Beschädigung einer Institution

Der FDP-Abgeordnete Stefan Förster über Hubertus Knabe, Sexismus-Vorwürfe und die Probleme mit Zeitzeugen.
Als am 26. November der gekündigte Leiter der Stasiopfer-Gedenkstätte Hohenschönhausen, Hubertus Knabe, unter großer Medienbegleitung in sein Büro in der Gedenkstätte wollte, erfuhr er von seiner fristlosen Abberufung durch den Stiftungsrat und musste gleich wieder gehen. Stefan Förster war in Hohenschönhausen dabei.
Stefan Förster in der Böttchergasse
Foto: Björn Hofmann
Stefan Förster, 37, sitzt seit 2016 für die FDP im Abgeordnetenhaus. In Treptow-Köpenick ist er kein Unbekannter: Hier war er von 2002 bis 2011 als Bezirksverordneter aktiv. Förster ist ehrenamtlicher Chef des Bezirksdenkmalrates und des Heimatvereins. Förster hat an der Humboldt-Uni Geschichte und Politikwissenschaften studiert. Im Abgeordnetenhaus ist der gebürtige Köpenicker der Sprecher seiner Fraktion für die Bereiche Bauen, Wohnen, Denkmalschutz, Wissenschaft, Forschung, Medien und Sport. Herr Förster, wieso haben Sie Hubertus Knabe begleitet? Ich wollte mir an dem Vormittag ein Bild machen von den Vorgängen und als Vertreter der Landespolitik auch an der Mitarbeiterversammlung teilnehmen. Mich hatten zuvor zwei Mitarbeiter der Gedenkstätte eingeladen. Sie kennen mich aus dem Abgeordnetenhaus, wo ich auch zum Thema Aufarbeitung des SED-Unrechts arbeite, gemeinsam mit Vertretern von CDU, Linken, SPD, Grünen und FDP. Auch Vertreter von Opferverbänden hatten mir bedeutet, es wäre gut, wenn jemand aus der Landespolitik dabei sein würde an diesem Vormittag. Sie waren offenkundig der einzige Vertreter aus dem Abgeordnetenhaus. Ja, aber das war bestimmt ein zeitliches Problem. Der Termin hatte sich ja sehr kurzfristig ergeben. Wenn ich andere Termine gehabt hätte, hätte ich sie auch nicht verlegt. Ich hatte also Zeit und wollte Eindrücke sammeln. Und wie war Ihr Eindruck? Ich habe gemerkt, dass bei den Mitarbeitern der Gedenkstätte große Verunsicherung besteht. Dass sie aufgewühlt sind, auch weil sie sehen, dass die Gedenkstätte in den letzten Wochen in keinem guten Licht stand. Und es gibt langjährige Mitarbeiter, die sagen, dass das, was dieser Ort mit seinen vier Millionen Besuchern in Hohenschönhausen bedeutet, das Verdienst von Hubertus Knabe ist. Er habe die Gedenkstätte aufgebaut und nach außen geprägt. Ich habe mit Mitarbeitern gesprochen, die Hubertus Knabe herzlich begrüßt haben und mir gegenüber den Umgang mit ihm bedauert haben.
