Red Dean

Ostdeutschland fand den Superstar: Dean Reed
Erstveröffentlichung am 11.05.2010
Kennen Sie Alexander Klaws? Oder Elli Erl? Vielleicht macht es klick, wenn die Namen Mark Medlock oder Thomas Godoj fallen. Genau, so heißen die deutschen Superstars von heute. Doch ist es eher unwahrscheinlich, dass sich wer im kommenden Frühjahr noch für einen Mehrzad oder einen Menowin interessiert – einmal abgesehen vom Staatsanwalt. Staatsanwälte interessierten sich auch für Dean Reed und hatten bessere Gründe dafür – wie manches an dieser Geschichte vielleicht besser ist.
Dean Reed mit Gitarre, 1977
Foto: ullstein / Klaus Winkler

Vorspiel

Auf einer Hühnerfarm bei Denver wird Dean Reed 1938 geboren. Da ist es noch keine 100 Jahre her, dass in Scharen mexikanische Goldgräber in das Land am Fuße der Rocky Mountains kamen, um im Bett des South Platte River glückbringenes Edelmetall zu finden.

Die Eltern des Jungen sind in ihrer Art zu leben einfache Leute. Wenn der Vater als Lehrer anderen Kindern die Grundlagen der Mathematik und das Grundwissen der Geschichte vermittelt, kümmert die Mutter sich um Haus, Hof und die eigenen Kinder Vern, Dale und Dean. Als man dem zwölfjährigen Dean eine Gitarre in die Hand drückt, steht eine gute Fee zur Seite und ein amerikanisches Märchen kann beginnen.


Wonnen

Vorweg: Es wird ein Märchen mit Um- und Irrwegen und ohne Happy-End. Aber auch das möchte erarbeitet sein.
Anstatt sofort mit der Klampfe in der Hand die Welt zu erobern, weiht sich der junge Dean universitären Studien der Meteorologie. Nach zwei Jahren ist ihm das doch nicht spektakulär genug.

Jetzt will er wissen, ob das Glück es gut mit ihm meint, und so zieht er als singender Cowboy durch das Land der scheinbar unbegrenzten Möglichkeiten. Dabei verschlägt es ihn nach Los Angeles. Seine Stimme und vor allem sein smartes Engelsgesicht lassen einen windigen Musikproduzenten der Capitol Records aufmerksam werden. Der stattet den Jungen mit einem Plattenvertrag aus.

Als das geschieht, stehen bei eben diesem Label ein Frank Sinatra und ein Benny Goodmann unter Vertrag. Dean nimmt nun auch Schauspielunterricht, schreibt eigene Songs und wird von Auftritt zu Auftritt geschickt. Bleibt ihm dabei der ganz große Erfolg im US-amerikanischen Showbusiness versagt, verhält es sich anders, als die Capitol Record ihn auf eine Tournee ins südliche Amerika schickt. In Windeseile erobert der verhinderte Meteorologe in Argentinien, in Brasilien, in Chile und in Peru die Charts und vor allem die Herzen der Mädchen – und ihrer Mütter.

Mit einem ordentlichen Schwung aus der Hüfte und mit beachtlicher Stimme füllt Dean ganze Fußballstadien mit Fans. Am Flughafen Buenos Aires empfangen ihn über 100.000 Groupies und seine Platten, die er nun wie am Fließband produziert, verkauften sich hier allemal besser als die des King of Rock, Elvis. Und so fällt es Dean Reed nicht schwer, in das Land seiner Verehrer(innen) zu übersiedeln.


Lust

In Mexiko dreht er 1964 seinen ersten Spielfilm, im Jahr darauf bekommt er im argentinischen Fernsehen seine erste eigene Samstagsabendshow. Da ist er 27 Jahre alt. Dean Reed, der Sonnyboy, lebt, wie viele junge Menschen sich wünschen ihr Leben zu leben: Er tut, was ihm gefällt und was er seiner Meinung nach am besten kann. Er singt also.

Und doch richtet das Leben seinen Blick auf Dinge, die ihm erst im scharfen Kontrast seiner eigenen Wirklichkeit zu jener seiner Umgebung auffallen. Dean nimmt bei seinen Reisen durch Lateinamerika und die USA gravierende Dissonanzen von arm und reich wahr, von gesellschaftlichem Anspruch und sozialer Wirklichkeit.

Die Freiheit der unbegrenzten Möglichkeiten grenzt ihm zu viele aus. Dean gibt nun Konzerte ohne Eintritt zu verlangen, singt in Fabriken und Gefängnissen, trifft sich mit Gewerkschaftern und reist zu einem Weltfriedenskongress, lernt Ernesto Che Guevara kennen. Die Geduld seines Gastgeberlandes ist bald erschöpft und so wird der „Rote Elvis“ 1966 aus Argentinien verwiesen.

