Ich habe eine große Faszination für Tanzstudios. Wenn ich mal ausblende, dass sie nach Käsefüßen und kaltem Schweiß riechen, könnte ich, ähnlich wie auf einem Bahnhof, einen ganzen Nachmittag auch nur im Eingangsbereich sitzen bleiben und die Durchreisenden beobachten.
Dann höre ich die Schuhe der Flamencotänzerinnen klackern, sehe interessiert den in den Kniekehlen hängenden Hosen der Street Dancer hinterher, bin entzückt von den schmetterlingshaft vorbeihuschenden 4-Jährigen im rosa Tutu und vertrauten Gesellschaftstanz-Paaren. Ich nicke im Takt der beatboxenden Hip Hopper, verfolge das innerliche Sammeln der Ausdruckstänzer und beobachte die Jazz-Dancer, die kurz vor der Angst noch einmal die Schrittfolge der letzten Woche durchgehen. In vielen Studios bereiten sich die Kurse auf einen jährlich stattfindenden Auftritt oder sogar regelmäßige Wettbewerbe vor. Neben all den Basics, die man regelmäßig trainiert, wird man also relativ schnell in den Gruppenelan einer Choreografie gezogen. So ein Auftritt kann ein großartiges Gefühl sein, auch wenn in diesen Veranstaltungen oft nur Muddis und Omas und mindestens eine Kamera pro Familie sitzen. Es hat den Kurs zusammengeschweißt und manche Kinder und Erwachsene bekommen somit erstmals Bühnenluft zu schnuppern.
Bei mir hat allerdings diese Bühnenluft regelmäßig zu Atemnot geführt. Auch eine Erfahrung. Ich habe nach einigen Jahren Pause vor einer Weile wieder angefangen einen Ballettkurs zu besuchen. Und auch wenn das Eingeständnis, dass die hautengen Bodys von früher allesamt kneifen, übel war, so bin ich doch beglückt, was an Haltung, Balance, Koordination und Extremitätenverbiegungsmöglichkeiten noch und wieder möglich ist. Mit einer erneut aufflammenden abartigen Freude betrachte ich meine von Schwielen und Blasen strotzenden Füße, wenn ich die Spitzenschuhe wieder ausziehe. Ich liebe das Knarzen der Stange, wenn ich mein Körpergewicht bei den Pliées verlagere, ich mag das Trippeln, wenn 16 Ballerinen-Beine nacheinander in Échappes über den Tanzboden fliegen, ich mag das Ziepen in den Oberschenkeln, wenn ich meine Nasenspitze auf die Knie drücke. Ich bin gelöst, weil da vor mir eine Gouvernante steht, die im Takt klatscht und französische Kommandos durch den Raum schmettert. Ich muss also nicht viel denken, nur ausführen und dabei einigermaßen präzise und dennoch leichtfüßig wirken. Nach einer Stunde Schweißfluss bin ich tatsächlich sehr entspannt und die Fortschritte sind so offensichtlich.
Dass der Mensch sich zu Musik in irgendeiner Art und Weise bewegen will, ist ein sehr unterhaltsamer Reflex. Auch wenn man sich dabei zu blamieren glaubt, ist es nun einmal der Ausdruck purer Lebensfreude. Dass man an seinem Stil etwas feilen kann, indem man durch einen Tanzkurs zu Rhythmusgefühl und Grundlagentechnik bestimmter Tänze kommt, sollte man nicht unversucht lassen. Oft treffen sich ein Tanzstil und ein Charakter. Tanz ist eine besondere Konfrontation mit dem eigenen Körper, den Hemmschwellen und vielleicht dem idealen Tanzpartner.
Bild: slikk-showacts.com
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