Mensch, Romano

Der Paradiesvogel aus Köpenick geht auf Tiefgang
Erstveröffentlichung am 14.12.2022
„Berlin rechts unten, nur nen kurzer Blick. Schon hast Du das Paradies gefunden. Die Ufer voller Schlösser, exotische Gärten. Hier wachsen die süßesten Trauben, Südhang, Rotkäppchen, atemberaubend! Surfen am FKK. Es ist schon alles da! Wie ein Magnet zieht es mich zurück. Komm mit mir nach Köpenick …“
Romano nackt mit Blumenstrauß und Halskrause
Foto: Fabien Prauss

Jung und alt wollen heute Romano sehen und ihm u. a. für seine Hymne auf Köpenick danken. Noch etwas blass trifft der Paradiesvogel an einem Sonntagmorgen im Kino Union zur SonntagsLese ein. Doch als dem Spätaufsteher die Beats beim Soundcheck um die Ohren fliegen, drückt ihm diese Energie offenbar wieder das Blut in die Adern. 

Die Köpenick-Hymne und der Aufstieg vom 1. FC Union in die erste Bundesliga haben den größten und stillen, sonst wenig beleuchteten Berliner Stadtteil auf internationalem Parkett bekannt gemacht. Und in Friedrichshagen, wo Romano zur Schule ging, wachsen neben süßen Trauben seit 150 Jahren auch chinesische Maulbeeren. Hier dichteten Dichter, malten Künstler und auf dem Müggelsee gab es auch schon mal Haialarm. Als Kind lief er oft zum See und aß dort verträumt seine Streuselschnecke.

Romano ist an diesem Sonntagvormittag anfangs aufgeregt. Ein Gespräch. Live. Ungeschnitten. Das bedeutet: Mut. Vertrauen. Und viel Verantwortung. Da muss alles sitzen, jeder Gedanke gereift oder eine Frage sein. Denn alle lauschen andächtig. In seiner Heimat, in der er verwurzelt ist, vor Familie, Freunden, Fans.

 

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Mit dem Song „Karl May“ hat er sich einen Kindheitstraum erfüllt. Das Lied sei gemeinsam mit Maschine entstanden, erzählt er. Er sei mit den Puhdys aufgewachsen und im Song singt er, dass er nicht so oft in der Schule war, denn sie war so weit weg von der Natur. Später im Gespräch erinnert sich der Rapper auch daran, dass der Stuhl in der Schule viel zu eng war. Über diese prägende Zeit redet er an diesem Morgen viel – über den Geschichtslehrer, die Musiklehrerin, Gedichte. Im Gespräch erinnert er auch an seinen verstorbenen Vater. Der pflegte in Adlershof das Waffen-Arsenal des DDR-Fernsehens und entführte den kleinen Roman und heutigen Liebhaber der deutschen Sprache in die Welt der Literatur.

Doch wer wünscht sich auf den Partys im Kino Union eigentlich Romano-Songs? „Na, wahrscheinlich Romano!“, sagt der Kosmopolit selbstironisch. „Man wird ja durchaus selbstherrlich und hängt Bilder von sich an die Wand.“ Schließlich will der Künstler wissen, was auf der Tanzfläche bei den Partygästen wirklich ankommt. Die 1,3 Millionen YouTube-Klicks für seinen Song „Mutti“ sind dagegen nur abstrakte Zahlen.

„Es ist ein bisschen wie im BWL-Studium, wo nur noch Zahlen und Kurven abgegeben werden,und dann gibt es noch Leute, die dich beraten und dir sagen, wie du etwas machen sollst.“ Da verliere man den persönlichen Bezug. „Natürlich liebe ich auch große Festivals und deren Atmosphäre, doch besonders in den kleinen Clubs entsteht oft eine tolle, krasse Energie. Einmal habe ich in einem Münchner Club vor 120 Leuten gespielt. Am Ende waren es 200, ich konnte nicht mal das Merchandise aufbauen, die Leute standen auch auf der Bar. Irgendwann kam ein Goliath von Mann auf die Bühne und stampfte und stampfte.“ Hinterher habe Romano erfahren, dass es ein Metaller war, der sonst niemals tanzt.