„Das Verhältnis Birthler - Knabe ist allerdings schon immer problematisch gewesen.“
Der Hauptvorwurf gegen Hubertus Knabe ist mangelnde Führungsverantwortung. Er sei gegen sexuelle Belästigungen durch seinen Stellvertreter nicht konsequent vorgegangen. Was wissen Sie darüber? Es sind alte Vorwürfe aus den Jahren 2012 bis 2014/15, die nicht bestritten werden. Es gab Ende 2015 einen Brief von drei Frauen aus der Gedenkstätte an die Frauenbeauftragte der Senatskulturverwaltung, die damals von SPD-Staatssekretär Tim Renner geleitet wurde. Renner war auch der Chef des Stiftungsrates der Gedenkstätte Hohenschönhausen. Die Frauen beklagten nicht-dienstliche SMS, fehlende persönliche Distanz und zu vertrauliche Anreden von Herrn Frauendorfer, dem Stellvertreter von Hubertus Knabe. Am 29. Februar 2016 hat Renner darüber mit Hubertus Knabe ein Gespräch geführt. Knabe hat dabei nach den Namen der Frauen gefragt, die aber um Anonymität gebeten hatten. Alle drei, bis auf eine Frau, die inzwischen Leiterin der Gedenkstätte Marienborn geworden ist, wollten nicht öffentlich in Erscheinung treten. Knabe hat gegenüber Renner darauf verwiesen, dass bei anonymen Vorwürfen dienstrechtliche Konsequenzen schwierig seien. Am 1. März hat Knabe mit seinem Stellvertreter gesprochen und ihn aufgefordert, sein Verhalten abzustellen. Der Vermerk über dieses Gespräch hat er an Tim Renner geschickt mit dem Hinweis, wenn er weiteres veranlassen solle, müsse er konkrete Angaben zu den Beschwerdeführerinnen haben. Eine Antwort darauf hat Knabe nicht erhalten, die Sache war deshalb für ihn erst mal erledigt. Dann war ein Jahr lang Ruhe. Erst 2018 kam ein zweites Beschwerdeschreiben von drei weiteren Frauen. Dieses neue Schreiben kenne ich zwar noch nicht, aber was ich darüber weiß, ist, dass sich die neuen Vorwürfe wohl auf die alten Vorfälle beziehen. Es gab keine neuen Vorwürfe? Es gab eine Volontärin, die 2017 in die Gedenkstätte kam. Auflage der Senatskulturverwaltung war, dass Frauen nicht direkt in der Abteilung von Herrn Frauendorfer arbeiten sollten. Nun war die Abteilungsleiterin der Volontärin aber Ende 2017 ausgeschieden, der Nachfolger kam erst Mitte Februar 2018. Weil die Abteilung für diese Zeit formal keine Leitung hatte, könnte man konstruieren, dass formal doch Herr Frauendorfer zuständig war. Dass also die Absprache nicht eingehalten wurde. Die Volontärin hat sich nach ein paar Tagen in der Gedenkstätte krankgemeldet und ihre Arbeit dann im Schwulenmuseum fortgesetzt. Sie hat später aber nichts über Belästigungen ausgesagt. Nur, dass sie davon gehört habe und es sich auch vorstellen könne. Wenn es keine neuen Vorwürfe gab, warum ist die Lage im Sommer 2018 dann so eskaliert? Das ist mir auch nicht verständlich. Knabe hatte nach dem zweiten Schreiben nochmals gesagt, dass er gegen anonyme Vorwürfe schlecht vorgehen könne. Er hat dann bei der Staatsanwaltschaft Anzeige gegen Unbekannt gestellt, aber das Verfahren wurde eingestellt. Die Kulturverwaltung selbst hatte gegenüber der Staatsanwaltschaft eingeräumt, dass es sich - mit meinen Worten gesprochen - um Sexismus handele, aber strafrechtlich nicht relevant sei. Später wurde Knabe von der Kulturverwaltung der Vorwurf gemacht, dass er nicht energisch genug gehandelt habe.
