Es ist doch so. Machen wir eine Sache zwei- oder dreimal, wird sie langweilig. Wir kennen schon so viel, wir brauchen immer neue Kicks, wir brauchen Input und Abwechslung. Die ständigen Wiederholungen im Fernsehen gehen uns richtig auf den Sender und der Hit aus dem letzten Monat ist einfach richtig alt. Den möchten wir nicht mehr hören.
Aber wie ist das denn mit dem Fru?hling?
Allerorten kann ich die Sehnsucht fast körperlich spu?ren. Gerade dieses Jahr, mit dem gefu?hlten 18-Monate -Winter. Der Fru?hling wird uns nicht u?ber. Zu schön ist dieses neue Erwachen, das Sprießen, der Sieg der Sonne u?ber die Kälte. Wie von Zauberhand, und noch vor wenigen Wochen kaum vorstellbar, gucken zarte Pflanzen aus dem noch verschneiten Boden, Vögel singen und suchen Nistmaterial, die ersten dicken Hummeln brummen emsig vor sich hin und Bienen machen sich auf die Suche nach den Fru?hblu?hern. So lange mussten wir warten, und siehe, das Leben siegt doch. Die (auch wichtige) Zeit der Zuru?ckgezogenheit, des Sich-einigeln-und-sich-schu?tzen-Mu?ssens geht voru?ber. Das Leben platzt aus allen Nähten. Und das macht uns glu?cklich, davon können wir nicht genug bekommen. Zu sehen, dass alles in einem natu?rlichen Kreislauf geordnet ist, gibt uns Kraft und Mut und Stärke. Wenn die Nacht am tiefsten ist, ist der Tag am nächsten. Und da können wir so alt werden wie wir wollen, das fasziniert uns, denn auch wir erwachen zusammen mit der Natur um uns herum. Noch faszinierender ist die Chance, jeden einzelnen Tag als Fru?hling zu erleben. Jeder Morgen ist ein kleiner Fru?hling. Du erwachst zu neuem Leben, bereitest das Feld, säst was du später erntest, ku?mmerst dich um dein Tagewerk, vertreibst Schädlinge, bekommst die Quittung, sprich die Ernte fu?r dein Tun und legst dich schließlich wieder zur Ruhe. So ist das geordnet. Jeder Tag ein kleines Jahr. Oder noch ku?rzer gedacht: Du atmest mit voller Inbrunst ein, fu?llst deinen ganzen Körper mit frischer Energie, versorgst Herz, Gehirn und deine Muskeln mit lebendiger Kraft, hörst gleichzeitig Geräusche in deiner Umgebung, siehst Farben, Umrisse, riechst Du?fte, spu?rst den Wind und schmeckst die Wu?rze des Lebens. Oh, wie lebendig kann der Fru?hling sein. Und dann atmest du vollständig aus, transportierst alle verbrauchten Stoffe, aufgestauten Gefu?hle und angespannten Gedanken wieder aus. So ist das geordnet. Jeder Atemzug ein klitzekleines Jahr.
Mit diesem Bewusstsein erschaffst du dir ein neues Universum, jenseits von Zeit und langen Warteschleifen. Kennen wir doch alle die schweren Zeiten, in denen so gar nichts recht klappen will, Zeiten in denen wir trauern oder, ohne den Grund zu wissen, einfach nur schlechte Laune haben. Das empfinden wir als eine dunkle, kalte Zeitspanne, die einfach nicht voru?ber gehen will. Da werden Minuten zu Stunden, gar zu Tagen oder Monaten.
Erinnern wir uns dann an die Chance eines täglichen oder gar noch ku?rzeren Fru?hlingsbeginns, haben wir nicht nur ein unerhörtes Werkzeug in der Hand, sondern auch die Verantwortung, dieses zu nutzen, um den Lebensboden zu beackern – jetzt, mit jedem Atemzug.
Dass der Winter sich nicht so einfach wegschicken lässt, der Frost noch tief im Boden sitzt, haben wir dieses Jahr deutlich erlebt. Ähnlich lassen sich traurige Gefu?hle, verstrittene Beziehungen oder sorgenvolle Gedanken nicht einfach beiseiteschieben. Doch Kraft unseres Willens und der Erkenntnis, dass der Fru?hling in jedem Fall kommen, das Leben gewinnen wird, kehrt ein wenig Leichtigkeit, Hoffnung und Freude eines schönen Fru?hlingstages in uns ein. Wetten?