Damit aber ist Dean Reed in seinem Element angelangt. Seine Songs sind nun nicht mehr bloße Unterhaltung der Massen. Nein, sie haben eine Bedeutung erlangt. Seine Worte gelten, wo die Welt verbessert und die Menschen glücklicher gemacht werden sollen.

Nirgendwo besser konnte Dean dabei aufgehoben sein als im Mutterland der großen Illusionen: der Sowjetunion. Kein Rock-Sänger der USA hätte in diesen Jahren je eine sowjetische Bühne bestiegen. Reed trägt man hinauf. Unzählige Massenkonzerte gibt er, zu denen die Jungen und Mädchen nicht delegiert werden müssen. Nein, sie kommen mit Enthusiasmus in Heeresformation. Sechs seiner Langspielplatten verkauft er zu Abermillionen in Sowjetrussland. Und seine Fangemeinde wächst stetig: ob in der Mongolei oder in Italien. Dort zieht er nämlich bald hin, lebt mondän in Rom und dreht manchen Italo-Western.


Passion

Dean Reed bezahlt seine Reisen durch Lateinamerika oft aus eigener Tasche. „Kampf dem Imperialismus“ ist ihm keine Floskel und kein Widerspruch zu einem lustvollen Leben, das keinem Genuss abhold ist. So singt er auf Meetings in Uruguay für einen fortschrittlichen Präsidentschaftskandidaten, wäscht vor der Botschaft seines Vaterlandes in Santiago die US-amerikanische Flagge, womit er sie symbolisch vom Blut des vietnamesischen Volkes reinwaschen will, und wirbt mit seinen Liedern für Salvador Allende als chilenischen Präsidenten.

All das tut er, während ihn tausendfach Mädchenaugen anhimmeln. Klassenkampf ist ihm eine Leidenschaft, die ihm noch so manches Leiden schafft. Denn leidvoll soll er die Grenzen seiner eigenen Möglichkeiten an einem Ort erfahren, der ihm anfangs verheißungsvoll erscheint: Auch in Leipzig, Tor zur Welt des real existierenden Sozialismus der DDR, fliegen ihm die Herzen der Mädchen zu. Und eines trifft ihn so hart am eigenen, dass er schlicht nicht anders kann und der jungen Lehrerin im Blauhemd aus Döbeln in Sachsen folgt und sie ehelicht.

Der DDR ist die Romanze und das übersiedeln des Popstars ein politischer Erfolg und manche fette Schlagzeile wert. Reed wird hofiert und sein Himmel hängt voll roter Gitarren. Nur hat er sie gefälligst mit den richtigen Tönen zu spielen. Was er bald merkt, als der Staatssicherheitsdienst mit ihm Kontakt aufnimmt.

„Ich bin Marxist, was auch immer ich singe.“

hatte er einmal gesagt. Das zu zeigen, verlangt man nun von ihm. Und unter dem selbst gewählten Decknamen Victor berichtet er einige Zeit lang der Firma Horch & Guck des Herrn Mielke von seinen Treffen mit Diplomaten und Künstlern. Reed spürt, dass er hierbei ein Feld betreten hat, das vermint ist und ihn um Kopf und Kragen bringen kann. Deshalb nimmt er bald wieder Abstand von diesen Diensten.

Noch füllt er die Säle, dreht fünf Filme mit der DEFA, wobei er an der Seite des DDR-Oberindianer, Gojko Mitic, in der Wild-West-Ballade „Blutsbrüder“ einen rasenden Erfolg erzielt. Doch dann kommt der ebenso rasante Fall. Im Streit mit einem Verkehrspolizisten ziemt er die Republik einen faschistoiden Staat und gibt kund, es satt hier zu haben „bis oben hin“. Er trägt sich mit dem Gedanken, in die USA zurückzukehren.

Nicht allein sein Verhältnis zum Staat der Arbeiter und Bauern läuft nun aus dem Ruder. Die Arbeiter und Bauern haben ihn auch über. Er tingelt mehr über Land, als dass er große Konzerte gibt. Und auch sein Privatleben gerät aus der Bahn, als seine dritte Ehe zu scheitern droht. Mit einem neuen Filmprojekt soll privates wie auch berufliches Glück gezwungen werden – da findet Renate Blume ihren Mann am 13. Juni 1986 mit geöffneten Pulsadern im Zeuthener See.


Ausklang

Hier endet das amerikanische Märchen, das sich um die Welt sang. Doch bis heute ranken sich manche Verschwörungstheorien um den Tod des so außergewöhnlich Begabten, der als Sänger, Komponist, Schauspieler und Regisseur für den Sozialismus in der Welt und als Apoll um die Herzen der Frauen an seiner Seite kämpfte.

Dean Reed war ein realer Superstar – nicht nur im real existierenden Sozialismus, er war ein Medienheld, jedoch keine Medienfigur. In einer seiner Textzeilen heißt es: „Für immer sind die Spuren eingegraben von dem, was wir geträumt, gedacht, verkündet haben.“ Irgendwie möchte man es ihm glauben – im Guten wie im Bösen.


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