Zwischen Wunsch und Wirklichkeit

In Treptow-Köpenick wünscht man sich neue Brücken. Doch die Experten sind mit den allernötigsten Sanierungen komplett ausgelastet. Ein Überblick.
Zwei neue Brücken stehen auf dem Wunschzettel  des Bezirks Treptow-Köpenick an den Senat. Zum Einen ist dies die Wilhelminenhofbrücke zwischen Ober- und Niederschöneweide im Bereich Ostend-/Wilhelminenhofstraße. Einen weiteren Neubauwunsch wird der Bezirk dem Senat demnächst mitteilen: eine Brücke zwischen Wendenschloß und Grünau über die Dahme.
Die abgetragene Hälfte der Salvador-Allende-Brücke im Oktober 2018
Die abgetragene Hälfte der Salvador-Allende-Brücke im Oktober 2018, Foto: Matthias Vorbau
Die Bezirksverordneten haben mehrheitlich dafür votiert. Anders, so ihre Überzeugung, lasse sich der immer stärkere Verkehrsfluss nicht bewältigen, der auch wegen der geplanten mehr als tausend neuen Wohnungen am Marienhain in Wendenschloß erwartet wird. Die Kreuzung an der Müggelheimer Straße, über die derzeit der gesamte Verkehr fließt, sei jetzt schon überlastet. Die neue Brücke, die seit etlichen Jahren immer mal wieder als Idee auftaucht, soll Autofahrer schneller in Richtung Innenstadt und Autobahn bringen. Allein die Grünen im Bezirk sind gegen den Neubau, der das Wasser dort überspannen soll, wo jetzt die Fähre F12 zwischen Müggelberg- und Wassersportallee verkehrt. Man sehe zwar den Bedarf einer besseren Verkehrsanbindung in Wendenschloß, sagt Fraktionschef Jacob Zellmer. Aber tägliche tausende Autos durch die engen Wohnstraßen zu lotsen, wäre für die Anwohner katastrophal. Als wenig überzeugend bezeichnet auch Baustadtrat Rainer Hölmer (SPD) den jüngsten Brücken-Vorstoß. Er werde damit zwar wie beschlossen bei der Senatsverkehrsverwaltung vorstellig werden, so der Politiker, aber: „Besser wäre erst mal eine seriöse Verkehrsuntersuchung für das Gebiet.“ Ohne Analyse und komplexen Umbau stünden die Autos schlussendlich entlang der Wassersportallee in Grünau im Stau. Hölmer: „Damit wäre gar nichts gewonnen.“  Der SPD-Politiker schlägt vor, zwischen Wendenschloß und Grünau eine Brücke zu bauen, aber nicht für Autos, sondern für Fußgänger, Radfahrer und die Straßenbahn:
„Der S-Bahnhof Grünau könnte so zum Scharnier für eine umweltverträgliche Weiterfahrt in die Stadt werden.“
Die Chance, dass die – wie auch immer gearteten – Brückenwünsche des Bezirks erfüllt werden, sind ohnehin gering. Vor allem wegen fehlenden Personals in der zuständigen Senatsverwaltung für Verkehr, sagt Rainer Hölmer: „Die vorhandenen Fachleute haben  mit der Reparatur und der Sanierung von etlichen Brücken mehr als genug zu tun.“ Sonderwünsche des wasserreichsten Berliner Bezirks stehen also derzeit nicht auf der Prioritätenliste des Senats.

