Vom Spreetunnel zur Spreequelle

oder Ein Weg am Ende des Tunnels Radfahren auf deutschen Straßen ist schon längst nicht mehr eine Frage des Wagemuts. Unter dem Eindruck von Unfallstatistiken und Tourismusmarketingstrategien hat sich in den letzten Jahren viel getan. Der unternehmungsfreudige Berliner kann es heutzutage auch ohne erhöhtes Risiko für Leib und Leben wagen, eine Radtour direkt ab der Haustür zu planen. Kennen Sie den Spreetunnel? Selbstverständlich? Sehr gut! Dann kramen Sie doch mal wieder Ihre angestaubten Campingutensilien mit Töpfchen, Kocher und Zelt hervor, packen die obligatorische Reise-Magerkost und Flickzeug ein, checken noch einmal Ihren treuen Drahtesel und verabreden sich mit Freunden für den nächsten Morgen am besagten Ort! Wenn nun alle noch ein paar Tage Zeit mitgebracht haben, dann können Sie jetzt weit kommen. Der Spreeradweg liegt für Friedrichshagener sozusagen vor der Haustür und ist wie das Sortiment eines Gemischtwarenladens: Für jeden etwas dabei. Mal summen die Reifen über eine glatte Asphalttrasse, dann wieder poltern die Räder über schummrige Waldwege und Rallyepisten. Was so gemütlich am Stadtrand Berlins beginnt, kann zu einem echten Radmarathon bis an die Grenzen Deutschlands werden. Stadtauswärts geht es über Erkner und das typisch brandenburgische Binsenbummler-Terrain der Spreeseen. Gelegentlich führt der Radweg an einer Autostraße entlang oder gar auf ihr. Derartige Etappen halten sich jedoch in Grenzen; wobei – mit Verlaub – das bisschen Autoverkehr für hartgesottene Berliner keine Angstprobe sein dürfte. Meist bewegt sich der Radweg jedoch im „Grünen Bereich“, denn die Trasse lässt keines der am Wegesrand liegenden Naturhighlights aus, sondern leitet sicher mitten hindurch. Das macht Lust auf mehr Abenteuer, und die kann der abenteuerlustige Nimmersatt gerne bekommen, denn beim Spreeradweg handelt es sich nämlich um einen der beliebtesten Fernradwege Deutschlands. Von Friedrichshagen sind es immerhin 400 Kilometer, die bis in den südöstlichsten Zipfel Sachsens zu den Spreequellen führen. Auf dem Weg über Fürstenwalde und Beeskow nimmt man nebenbei noch die Klassiker der Südbrandenburgischen Seenlandschaften mit. Leider ist die Beschilderung um Scharmützel- und Schwielochsee nicht immer eindeutig. Eine Vielzahl möglicher Alternativrouten stiftet an mancher Kreuzung Verwirrung. Doch was ist ein echtes Abenteuer schon ohne das obligatorische Kartenlesen! Wer es in Groß Wasserburg aber trotzdem noch nicht mitbekommen haben sollte, der wird spätestens in Schlepzig feststellen, dass der Radweg nun die verworrene Wasserwelt des Spreewalds erreicht hat. Am Wegesrand liegen diverse Paddelboote zum Verleih bereit und es werden Kahnfahrten angepriesen, die auch als Shuttleservice für müde Radfahrer nach Lübben genutzt werden können. Ab jetzt kann es vorkommen, dass unverhofft neben dem Radweg Paddel aus den Wiesen aufragen. Ab Lübben sollte man entweder präzises Kartenmaterial benutzen oder sich einfach von der Vielfalt des Radwegenetzes leiten lassen. Ähnlich wie die unzähligen Spreefließe tragen auch die Radwege hier allerlei schillernde Namen. Doch vom Spreeradweg verliert sich im Wege-Wirrwarr jede Spur. Als Orientierung genügen im Spreewald jedoch durchaus die Beschilderungen zu den nächstgrößeren Orten wie Lübbenau, Burg etc. aus. Hinter Burg endet der Spreewald, aber die Naturidylle setzt sich mit einer einsamen Etappe durch Spreewiesen fort. Trotz derartiger Verwöhnungen ist die Ankunft in der nächsten Stadt – es ist nach Berlin die zweitgrößte auf der Strecke – kein Grund zur Scheu, denn in Cottbus ist es vorbildlich gelungen, den Radweg in das Stadtgefüge zu integrieren. Gemessen an der Ausdehnung der Stadt ist es schon eine außerordentliche Tatsache, dass der Spreeradweg fast ausschließlich am Fluss entlang führt. Hier kommt es dem Radweg zugute, dass sich Cottbus seinem Fluss zugewendet hat. Überhaupt ist der Weg ab dem Spreewald ungewohnt radfahrerfreundlich. Es folgen fast ausschließlich Strecken, die nur für Radfahrer und Fußgänger vorgesehen sind. Meist sind das richtige Radrennpisten, die auf den Hochwasserdeichen der Spree verlaufen. Nur selten werden herkömmliche Autostraßen einbezogen; und wenn doch, dann sind diese nur wenig befahren. Dazu finden sich eine Vielzahl von Pensionen und Campingplätzen am Wegesrand. Die touristische Infrastruktur ist auf ganzer Strecke gut entwickelt und bietet neben dem Biwak genügend weitere Möglichkeiten für eine