„Wir haben das Gedenkjahr 30 Jahre Mauerfall vor uns und die wichtigste Berliner Gedenkstätte liegt am Boden.“
Der Vorwurf lautet auf strukturellen Sexismus, der von Hubertus Knabe durch Nichtstun indirekt befördert worden sei. Hat er sich aus Ihrer Sicht ausreichend gekümmert? Knabe sagte mir, er habe am Rande der Weihnachtsfeier 2016 mit einigen ehemaligen Mitarbeiterinnen gesprochen, die ihm versichert hätten, nichts Negatives erlebt und bemerkt zu haben. Er musste also von Einzelfällen ausgehen. Mir haben Mitarbeiterinnen erzählt, dass sie inzwischen mit Marianne Birthler, die nach der Knabe-Kündigung als Vertrauensperson eingesetzt wurde, gesprochen haben. Dabei sei von acht Mitarbeiterinnen explizit betont worden, dass in allen vier Abteilungen der Gedenkstätte kein struktureller Sexismus geherrscht habe. Strukturell würde ja bedeuten, dass sich ein solches Verhalten wie ein roter Faden durch die Gedenkstätte zieht. Es muss sich also um Einzelfälle gehandelt haben, von denen wir nicht wissen, wer betroffen ist. Inzwischen hat Marianne Birthler ihren Abschlussbericht vorgelegt. Sie hat mit 27 von 36 zumeist angestellten Mitarbeitern gesprochen, von denen nur wenige das Verhältnis zu Hubertus Knabe als problemlos bezeichnet hätten. Eine Mehrheit äußerte massive Kritik am Führungsstil der Leitung. Auch Knabe selbst wird Sexismus vorgeworfen. Einer Mitarbeiterin soll er gesagt haben, er brauche sie beim Besuch von Abgeordneten als „Farbtupfer“. Birthler kommt zu dem Schluss, es gebe erhebliche Indizien für mangelnden Führungsstil und mangelnde Kommunikationskultur. Ich kenne den Bericht bis jetzt nicht. Das Verhältnis Birthler - Knabe ist allerdings schon immer problematisch gewesen. Insofern stellt sich die Frage, ob sie die richtige Person für eine neutrale Beurteilung ist. Es gibt also massive Vorwürfe gegen Knabe, aber auch gegen Kultursenator Klaus Lederer. Einige meinen gar, der Linken-Politiker habe einen von langer Hand eingefädelten Komplott betrieben, um den unbequemen Hubertus Knabe loszuwerden. Wie sehen Sie das? Ich würde nicht von einer Verschwörung reden. Allerdings glaube ich schon, dass es bei Klaus Lederer politisch motiviert ist. Knabe und Lederer sind ja beide scharfzüngig und haben sich nie etwas geschenkt. Dass Knabe polarisiert, ist allgemein bekannt. Lederer ist auch ein sehr guter Debattenredner und kein schlechter Kultursenator. Aber er hat sicherlich die Chance nutzen wollen, um Knabe loszuwerden. Ich interpretiere es so: Wann, wenn nicht jetzt, also vor dem Jubiläumsjahr 30 Jahre Mauerfall, einen Wechsel herbeiführen. Ich habe dafür zwar keine Beweise, aber vor diesem Gedenkjahr die Weichen in Hohenschönhausen neu zu stellen, scheint mir nicht abwegig. Man hätte ja auch sagen können, wir berufen Herrn Frauendorfer ab und suchen einen neuen Stellvertreter. Aber was da gelaufen ist, war - höflich formuliert - ein unprofessionelles Vorgehen: Beide Leiterstellen zu kappen und die Gedenkstätte führungslos zu machen, und das vor diesem wichtigen Jubiläumsjahr mit vielen geplanten Projekten und Veranstaltungen, das ist für mich unmöglich! Es gibt Historiker, die Hubertus Knabe auch die wissenschaftliche Kompetenz absprechen. Solche Vorwürfe kenne ich auch. Es gibt da zum Beispiel einen Film, der in der Gedenkstätte gezeigt, wird, von dem wird gesagt, es sei einiges nicht korrekt dargestellt. Man kann auch der Auffassung sein, dass nach 18 Jahren Knabe ein Wechsel an der Spitze nötig ist. Dann hätte man die Kündigung aber fachlich begründen müssen. Die Arbeitsweise in Hohenschönhausen, die weitgehend auf Zeitzeugen basiert und damit subjektive Eindrücke vermittelt, ist sehr authentisch, aber man kann auch sagen, sie hinkt möglicherweise bei bestimmten Darstellungen. Das kann man so sehen.
