, wirst Du genau darüber froh sein...“Â
Ich fühle mich von Dr. Chef verstanden und werde erst Jahre später zu verstehen beginnen, dass ich damals, was in diesem Text ja heute ist, rein gar nichts verstehe, bzw. verstanden hatte.
Dann bekomme ich die Schulungsunterlagen. Berlin nach Script, Berlin gegliedert in Norden, Süden, Osten und Westen, Berlin nach System. Einen Spezialatlas, mit allen Details, die man für die Prüfung braucht. Ich bin überrascht. So geht das also. Der Schulungsleiter selbst hat die Dinger entwickelt. Auch er kennt jede Straße in Berlin.
Und jede Currywurstbude. Darüber referiert er dann in den Pausen. Glaubte man ihm, so müßte er drei bis vier Tonnen wiegen. Er ist ein arroganter Arsch, aber sein Lob ist der Ritterschlag.
Ich erlange in sehr kurzer Zeit sehr großen Überblick. Das schafft mir Selbstvertrauen für kommende zehn bis zwölf Prüfungen. Die nächste schaffe ich nicht. „Ja, die Prüfer haben doch keine Ahnung...“ sagt der Trainer und hilft mir damit kein bisschen. Bei der Nächsten habe ich Glück. Endlich jubele ich, bin endlich Taxifahrer. Bin Robert de Niro:
„Are you talkin´da me?“
Ein Job für die Ewigkeit
Ich denke, ich werde wohl nie mehr arbeitslos und es schauert mich beim Gedanken daran. Was kümmert mich jetzt noch die Rente mit 67, 73 oder 85. Ich hab jetzt nen Job für die Ewigkeit und mir schwant, dass ich den so lange auch brauchen werde.
Das ist aber nicht die absehbare Zukunft und für den Augenblick bin ich ziemlich euphorisiert. Immer on the road, am Puls meiner Stadt, dieser blühenden Metropole, jeden Tag mit interessanten Menschen unterwegs und schon nach wenigen Wochen kann ich sagen.
„Ich hab sie alle jefahren. Bastian Pastewka, Friedrich Merz und Atze Brauner.“
Die meisten sind echt ganz nett. Einige Arschlöcher saßen auch schon in meiner Karre, aber die sagen einem ja schon beim Einsteigen, wann sie wieder aussteigen und die Länge der Tortour wird damit messbar.
Millionär wird man nicht beim Taxifahren. Hatte ich auch nicht erwartet. Für meine bescheidenen Verhältnisse reicht die Kohle.
Dafür habe ich das Wort Stress aus meinem Vokabular gestrichen. Endlich neben der Arbeit noch Zeit zum Schreiben, für die Familie und für den Rock´n´Roll. Und jetzt ist auch bald Weihnachten. Da rollt der Rubel, eh der Euro...
Okay, muß aufhören. Da klopft ein Fahrgast an die Scheibe. Wo will der denn hin mit seinem Tannebaum? Mann, der riecht aber schwer nach Fusel und ist dem entsprechend schwer zu verstehen. „Nach Dubai? Nee, soweit fahr ick nich... - sage ick- Aber ick kann sie ja schon mal am Fluchhafen rauslassen...“