Übernachtung. Diese Eigenschaften machen den Spreeradweg im Lausitzer Tiefland uneingeschränkt familientauglich. Zwischen Uhyst und Bautzen wird die Beschilderung jedoch zunehmend nachlässig. Ohne Landkarte kann man in der ungewohnt bergigen Landschaft schnell schlechte Laune bekommen, denn ein Umweg impliziert hier oft auch die schmerzliche Erkenntnis, auf dem falschen Berg zu sitzen. Selbst Kinder hören nicht gern, dass sie sich eben umsonst einen Anstieg hinaufgequält haben. Bereits kurz vor Bautzen hinter der Talsperre wird es nötig, mit ganzem Gewicht in die Pedalen zu steigen. Hier beginnt der Spreeoberlauf und der Radweg klettert ins Oberlausitzer Bergland. So manchem Berliner Plattlandbewohner mögen die nun folgenden Strapazen unerhört erscheinen, doch die Mühen werden vom Erlebnis eines abwechslungsreichen Spreetals belohnt. Es ist eine andere Welt. Nichts mehr von der weiten, ausgeräumten Landschaft zwischen Berlin und Cottbus. Felsige Kanten reichen in den Schluchten bis an den Radweg oder saftiggrüne Berghänge ziehen sich beiderseits des Baches hin, der die junge Spree hier oben noch ist. Bei einem kontinuierlichen Höhenanstieg mit gelegentlichen Talfahrten erreicht der Radweg den abgelegenen Landkreis Löbau-Zittau. Berlin ist hier weit weg. Die Dörfer am Wegesrand waren zum Teil schon einmal „böhmische Inseln“, wie es der Volksmund gerne mit rollendem „R“ und einem gewissen Stolz angesichts dieser historischen Kuriosität berichtet. Schirgiswalde beispielsweise war 36 Jahre lang bis 1809 eine böhmische Enklave in Sachsen. Der Grund: territoriale Uneinigkeiten zwischen der sächsischen Krone und den Habsburgern. Die Menschen hat’s gefreut, denn die konnten dadurch leicht dem in Sachsen verbotenen Lottospiel frönen, und der Schmuggel belebte das Geschäft. Kurioses gibt es hier aber auch heute noch, denn wer die Spreequelle sucht, findet unter Umständen gleich drei. Heute ist es jedoch allgemeiner Konsens, dass die Hauptspreequelle bei Eibau am Berg Kottmar unweit der tschechischen Grenze liegt. Dort endet auch der Spreeradweg nach einem finalen Anstieg im Wald. Wer dann auf diesem Berg am Rande von Deutschland steht, verwirrt auf das kleine Rinnsal starrt, das die Spree sein soll und sich fragt, ob das jetzt alles war, der sollte über eine neue Strategie nachdenken. Keine zwanzig Kilometer von hier entfernt liegt Zittau. Dort kann man die ganze Chose noch einmal umgedreht durchmachen: Auf dem Oder-Neiße-Radweg von den Bergen runter zum Meer – oder irgendwo hinter Guben abbiegen nach Berlin. Hinweis: Entgegen der angeblich allgemeinen Praxis kann der Spreeradweg bei durchschnittlicher Kondition auch problemlos spreeaufwärts gefahren werden. Dafür sollten bei durchschnittlichen Tagesetappen von hundert Kilometern drei Tage für das Tiefland zwischen Berlin und Uhyst und – bedingt durch das Höhenprofil – zwei Tage für das Bergland eingeplant werden. Für Leute, die auch im Sommer nie in der Spree baden würden, sind die Spreequellorte aber auch per Bahn erreichbar. Beim Biwakieren handelt es sich übrigens um eine rechtliche Grauzone in Deutschland. Andere Staaten, konkret die Schweiz und die skandinavischen Länder – ausgenommen Dänemark – haben dafür ein auf Traditionen beruhendes Gewohnheitsrecht, das „Jedermannsrecht“. In Deutschland hingegen sind dementsprechende Regelungen Ländersache und fallen dementsprechend von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich aus. Dabei wird gelegentlich ein Unterschied gemacht, ob man im Zelt oder unter freiem Himmel nächtigt. Ausschlaggebend ist in der Regel, wo und für wie lange man biwakiert. Alle in irgendeiner Form als Naturschutzgebiet klassifizierten Gebiete und in der Regel auch Wälder sind ein klares „No Go“. Für ein offenkundig privates Gelände ist wiederum das Einverständnis des Besitzers einzuholen. Da der jedoch nicht immer auffindbar ist, gibt es beispielsweise im Mecklenburger Havelseengebiet eine Regelung in Form einer abgeschwächten Variante des „Jedermannsrecht“, die im Zweifelsfall das Aufstellen eines Zeltes für eine Nacht erlaubt. Derart liberal geht es jedoch nicht überall zu. Im individuellen Fall ist es Ermessenssache jedes Einzelnen, ob der sich zum Abenteuer Biwak entschließt. Wer biwakiert, steht damit jedenfalls nicht alleine, denn in der allgemein üblichen Praxis haben sich dieses Gewohnheitsrecht hierzulande bereits bundesländerübergreifend insbesondere Angler und Paddler angeeignet.

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