„Von der Regierungskoalition hat keiner das Handeln des Senators verteidigt. Das dröhnende Schweigen der Koaltitionäre spricht doch für sich.“
Wobei die Zeitzeugen nur ein Teil der Arbeit sind und irgendwann nicht mehr da sein werden, einfach aus biologischen Gründen. Das heißt, man muss sich mittel- und langfristig um eine andere Arbeitsweise Gedanken machen. Man hätte Knabe sagen können, wir machen einen geordneten Übergang, hin zu jemand anderen. Aber so wurde er quasi ohne fachlichen Grund abrupt gekündigt und beurlaubt. Das ist eine Sache, die mich stutzig macht und bei mir die politische Komponente der Kündigung verstärken lässt. Die politischen Reaktionen sind bislang sehr dezent. Der CDU-Fraktionschef Burkhard Dregger meinte, es sei „keine Abberufung eines Leuchtturms gegen den Antikommunismus“, und auch sein Parteifreund Dieter Dombrowski, der Bundesvorsitzender der Union der Opferverbände ist, schließt einen politischen Komplott aus. Was sagen Sie dazu? Es ist eine komplizierte Gemengelage. Alle halten sich zurück. Dass Herr Dregger sehr loyal zur Kulturstaatsministerin Monika Grütters steht, die ihn als Fraktionsvorsitzenden durchgesetzt hat, ist verständlich. In der CDU-Fraktion sehen aber nicht wenige sehr kritisch, was da passiert. Es gibt mehrere kritische Anfragen an den Senat deswegen. Von der Regierungskoalition hat keiner das Handeln des Senators verteidigt. Das dröhnende Schweigen der Koaltitionäre spricht doch für sich. Und die Opferverbände? Von einigen Vertretern wird Hubertus Knabe ja vehement verteidigt. Welchen Einfluss haben diese Meinungen? Die ehemalige DDR-Opposition, darunter viele ehemalige Häftlinge in Hohenschönhausen, ist extrem zerstritten. Schon immer. Doch die Kausa Knabe hat das noch mal gezeigt. Die Opfer kommen aus ganz unterschiedlichen Bereichen, es gibt Vertreter von ganz links bis ganz rechts bis hin zur AfD. Alles Einzelkämpfer mit eigener Meinung. Da geht es vor allem gegeneinander. Wie geht es jetzt weiter? Das ist ganz schwierig zu beantworten. Ich denke, es muss alles aufgearbeitet werden, was im Zusammenhang mit Knabe passiert ist. Deshalb habe ich jetzt auch Akteneinsicht beantragt. Wie es in Hohenschönhausen konkret weitergeht, weiß ich nicht. Für Januar war eine große Ausstellung geplant, die von Michael Müller eröffnet werden sollte und von der ich nicht weiß, was daraus jetzt wird. Dass man die Gedenkstätte auf einen Schlag quasi führungslos macht, ist nicht zu verstehen. Man hat eine Situation geschaffen mit unnötig vielen Baustellen. So wurde Knabe im September nur als Direktor gekündigt und nicht als Vorstand der Stiftung Gedenkstätte Hohenschönhausen. Das musste in einer Hauruck-Aktion ganz kurzfristig nachgeholt werden. Ganz unprofessionell. Hubertus Knabe klagt jetzt gegen die Freistellung und gegen die Kündigung, da weiß man ja nicht, wie es ausgeht. Insgesamt drohen möglicherweise langwierige Gerichtsverfahren und ganz sicher langwierige Ausschreibungsverfahren. Und jeder Neue, der dort anfängt, muss nicht nur fachlich über jeden Zweifel erhaben sein. Er hat es zudem mit einer extrem gespaltenen Belegschaft zu tun. Und es wird auch einen personellen Aderlass geben, davon bin ich überzeugt. Der Ruf der Gedenkstätte ist auf jeden Fall beschädigt. Ein Abgeordneten-Kollege hat es so ausgedrückt: „Wir haben das Gedenkjahr 30 Jahre Mauerfall vor uns und die wichtigste Berliner Gedenkstätte liegt am Boden.“ Das trifft es genau.

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