Die Qual der Wahl

Es kann nur eine*n geben
Am 24.9.2016 hatte sich die SPD-Fraktion Treptow-Köpenick neu konstituiert und als Fraktionsvorsitzenden Alexander Freier-Winterwerb gewählt, der damit Gabriele Schmitz abgelöst hat. Warum ist diese Meldung so berichtenswert? Gewählt ist gewählt und natürlich wurden Kompetenz und Inhalte gewählt, nicht Haarfarbe, Geschlecht oder Musikgeschmack. Damit könnte an dieser Stelle der Artikel enden. Nur ein, zwei kurze Anmerkungen:
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Collage: Ryhor Bruyeu / M. Vorbau /iStock
Berichtenswert daran ist u.a., dass mit dem Wahlergebnis einer der wenigen weiblichen Vorsitzenden der SPD-Bezirksfraktionen und „einer hervorragenden Politikerin“ das Vertrauen entzogen wurde. Nur in Pankow und Mitte wurden in der letzten Legislaturperiode die Fraktionsvorsitze von Frauen besetzt. Und schwupps, steht ganz leise verhalten, aber beharrlich wie ein immer etwas vorwurfsvoll drein blickender Cockerspaniel mit Bindegewebsschwäche die Frage im Raum: Wie steht es eigentlich in Sachen Geschlechtergerechtigkeit um die Sozialdemokraten in Berlin Treptow-Köpenick?

Frauen, Gedöns oder das Kleid von Ramona Pop

In den letzten Monaten wurde ja gerne mit den Fingern auf die CDU und ihre interne Sexismus-Debatte gezeigt. Aber für die SPD gilt hier so ein bisschen die Redewendung mit dem Balken im eigenen Auge. Gerhard Schröders Spruch „Familien und das andere Gedöns“, womit er 1998 das Kabinett meinte, das sich um Familie, Senioren, Frauen und Jugend kümmern sollte, ist nicht nur gefühlt im 20. Jh. anzusiedeln. Seitdem hat sich doch bestimmt ganz viel getan. Und sicherlich auch auf kommunalpolitischer Ebene. Da war die Antwort von Sven Kohlmeier, der als SPD-Abgeordneter für Kaulsdorf kandidierte, auf eine Anfrage von Ramona Pop (Grüne) zu den Kosten des Berliner Flughafens bestimmt auch nur ein Fauxpas im Eifer des heißen Wahlkampfgefechtes: „Was ist so unendlich wichtig für Sie, ob #BER Ende 2017 oder Anfang 2018 öffnet? Die Kleiderwahl für Eröffnungsfeier??“, die ab- gesehen von der Relativierung der täglichen Millionen Euro, die die Nichteröffnung des BERs kostet, auch einen unreflektierten Alltagssexismus zu Schau stellt, der nun ja, vorsichtig ausgedrückt, im Gegensatz zum Parteiprogramm steht. Aber ist ja noch mal gut gegangen, jedenfalls hat es Herrn Kohlmeiers Wahl ins AGH keinen Abbruch getan und Marzahn-Hellersdorf ist weit weg. Hier in Treptow- Köpenick sieht es ganz anders aus. Geschlechtsspezifische Diskriminierung oder Netzwerkstrukturen, die Frauen ausschließen, existieren laut Alexander Freier- Winterwerb, neuer Fraktionsvorsitzender und bisher gleichstellungspolitischer Sprecher der SPD Treptow- Köpenick, nicht mehr.

„Ich würde niemals einer Frau den Platz wegnehmen.“

Apropos Abgeordnetenhaus: Der Umstand, dass Alexander Freier-Winterwerb die Wahl ins Abgeordnetenhaus gegen Katalin Gennburg (Die Linke) verlor, könnte ein ganz kleines bisschen den Eindruck erwecken, der neue Posten als Fraktionsvorsitzender sollte über die verlorene Wahl ins AGH hinwegtrösten. Wurde da etwa eventuell doch strategisch gewählt und jemand „geopfert“? In den vorwurfsvollen Blick des Cockerspaniels mischt sich jetzt ein bisschen Enttäuschung: Das ist doch ganz übler Sensationsjournalismus! Aber das Maulbeerblatt ist hochseriöse und knallhart investigativ recherchierte Wahrheitspresse. Und deshalb stehen hier nur nackige Zahlen: Das Wahlergebnis war sehr knapp. Tatsächlich wurde im zweiten Wahlgang Alexander Freier-Winterwerb mit sieben Stimmen, Gabriele Schmitz mit sechs Stimmen gewählt. Es gab zwei Enthaltungen. Für Alexander Freier-Winterwerb bedeutet das Wahlergebnis ganz klar die Entscheidung der Fraktion für bestimmte Themen – seine Themen, die da u.a. sind: Familie, Bildung und Integration. Und es sei ja „total bescheuert“, dass sich nun ausgerechnet ein Mann gegen eine Frau in der Wahl um den Fraktionsvorsitz durchgesetzt hat. Im Gegenteil, die Gleichstellungsfahne hochgehalten hat Herr Freier-Winterwerb in der letzten Legislaturperiode. Jedenfalls scheint der gute Wille da gewesen zu sein. In einer grafisch hübsch aufbereiteten Halbjahresbilanz zum Thema Gleichstellung der SPD Treptow-Köpenick vom Februar 2014 heißt es:
„Wir setzen uns dafür ein, dass die gesellschaftliche Benachteiligung von Frauen endlich beendet wird. Wir sorgen dafür, dass im Bezirksamt in den leitenden Funktionen Frauen und Männer im gleichen Maß vertreten sind.“
Und was sagen die Zahlen im Gleichstellungsbericht der SPD Treptow-Köpenick dazu? Der geschäftsführende Kreisvorstand wird von einem Mann besetzt. Von zwölf Abteilungsvorsitzenden sind zwei Frauen. Der Frauenanteil der Bezirksstadträte im Bezirksamt, die von der SPD gestellt werden, liegt bei satten null Prozent. Und auch in der kommenden Wahlperiode wird von der SPD keine Stadträtin gestellt. Etwas anders stellt sich die Situation in der SPD-Fraktion dar: 52,9% Fraktionsmitglieder sind Frauen (17 gesamt, davon neun weiblich) und der Fraktionsvorsitz war bis vor kurzem mit Gabriele Schmitz eine Frau.

