„Ich schäme mich für mich selbst.“ Nach dem Interview mit Marie Riederer kreiste mir immer wieder dieser Gedanke durch den Kopf. Marie (sie hat mir das Du angeboten) ist zwei Monate älter als ich und Europa- und Weltmeisterin. Wo steh‘ ich jetzt? Was bin ich? Was mache ich? Ich schäme mich immer noch.
Zum Gespräch mit Marie kamen noch Ihre Schwester Ireen und Ihr Freund Hendrik Gabel und ihr Hund Emma. Ab da war klar, dass ich eine völlig falsche Vorstellung von dem hatte, was nun kommt. Ich wollte mit der Frau reden, die in den Ring steigt. Geredet habe ich mit dem Team, welches mit Marie kämpft. Marie Riederer ist in Weißwasser geboren und begann dort schon früh mit dem Sport. Vorerst spielte sie, wie viele Nachbarn, Eishockey. Doch mit neun Jahren schon war ihr klar, dass der Erfolg in diesem Spiel immer von dem abhängt, was auch die Anderen geben. So kam sie im gleichen Alter zum Kickboxen und dann zum Boxen – und hat damit ihre Berufung gefunden. Hier zählt, was sie gibt, hier zählt ihre Leistung für den Erfolg. Fünf bis sechs mal pro Woche Training und sie war in der Mädchengruppe schon fehl am Platz. Nicht einmal zwei Jahre später waren ihre Ziele klar: „Ich steige in den Ring. Ich werde auf Profiniveau boxen.“
Mit bereits 19 Jahren hat Marie ihr Hobby zum Beruf gemacht. Sport beruflich betreiben? Das geht nicht allein. Diese Profession hängt von mehr ab als dem eisernen Willen. Hier zählt vor allem auch die Unterstützung von Familie, Freunden und Sponsoren. Ohne dieses Team hinter ihr geht nichts. Ohne dieses Team wäre sie nur sehr gut in ihrem Hobby.
Der Eine oder die Andere mag nun – so wie ich – keine Ahnung vom Boxen haben. Da stellt man sich dann grobschlächtige Typen vor, die sich gegenseitig das Gehirn herausprügeln. Doch Marie beweist wie schon viele, viele Boxerinnen und Boxer vor ihr, dass Boxen mehr abverlangt und mehr braucht als viele sich vorstellen können. Es erfordert Ehrgeiz und Disziplin. Denn wer in der frühen Jugend fast täglich zum Training geht, verzichtet auf so manch anderes – aber hat auch so manch anderes jugendliches Experiment nicht nötig.
„Als ich jung war, bin ich gar nicht auf den Gedanken gekommen, Blödsinn zu machen. Aber verpasst habe ich auch nichts!“, kann Marie stolz von sich sagen. Doch Boxen erfordert auch psychische Stärke und Intelligenz. Ihr kompletter Tagesablauf, ihre Ernährung, quasi ihr komplettes Leben hat sie auf das Boxen eingestellt. Nur so sind auch Charakter und sportliche Leidenschaft zusammengewachsen. Doch eines Tages sind die sportlichen Jahre vorbei. Gerade auch für eine Frau, die bereits so früh mit dem Sport angefangen hat, stellt sich ab dem 30. Lebensjahr langsam die Frage nach dem Danach.
Mit dem Boxen aufhören will die gelernte Frisörin nicht. Sie will ihr Können, ihr Wissen und auch ihre Energie weitergeben, als Boxtrainerin. Obwohl das theoretisch noch lange hin ist, trainiert sie bereits jetzt. Denn wie sie schon mit neun Jahren bewiesen hat, kann man nicht früh genug anfangen.
Heute ist Marie Riederer stolz auf das, was sie geschafft hat. Nicht nur stolz darauf, Europa- und Weltmeisterin zu sein, sondern auch stolz und dankbar für all die Menschen, die hinter ihr standen. Die Titel sind nur das, was sie den Leuten zurückgibt, die an sie geglaubt haben. Ich habe sie gefragt, was denn jetzt noch kommt, nachdem sie diese Titel schon hat. „Das ist erst der Anfang.“, kam mit einem kleinen Lachen zur Antwort. Denn jetzt gilt es zu zeigen, dass diese Titel auch wirklich ihr gebühren.
Als ich sie fragte, was es eigentlich ist, was sie hat, was andere nicht haben, konnte sie keine Antwort bringen, die sie zufrieden stellt. „Viel Training, aber das haben ja auch Andere gemacht. Disziplin, aber das haben ja auch Andere.“ Ihr Freund übernahm kurz das Wort „Es ist eben das Denken, die jahrelange ununterbrochene Arbeit und ihr eiserner Wille. Denn nur so konnte sie das erreichen, was sie jetzt erreicht hat.“
Marie Riederer ist 24 Jahre alt – und Weltmeisterin.
Und das ist nur der Anfang.