Doppelt so viele Brücken als in Venedig

In Berlin gibt es gut tausend Brücken, etwa doppelt so viele wie in Venedig. Wobei als Brücke auch klitzekleine, nur zwei Meter lange Überführungen für Fußgänger und Radler gelten. In Treptow-Köpenick, das von rund 150 Kilometer Wasserwegen durchzogen wird, stehen mit rund 140 die meisten Brücken der Stadt. Berlin investiert im laufenden Jahr – nach langer Zeit des Sparens und des Verschleißes – mehr als 40 Millionen Euro in seine Brücken, hinzu kommen nach Angaben der Verkehrsverwaltung knapp 14 Millionen Euro vom Bund. Aufgestockt vom Senat, betragen die Gesamtmittel für den Unterhalt der Berliner Infrastruktur  für 2018/19 rund 104 Millionen Euro.
Der Sanierungsbedarf wird berlinweit auf 1,3 Milliarden Euro geschätzt.
Obwohl die Berliner Brücken insgesamt als sehr sichere Bauwerke gelten, wird nur etwa einem Viertel von ihnen ein „sehr guter“ oder „guter“ Zustand bescheinigt. Von den 65 mehr oder weniger stark sanierungsbedürftigen Berliner Brücken stehen zehn in Treptow-Köpenick. Die Folgen hier wie überall: immer wieder Teilsperrungen wegen Reparaturen, oft dauerhafte Verkehrseinschränkungen. Und wenn das alles nicht mehr reicht, muss abgerissen und neu gebaut werden. So wie bei der Salvador-Allende-Brücke. Die 1981 fertiggestellte Stahlbetonkonstruktion, über die täglich bis zu 30.000 Pkw, Lkw und Busse fahren, war so marode, dass sie ersetzt werden muss. Schon seit 2005 war klar, dass die zweiteilige Brücke über der Müggelspree wegen des verwendeten zu alkalihaltigen Betons so schwer beschädigt war, dass ihre Tragfähigkeit litt. Der Beton bröckelte. Eine Sanierung war nicht möglich, vor vier Jahren wurde der westliche Brückenteil gesperrt. Seit März 2018 wird er abgerissen, der Verkehr quält sich bei Tempo 10 über den östlichen Teil. Laut Arne Huhn aus der Senatsverkehrsverwaltung soll der Westteil der neuen Stahlbrücke bis September 2019 stehen, dann folgen Abriss und Neubau des östlichen Übergangs. Die Baukosten sind von 15,5 Millionen (im Jahr 2015) auf inzwischen 37 Millionen Euro gestiegen, das meiste Geld soll aus einem Programm des Bundes kommen, das den Ausbau von Straßen für den Schwerlastverkehr fördert. Man sei „im Wesentlichen“ im Zeit- und Kostenplan, sagt Arne Huhn – für Berliner Verhältnisse eine durchaus erstaunliche Mitteilung. Im Jahr 2021, so der Plan, soll die neue Salvador-Allende-Brücke fertig sein.

Ein Neubau für die Lange Brücke

Gleich danach soll die nächste Brücken-Großbaustelle folgen: Die Lange Brücke, die nebst Behelfsbrücke eine wichtige Verbindung zwischen Köpenicker Altstadt und Spindlersfeld, Schöneweide und Adlershof sowie in Richtung  Autobahn ist, muss erneuert werden – sowohl die Steinbrücke aus dem Jahr 1892 als auch die Behelfsbrücke gleich nebenan, die seit Mitte der 1990er-Jahre einen Teil des Verkehrs trägt. Die Sanierung der denkmalgeschützten Steinbrücke im Jahr 1998 sei nicht von dauerhaftem Erfolg gekrönt, das Bauwerk sei zwar noch verkehrstüchtig, habe sich aber wieder „gesetzt“, heißt es in der Senatsverkehrsverwaltung.
Noch ärger ist der Zustand der Behelfsbrücke.
Seit Juni dieses Jahres ist deren östliche Teil gesperrt, für den verbleibenden Verkehr gilt Tempo 10. Der Grund für die Sperrung sind dringende Instandsetzungsarbeiten: Durch Schäden an den Anschluss- und Übergangsplatten zwischen Brücke und landseitiger Fahrbahn komme  es seit Jahren immer wieder zu teils donnerndem Lärm, der weithin hörbar sei und die Anwohner zu Recht aufbringe, heißt es. Wann die Instandsetzung abgeschlossen sein wird, ist ungewiss. Ebenso, wie ein Brückenneubau aussehen wird. Denn dabei muss zwischen Denkmalschutz und wirtschaftlichem Pragmatismus abgewogen werden. Aus der Senatsverwaltung heißt es, man prüfe mehrere Varianten, präferiert werde aber derzeit ein Abriss beider Brücken und ein moderner Neubau, der sich am Denkmal orientiere. Das Wichtigste aber sei, so wird betont, dass beide Brücken noch bis zur Fertigstellung der Allende-Brücke 2021 „durchhalten“.