A man´s world mit Damenbart

Nun sagen Zahlen nicht viel über die Menschen und deren Arbeitsweise aus und idealerweise entscheiden Fähigkeiten bzw. politische Themen über (Führungs-) Positionen und nicht biologisches Geschlecht, Augenfarbe oder wer den längeren ... Zeh hat. Dennoch sind es auffällig wenig Frauen oder wie Robert Schaddach, MdA und Abteilungsvorsitzender der SPD Treptow-Köpenick Süd, es so schön zusammenfasst:
„Nun könnten Sie noch fragen, warum alle Abgeordneten der SPD aus Treptow- Köpenick auf Bundes- und Landtagsebene Männer sind, sowie der Bezirksbürgermeisterkandidat und der Bezirksstadtratskandidat – und vielleicht wird ein männlicher Neuzugang jetzt auch noch der alte und neue BVV- Vorsteher: ! 'Wo bleibt da die Quote?' Ich sage dann nur[,] wir sind ja auch in Treptow-Köpenick und Demokratie ist eben Demokratie.“
Na dann ist ja alles in bester Ordnung. Aber kann das die Antwort sein, warum so wenig leitende Positionen von Frauen besetzt werden? Je höher auf der Karriereleiter, desto weniger Frauen. Das Thema hat so einen verdammt langenweiligen Damenbart, aber es scheint sich nichts zu ändern. Gibt es keine? Will keine? Dieser Frage detailliert auf den Grund zu gehen, würde Seiten füllen, daher nur ein, zwei weiterführende Fragen: Wie sieht es mit einer gezielten Nachwuchsförderung aus? Fängt es nicht schon an der Basis an? Nur 33% SPD-Mitglieder in Treptow-Köpenick sind Frauen. Das liegt bestimmt daran, dass sich Frauen von Natur aus weniger für Politik interessieren. Oder könnte es sein, dass die SPD vielleicht nicht attraktiv genug ist, um sich dort zu engagieren? Gibt es Rollenvorbilder, die ein Engagement attraktiv machen könnten? Gibt es Netzwerke, die Frauen nutzen können, um sich beruflich weiter zu entwickeln? Ein Mentoring-Programm, in dem Frauen oder Männer in Führungspositionen bewusst Frauen nachziehen bzw. motivieren? Wie sensibilisiert und wirklich interessiert sind die Mitglieder für das Thema Geschlechtergerechtigkeit in den eigenen Reihen?

Wann wir schreiten seit´an Seit´

Zurück zum gleichstellungspolitischen Sprecher der letzten Legislaturperiode: Nicht zuletzt ist mit Alexander Freier- Winterwerb jemand zum Fraktionsvorsitzenden gewählt worden, der sich für ein rot-rotes Bündnis stark macht und sich im Wahlkampf klar gegen die AfD positioniert hat. So ist es ja nun auch gekommen. Kürzlich haben SPD und Linke eine Vereinbarung über die künftige politische Zusammenarbeit in Treptow-Köpenick veröffentlicht. Darin heißt es u.a.:
„Es ist für uns eine Selbstverständlichkeit, jeder Form von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit (z.B. Rassismus, Homophobie, Ausgrenzung von Armen) entschieden entgegenzutreten. ... Die Erinnerung an die bewegte Geschichte von Treptow und Köpenick ... ist uns wichtig. Weil sie uns erinnert, wo wir herkommen.“
Dann möchten wir auch gleich daran erinnern, dass am 19. Februar 1919 die Köpenickerin und SPD-Abgeordnete Marie Juchacz nach Erlangung des Frauenwahlrechts als erste Frau vor der Nationalversammlung in Weimar sprach. Das ist noch nicht mal 100 Jahre her. Und um an dieser Stelle den Bezirksbürgermeister beim Wort zu nehmen:
„Treptow-Köpenick hat also eine besondere Verpflichtung [die] Gleichstellung von Frauen und Männern voranzubringen.“
In diesem Sinne: Walk the talk.

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