„Für mich war das wie ein Ritterschlag.“
 

Eine soziale Erfahrung ganz anderer Art macht der Köpenicker im Zivildienst. Während die Krankenschwestern ihren täglichen Dienst taten und wenig Zeit hatten, sich emotional auf die Patienten einzulassen, hörte er sich oft die Schicksale der Menschen an. Das Zuhören darf nicht verloren gehen. „Ich finde ein soziales Jahr wichtig für die Gesellschaft. Dass nicht jeder so vor sich hin dröselt. Danach kann man ja immer noch sagen, das ist nix für mich – oder: Ich werde Krankenpfleger.“

Der Kosmopolit aus Köpenick plädiert für ein verständnisvolleres Miteinander: „Täglich fünf Minuten irgendeinen Menschen ansprechen.“ Natürlich koste das erst einmal Überwindung. Das wäre doch interessant, es ergäben sich vielleicht ganz spannende Begegnungen und der andere ist gar nicht so, wie man ihn sich vorgestellt hat, ein lieber Mensch oder doch ein eher ein fieser Typ. „In meinem Song „Anwalt“ geht es ja auch darum, dass ich sofort meinen Anwalt anrufe, wenn etwas passiert, wenn mir z. B. jemand auf den Fuß tritt. Die Frage ist doch, ob man das nicht einfacher klären kann, indem man aufeinander zugeht.“ Denn man mache ja die Probleme so nur größer.

Im alten Ballsaal mit dem schön geschwungenen Goldbalkon entpuppt sich der Barock-Bewunderer vollends als Feingeist, belesen, empathisch, witzig. Und reflektiert auch: „Es gibt Menschen, die essen Rohkost und fahren gleichzeitig SUV, Geländewagen in der Stadt.“ Mit einem Sherp, einer Mischung aus Gelände-Offroad, Panzer und Amphi-Monster ohne Lenkrad gräbt der Künstler in seinem aktuellen Video „Schrei der Wildnis“ tiefe Spuren in die italienische Pampa. „Wenn der Adler kreischt und die Wölfe heulen, … teile mir den Lebensraum mit meinem Freund, dem Baum.“

Romano erinnert uns auf seine Weise daran, dass wir Teil der Natur sind, in einer Zeit, in der viele Menschen von ihrer eigenen Natur sehr weit entfernt sind. Authentisch ist er, jeder kleine Schmetterling beflügelt seine Fantasie und er verbreitet positive Energie, wo er geht, singt und spricht. „Ich bin ein Sucher“, sagt der Mann mit den vielen Pseudonymen. Und ein Finder. Denn nur, wer nach etwas Bestimmtem sucht, kann genau das finden.

In den zwei Stunden am Sonntagmorgen: Lachen, Staunen, Insichgehen und im Fotoalbum auf der Kinoleinwand blättern. Dabei zeigt der Meister der künstlerischen Überhöhung unerwartet viel Nähe und wie viele Grauwerte doch so zwischen Schwarz und Weiß liegen können.

Die anfängliche Aufregung ist auf der Bühne inzwischen einer großen Offenheit gewichen. Man erlebt live, wie komplex der Lebenskünstler mit der endlosen Spielfreude in Text, Ton, Kostüm, Bild, Film und Leben Natur, Menschen, Welten, Momente, Wege, Inhalte sieht. Dass es im Leben um das richtige Timing geht. Und man alles mit Bewusstsein tun sollte. Im Gespräch geht es oft ums Tun. Einfach ausprobieren, was Spaß macht. Spielen. Doch viele Mitmenschen seien leider permanent in einem ganz anderen Modus: Kinder, materieller Erfolg, Leistungsdruck. Reizüberflutung. Ihm helfe Meditation. Oder die Beschränkung auf das Wesentliche: Worum geht es im Leben?

Zum Schluss rappt „der schöne General“, der nach seinem Anwalt ruft, mit zwei Zugaben druckvoll durch die Kinosesselreihen. Mittlerweile ist es Sonntag Mittag. Manches Tanzbein zappelt, doch zum Glück fällt niemand vom Stuhl.

„Tolle Show“, sagt einer der Gäste. Ein Besucher aus Montpellier fand es sehr emotional und ein Freund aus Kasachstan schenkt Blumen. Von der Moderatorin bekommt Großstadt-Indianer Romano den DEFA-Film „Weiße Wölfe“ mit Gojko Mitić. Danach gibt es Rotkäppchen-Sekt und getürkte Dollarnoten mit Autogramm flattern durchs Kino. „Es war geil“, schreibt Romano ins Gästebuch. Na dann bis zum nächsten Mal, gleiche Stelle, noch mehr Welle:

„Scheiß auf den Lack, ich bin verliebt. Mein Herz rast vor Glück, komm mit mir nach Köpenick. Komm Komm Komm Komm Komm Komm mit mir nach Köpenick! …Es ist nur 'n kleiner Schritt zum großen Glück. Komm Komm Komm Komm Komm Komm mit mir nach Köpenick. Es ist nur 'n kleiner Schritt. Zum großen GlückEs ist nur 'n kleiner Schritt. Zum großen Glück


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