Kultur ist Arbeit an der Gesellschaft

Die Intendantin des Theater Adlershof Kathrin Schülein und die Initiative „Kultur ins Grundgesetz“
Seit fünf Jahren führt Kathrin Schülein das Theater im Ortsteil Adlershof. Mit einer ambitionierten Künstler-Initiative richtet sie sich nun an die Gesellschaft und ihre politischen Entscheider. Ihr Ziel: Die stabile Verankerung von Kunst und Kultur im Grundgesetz.
Kathrin Schülein (rechts) und Marlene Heupel gehören zu den Initiatoren der Petition „Kultur ins Grundgesetz“. (Foto: Matti Fischer)
Kathrin Schülein (rechts) und Marlene Heupel gehören zu den Initiatoren der Petition „Kultur ins Grundgesetz“. (Foto: Matti Fischer)

Kathrin Schülein, Kind des Ostens Jahrgang 1965, mag kein DDR-Nostalgie-Gejammer. Doch das, was de facto besser war, kann man beim Namen nennen:
„Mir fehlt die selbstverständliche Verankerung von Kunst und Kultur in der Mitte der Gesellschaft“
sagt die ausgebildete Balletttänzerin der berühmten Palucca-Schule Dresden und heutige Leiterin des Theaters Adlershof. Kathrin Schülein ist überzeugt, wenn sie nicht schon früh gelernt hätte, hart zu arbeiten, könnte sie auch heute nicht ihre Frau stehen. Sie will Theater machen, und das auch, wenn es zurzeit noch den größten finanziellen Verzicht für sie selbst bedeutet.

Kultur ohne Stabilität bleibt amputiert

Im Moment ist die Bespielung des Hauses nur im so genannten Kopfbau auf zwei Spielebenen und wegen der Coronapandemie in einem Zirkuszelt auf einer angrenzenden Fläche hinter dem Gebäude möglich. Das ging nicht ohne viele Partner, Sponsoren und ehrenamtliche Unterstützer. Mangelhafter Brandschutz im Großen Saal schimpft sich ein weiteres ihrer Sorgenkinder. Für die Finanzierung der erforderlichen Bauarbeiten hat sie einen Förderantrag bei „Neustart Kultur“ gestellt. Der Plan ist, dass das Theater ab Herbst 2021 auch im großen Saal wenigstens wieder temporär zu bespielen sein wird. Kathrin Schülein fasst ihren kulturellen Auftrag in einem Satz zusammen: Gute Kunst zu erschwinglichen Preisen und das für alle! „Vielleicht bin ich damit ein Relikt aus alten Zeiten, eine letzte sozialistische Insel“, sie lacht. Doch sie kann sich für den Kiez Adlershof wirklich nichts anderes vorstellen. „Auch wenn das offenbar an den künstlerischen Vorstellungen des Berliner Senats vorbei geht.“ Sie erwähnt diesen Umstand, da sie bis jetzt noch keine Senatsförderung erhalten hat, die zum Beispiel auch festangestelltes Personal erlaubt. Allein mit günstigen Eintrittskarten für alle Einkommensklassen finanziert sich solch ein Spielbetrieb bekanntermaßen aber nicht. Vom Bezirksamt Treptow/Köpenick erhält das Theater eine institutionelle Förderung, die aufgrund des limitierten, bezirklichen Haushalts nicht ausreicht, um kontinuierlich arbeiten zu können.

Viel Rückenwind vom Publikum

In ihrem Programm präsentiert sie Lesungen, Schauspiel, Tanz, Musik, Kinderveranstaltungen, Figurentheater -- es sind alle Sparten vertreten.
„Meine künstlerische Arbeit basiert auf ehrlichem Handwerk, ist professionell und hochwertig.“
Die von ihr choreografierten Tanzabende, die auch schon zu Gastspielen außerhalb Berlins eingeladen wurden, zeigen Stücke in der klassischen und neoklassischen Tradition des Balletts — Tom Schilling, Maurice Bejart und John Neumeier sind Schüleins großen Idole— auch ihre TänzerInnen sind ausgebildete Profis. Das Publikum des Theaters Adlershof schätzt das Programm des Hauses. Im vergangenen Jahr durfte das Leitungsteam, trotz der baulich widrigen Umstände, rund 6000 Besucher begrüßen. Auch Linken-Chef Gregor Gysi schaut regelmäßig vorbei, und wenn die Probleme überhandnehmen, stellt er seine Unterstützung schon mal großzügig zur Verfügung.

Eine Künstlerinitiative fordert mehr

Ihr sei schon lange klar, dass Kunst und Kultur in der Gesellschaft keinen angemessenen Stellenwert genießen, sagt Kathrin Schülein. Die Powerfrau hat nicht vor, sich mit dieser Geringschätzung abzufinden.  Gemeinsam mit anderen KünstlerInnen und Kulturschaffenden rief sie Mitte November die bundesweite Initiative „Kultur ins Grundgesetz“ ins Leben. Bereits Mitte Dezember 2020 gibt es schon viele namhafte Erstunterzeichner eines offenen Briefes an die Bundesregierung, wie z.B. den Filmemacher, Autor und Fotograf Wim Wenders, den österreichischen Liedermacher Konstantin Wecker, Shermin Langhoff vom Maxim Gorki Theater, Hans-Eckardt Wenzel, Kultursenator Dr. Klaus Lederer, Musiker Till Brönner u.v.a.m. „Wir müssen die Kunst- und Kulturschaffenden endlich vereinen, unser Publikum einbinden und weit nach vorn blicken. Es reicht nicht, immer wieder nur Strohfeuer zu löschen, damit es an anderer Stelle wieder aufflammt“, sagt Schülein. Es ginge darum, mehr wirtschaftliche Stabilität in die Kulturbranche zu bringen als es Artikel 5, Absatz 3 des Grundgesetzes zurzeit leisten und dieses Kriterium als verpflichtendes Statut zu formulieren.
„Kultur ist Bildung. Kultur ist gesellschaftliche Arbeit. Wir haben die Aufgabe, jedem Bürger, egal welchen sozialen Standes, den Zugang zu ihr zu ermöglichen.“
Kathrin Schülein hat in den vergangenen fünf Jahren schon so manch eine Hürde genommen. Wie wird sie ihr 5-jähriges Jubiläum am 31. Dezember 2020 in dieser verrückten Zeit feiern?  „Wenn die 50.000 Unterschriften beisammen sind, um vor den Petitionsausschuss vorgeladen zu werden, knallen die Korken.“ Übrigens: Unterschreiben kann jeder, egal, ob Künstler, Kulturschaffender oder Kunstgenießer.
Am 14. Dezember 2020 geht der Brief an die Bundesregierung, das ist der Startschuss für die Petition „Kultur ins Grundgesetz“. Die Forderungen:
  • Verankerung von Kunst und Kultur sowie Schutz für Kulturschaffende auch im Falle von Dienstausfällen im Grundgesetz.
  • Ein gesetzliches Recht auf unbeschränkte Teilhabe aller Bürgerinnen und Bürger am kulturellen Leben und an kultureller Bildung.

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