Bezwingbar

Die Köpenicker Bahnhofstraße Es ist geschafft, der Tag ist gekommen und nun wird es sein. Was ich in jahrelanger, effizienter Vorbereitung plante, wird nun endlich in die Tat umgesetzt. Ich bin es schuldig, meinem inbrünstig verehrten Herrn Chefredakteur, der mir mitteilte, dass es bei der Sache auch um die Bewältigung eines seiner Kindheitstraumata geht, sowie dem wohl verehrten Maulbeerblatt-Leser, der es selbst nicht fertig brachte in den letzten 15 Jahren. Nun ist es endlich soweit, ich stehe vor meiner ganz persönlichen Eiger-Nordwand, vor Köpenicks unüberwindbarem Grenzpfad, am Kehraus unseres immergrünen Bezirks. Ich stehe vor der – Bahnhofstraße. Ich parke meinen herrlich verwohnten Schrotthaufen am Generalshof, stopfe mir Weatherreport in die Hörtrichter und beginne mit einem Abstecher ins potemkinsche Mecki-Dorf. Unklar, was dem Herrn Ulbricht und seinen Saufkumpanen 73 durch den Kopf gegangen sein mag, Bierausschank im Märchenwald oder vielleicht, dass Köpenick auch seine Schwachpunkte braucht? Ich schließe die Augen, erobere die Vergangenheit zurück in die grauen Zellen. Die Luft ist gefüllt mit stahlharten Fäusten und restlos geleerten Halbliter-Gläsern mit Henkel, sie werden geworfen von drahtigen jungen Männern in Jeanskleidung mit Stielkamm in der Gesäßtasche, sie haben schlechte Tattoos und ölig gekämmte Haare in schwarz, rot und auch blond. Es riecht nach Currywurst mit Kartoffelpuffern, Apfelmost und Toast für fünf Pfennig extra. Das waren dann wohl die Köpenicker Welttestspiele. Heute gibt es nur noch wenige Buden, jedoch eine, wenn auch lächerliche Bühne für künstlerische Darbietungen. Ein Funke Hoffnung besteht, dass der einstige Charme des hier dominierenden Proletariats wiederkommt. Deutlich wird aber, dass jenes heute auch ein anderes Gesicht, und vor allen Dingen andere Klamotten, trägt. Nach einem Ausblick aufs Wasser, den zwei Best- Sabel-Studentinnen photographisch festhalten, geht es weiter gen Norden. Der Wind peitscht den Regen übers Pflaster, ich beuge den Oberkörper nach vorn und kämpfe mich vor gegen Tristesse und klimatische Unbillen bis zur Seelenbinder. Ich passiere einen Laden für Berufsbekleidung, frage mich, wer den noch braucht in Köpenick, und eine Vielzahl von Friseurgeschäften, es müssen um die 200 sein. Wollen die mir ein schlechtes Gewissen machen wegen meiner urwüchsigen Frisur oder lohnt sich diese Art Geschäft hier in besonderem Maße wegen der Nähe zur NPD-Zentrale? Endlich taucht im Nebel die Silhouette des Köpenicker Konsumtempels auf. Ich haste vorbei an Maulbeermanns alter Kaufhalle, die noch steht wie damals, als sie ihn an den Rand der Legalität führte, als es galt, das Wenige, das zum Konsum bereit stand, politisch motiviert ohne liquide Mittel an sich zu nehmen, um die damaligen Herrscher im konsumorientierten Guerillia-Kampf zu besiegen. Klauen – für die Freiheit. Am Bahnhof wechsele ich bei grüner Ampel über den Damm und trete via automatischer Drehtür in den aufdringlichen Duft der Douglas-Parfümerie. Hier treffe ich auf Angelina Jolie. Wir plaudern legere bei einem Espresso in der Lobby, sie sagt, Brad wäre gerade unterwegs und ob wir noch in ihrem Hotelzimmer das Dinner nähmen. Ich lehne dankend ab, da ich noch 2-3 Artikel schreiben muss. Ja, danke, das war ich euch schuldig.

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