Ein Riss in der Elsenbrücke

Wie schnell eine Brücke akut gefährliche Schäden aufweisen kann, ist an der Elsenbrücke, der mit 40.000 Fahrzeugen stark genutzten Verbindung zwischen Treptow und Friedrichshain, zu besichtigen. An der im Jahr 1968 fertiggestellten, 185 Meter langen Spreebrücke war Ende August überraschend ein Riss entdeckt worden. Laut Unterlagen der Verkehrsverwaltung ist er bis zu 1,8 Millimeter breit, bis zu 14 Zentimeter tief und rund 28 Meter lang. Der Riss zieht sich durch eine Trägerkonstruktion an der Unterseite und gilt wegen der Geschwindigkeit seiner Entstehung und wegen seiner Breite unter Experten als spektakulär – bei den regelmäßigen Prüfungen, die dreimal im Jahr als Beobachtungen sowie alle drei Jahre als gründliche Hauptuntersuchung stattfanden, war noch nichts von den Schäden zu erkennen.
Der Riss in der Elsenbrücke gilt unter Fachleuten der Geschwindigkeit seiner Entstehung und seiner Breite wegen als spektakulär!
Ob die Elsenbrücke, die erst vor zehn Jahren für vier Millionen Euro saniert wurde, überhaupt noch zu retten ist, bleibt abzuwarten. Zunächst wurde die südöstliche Hälfte gesperrt, der Riss wird beinahe täglich kontrolliert. Die Experten rätseln, was passiert sein könnte: Ob das erhöhte Verkehrsaufkommen schuld sein könnte. Oder ob der trocken-heiße Sommer der Brücke nachhaltig zugesetzt hat. Wenn nämlich die Oberfläche aufgeheizt ist und die Spree die Unterseite abkühlt, könne es zu gefährlichen Schubspannungen führen, sagen Fachleute. In der Senatsverkehrsverwaltung geht man vorsorglich vom Schlimmsten aus: dass die Elsenbrücke abgerissen und neu gebaut werden muss. Geplant wird schon mal eine Behelfsbrücke, um ein Verkehrschaos zu verhindern. Denn die Elsenbrücke ist die wichtigste Verbindung zwischen der Ost-Berliner Innenstadt und dem Südosten – wo ab 2020 am Flughafen BER der gesamte Berliner Flugverkehr abgewickelt werden soll. Und wo an Standorten wie Adlershof und Oberschöneweide tausende Arbeitsplätze entstanden sind.

Eine Frage der Autobahn

Der Bürgermeister von Treptow-Köpenick Oliver Igel (SPD) ist schon mal vorgeprescht: Er fordert, dass die A100 zügig weitergebaut wird. Der 16. Abschnitt der Stadtautobahn soll im Jahr 2022 fertig sein und genau an der Elsenbrücke enden. Der 17. Abschnitt ist dann bis zur Frankfurter Allee vorgesehen. Igel fürchtet, dass der Verkehr ohne eine funktionsfähige Elsenbrücke sich Wege durch Anwohnerstraße sucht. Vor allem der Norden Neuköllns und Treptow würden unzumutbar belastet.
Doch der Vorstoß aus Köpenick prallt auf Ablehnung im Senat.
Dort hatte man sich verständigt, das Thema Weiterbau der A100, das vor allem zwischen SPD (dafür) und Grünen (dagegen) strittig ist, bis zum Ablauf dieser Legislaturperiode ruhen zu lassen. Die Antwort der Grünen auf Igels Vorstoß folgte prompt: Ein Weiterbau der Autobahn löse keine Probleme, sondern schaffe neue, sagte der verkehrspolitische Sprecher Harald Moritz. Man würde den Stau „für sehr viel Geld an die Frankfurter Allee verlegen“.

Weitere Projekte verschoben

Die akuten Sanierungsfälle sind nicht die einzigen im Bezirk. Die Stubenrauchbrücke in Schöneweide wird gerade für gut 300.000 Euro saniert, Abdichtung und Fahrbahnbelag mussten erneuert werden. Die Arbeiten sollen demnächst beendet sein, die Sperrung wird dann wieder aufgehoben. Für den Verkehr zwischen Ober- und Niederschöneweide hatte die Sperrung aber kaum Auswirkungen, in Richtung Nierderschöneweide werden die Fahrzeuge über eine Behelfsbrücke geführt. Für die Richtung Oberschöneweide rollt es über die neue Minna-Toddenhagen-Brücke. Diese Verbindung zwischen Köpenicker Landstraße und Rummelsburger Straße wurde Ende vorigen Jahres eröffnet und soll zur Entlastung der Wohngebiete an Edison- und Wilhelminenhofstraße in Oberschöneweide beitragen. Sanierungsbedürftig sind im Bezirk  auch die Wuhlebrücke an der Alten Försterei, die Rodelbahnbrücke in den Müggelbergen, die Fußgängerbrücke Schmöckwitzwerder und die Neue Fahlenbergbrücke zwischen Müggelheim und Gosen.
Hier wurde im Jahr 2010 eine Sanierung versucht und erfolglos abgebrochen.
Der Übergang über den Gosener Kanal muss abgerissen und neu gebaut werden. Die Arbeiten wurden auf 2019/20 verschoben. Für die Bauzeit soll eine Behelfsbrücke – ähnlich der an der Langen Brücke am Köpenicker Schloss – errichtet werden. Wo genau diese Brücke stehen soll, müssen noch diverse Naturschutz-Untersuchungen ergeben. Die Gosener Wiesen sind mit mehr als 400 Hektar Fläche eines der größten Naturschutzgebiete Berlins.

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